Die Expedition zu den Wächtern und Spreng­meistern

Der Dramatiker und Sprachkünstler Botho Strauß, heute 75 Jahre alt, hat ein neues Buch herausgebracht, in dem er Aufsätze zu Kunst und Kultur mit dem Zeitgeschehen verbindet.


Unter dem Titel ‹Die Expedition zu den Wächtern und Sprengmeistern. Kritische Prosa› sind thematisch sehr unterschiedliche Texte aus den vergangenen 40 Jahren versammelt und in fünf Abschnitte eingeteilt: Literatur, Theater, Bilder, Zeitgeschehen und Sprengsel – kurz und übersichtlich gegliedert, aber auf sehr hohem Niveau verdichtet. Es sind Würdigungen von großartigen Theaterregisseuren, Dramaturgen, Schauspielern, mit denen er an der Schaubühne in Berlin in den 1970er-Jahren zusammengearbeitet hat. Es sind positive phänomenologische Betrachtungen von Person und künstlerischem Schaffen mit Vorbildcharakter.

Hervorzuheben sind seine Texte zu Rudolf Borchardt, Oswald Spengler, Konrad Weiss und Martin Heidegger. Seine Reden zum Erhalt des Lessingpreises und seine Dankesrede zum Georg-Büchner-Preis dürfen nicht unerwähnt bleiben. Programmatisch sind seine Äußerungen in einem Aufsatz zu George Steiner. Hier offenbart Strauß sein christliches Kunstverständnis: «Die Lage der Kunst ist seit jeher eine unschlüssige; es ist die Samstagslage, […], zwischen dem Freitag mit Kreuzestod und grausamen Schmerzen und dem Sonntag der Auferstehung der reinen Hoffnung. Weder am Tag des Grauens noch am Tag der Freude wird große Kunst geschaffen. Wohl aber am Samstag, wenn das Warten sich teilt in Erinnerung und Erwartung.» Strauß plädiert für einen ‹Aufstand gegen die sekundäre Welt›. Was man gemeinhin als Wirklichkeit bezeichnet, ist nur zweitrangig, primär ist die Verbindung zu einer höheren Welt.

Im Buch ist auch der ‹Anschwellende Bocksgesang› aus dem Jahre 1993 wieder abgedruckt. Hier betätigte sich Strauß als theoretischer Sprengmeister. Er nahm die Selbstverständlichkeiten der Nachkriegszeit aufs Korn. Dieser literarische Kunstgriff wurde als politische Provokation missverstanden. Botho Strauß sieht auch die Intelligenz in der Pflicht. Er fordert eine ‹Reform der Intelligenz› in Richtung wahrer Kunst: «Intellektuelle, von der Mutter aller Revolutionen zur Welt gebracht, werden nun im Alter von über zweihundert Jahren als überlebt gelten müssen, sie werden wieder aus der Geschichte verschwinden. Wir werden noch einmal bei Vico neu beginnen. Das poetische Wissen wird gegen den erschöpften Intellekt wiedererstarken.»

Im Abschnitt ‹Bilder› lernt man einen neuen Botho Strauß kennen, durch seine Kommentare zu den übermalten Fotos von Gerhard Richter und seine klugen Matisse-Reflexionen.

Das Buch wird durch ‹Sprengsel› über Erscheinungen des Zeitgeistes abgerundet. «Das Gute besitzt weniger Anziehung als das Böse. Hier ist Aufklärung vergebliche Liebesmühe. Kenntnisse in Dämonologie wären hingegen von Vorteil. Es ließe sich unter Umständen ein Gegenzauber finden.»

Botho Strauß verwendet im Untertitel des Buches den Begriff ‹Kritische Prosa›. Er wird bei ihm nicht, wie so oft, in gesellschaftskritischer Absicht verwendet, sondern im Sinne von Theorie, von Ideenschau.


Botho Strauß, Die Expedition zu den Wächtern und Sprengmeistern. Kritische Prosa, Rowohlt, Hamburg 2020

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