Ein Gebirge im Meer

So nannte der französische Dichter Guy de Maupassant die Insel Korsika. 2500 Meter hoch türmen sich die Gipfel. Es gibt Inseln, die werden vom Meer geduldet, wie die nordfriesischen Inseln, die sich deshalb ans Festland anschmiegen. Es gibt Inseln, die sind eine vulkanische Laune der Natur, wie die Osterinsel oder Hawaii. Korsika ist anders, dieses Eiland kann es gut mit dem Meer und seinen Kräften aufnehmen.


Mit einem Freund habe ich Korsika Ende Juni in kurzer Zeit mit dem Motorrad umrundet und überquert. «Ihr habt die richtigen Bikes für die Insel!», sagt ein junger Korse, der auf einer Hafenmauer von Bastia sitzt, und intoniert damit eine Freundlichkeit, die uns auf dem Eiland überall – oft unerwartet – überwältigt hat. An der Westseite führt die schmale rötliche Straße in tausend Windungen an der zerklüfteten Küste entlang, Fels und mediterrane Wälder zur Linken, das Blau, an dem man sich nicht sattsehen kann, zur Rechten. Kilometerlang bilden kniehohe Natursteinmauern die Grenze zum Abgrund, zum Meer. So begleitet uns Menschenwerk in seiner einfachsten und auch schönsten Form über Stunden. Dann schlängelt sich der Weg durch eine Gartenlandschaft, die den rauen Grundton der Insel vergessen lässt. Eine halbe Stunde Serpentinen und man ist vom Meer im Hochgebirge, wo Schluchten, Bergseen und Kiefernwälder sich wechseln, deren Wucht und Grazie ich von den amerikanischen Nationalparks wie Yellowstone kenne. An der Südspitze erreichen wir das malerische Städtchen Bonifacio hoch auf einem Kreidefelsen. Der Blick hinunter zeigt azurfarbene Grotten, die Brandung und Wind geschlagen haben, der Blick in die Weite trifft dann die Nachbarinsel Sardinien. Wer beide Inseln kennt, hat wohl schon empfunden, dass Korsika so männlich ist, wie Sardiniens Anmut weiblich ist. Hat Landschaft Geschlechtlichkeit? Dass die Seele der Landschaft sich in der Landschaft der Seele spiegle, ist ein Erbe klassisch griechischer Natur- und Selbsterfahrung. Vielleicht reisen wir heute deshalb so viel und gerne, weil wir so immer wieder einen ersten Schultag feiern in der Übung, Natur und Seele in Resonanz zueinander zu bringen.


Bild: Insel Korsika, Foto: W. Held

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