Am Tage einer Himmelfahrt

Zur Eröffnung des Modells vom Ersten Goetheanum im neuen Ausstellungsraum im Südsaal der Schreinerei.


Am Nachmittag des Himmelfahrtstages, am 13. Mai 2021, kam eine kleine Versammlung im Goetheanum zusammen, um sich bei Rudolf Feuerstack und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu bedanken – für die Fertigstellung des 1:20-Modells des Ersten Goetheanum, nach jahrzehntelanger, hingabevoller Arbeit und gelungener Überführung in den renovierten Südsaal. Stefan Hasler begrüßte Frau und Herrn Feuerstack, alle Helferinnen und Helfer sowie alle gekommenen Gäste im Saal der Schreinerei. Er dankte denen, die das Werk ermöglicht haben, auch dem Freundeskreis der Förderer – und führte ein Gespräch mit Rudolf Feuerstack (*1934) über sein Leben und seine Arbeit. Der Baumeister des Modells erzählte von seiner ‹Geburt› in die Anthroposophie und Christengemeinschaft, in deren Hamburger Haus er groß wurde, vom Kindheitserlebnis im Theater mit dem «langsam ausgehenden Licht» und der gefühlten Lebensaufgabe, Beleuchter zu werden. Das Dornacher Ensemble kam nach Hamburg, und Rudolf Feuerstack gelangte mit 18 Jahren zum ersten Mal ans Goetheanum, als Bühnenhelfer im ‹Faust›. Nach der Ausbildung in Hamburg ging er 1955 und für immer zum «Haus des Wortes», wurde beim Baubüro angestellt, zur «Verfügung» der Bühne. 33 Jahre war er Beleuchter und nahm große Kunst und Anthroposophie in sich auf, an einem nicht nur einfachen und schönen Ort. Er habe unbezahlbare Erlebnisse an der Kunst gehabt, sagte Rudolf Feuerstack, aber viele soziale «Unfälle» miterlebt; er habe sich oft durch «eigenartige Auffassungen» unbeliebt gemacht. Nach 33 Jahren wurde er als Beleuchter zwar nicht entlassen, aber «ersetzt» – und landete vor einem PC.

1993 aber, in seinem 60. Lebensjahr, erhielt er von der Bauadministration den Auftrag, ein 1:20-Modell des Ersten Goetheanum herzustellen, oder eigentlich nur dessen Konstruktion – «den Rest sollten die Künstler machen». Diese hatten jedoch kein Interesse. «Ich stand alleine da.» Feuerstack, der zuvor nie mit Holz gearbeitet hatte, machte es schließlich zu seiner Sache, wuchs ganz in diese hinein. Von der «heilsamen» Empfindung des «Nicht-gewachsen-Seins» hatte Rudolf Steiner bei der Einweihung des Glashauses als der richtigen Mitarbeiterstimmung am Bau gesprochen. «Tue dein Möglichstes, wozu deine Kräfte und dein Können ausreichen» – im Bewusstsein des Unzulänglichen. Feuerstack verband sich mit dem Wesen des ersten Baues, studierte ihn in allen Einzelheiten, in seiner künstlerischen Gestalt, in den Erinnerungen der Mitarbeitenden, in ihrer handwerklichen Technik. Er kam zu vielen inneren Erlebnissen bei der Arbeit – «sie führen einem die Hand». Erst im Aufrichten des Baues lerne man dessen «eigentliche Gesetze», die Gesetze von dessen Wesen kennen, so hatte Rudolf Steiner gesagt, und so erging es auch Feuerstack. Er erzählte, wie er die Form des Baues immer mehr als «Hülle» der Anthroposophie und als ihre «Heimstätte» erlebte. Er fühlte sich wie ein Mitarbeiter am Bau – und war es in gewisser Hinsicht auch, in einem hochinteressanten Vorgang der geschichtlichen Erinnerung und fortgesetzten Werkwerdung.

Bis 1994 arbeitete er im Keller von Haus Friedwart, bis zur Pensionierung seiner Frau, die das Gästehaus führte. Nach langer Suche um Unterstützung, «Bettelbriefen» und großem Einsatz von Dornacher Freunden, darunter in erster Linie von Li Klett, fanden sie dann eine Bleibe für sich und das Modell im Dorf Metzerlen; die Dorfschmiede wurde Atelier und das Modell zum Kulturfaktor des erzkatholischen Gemeinwesens, überraschend und beglückend zugleich. 2010 meldete sich das Goetheanum wieder, so Feuerstack in seinem lakonischen Lebens- und Arbeitsbericht, und wollte, dass er und das Modell zurückkommen. Der 150. Geburtstag Rudolf Steiners stand vor der Tür und es habe damals «nicht mehr so viel» Vorzeigbares im Bereich der Kunst gegeben. Er habe schließlich zugestimmt und wollte seinen Beitrag zum Zweiten Goetheanum leisten, das er als seine Heimat bezeichnete. So zog er neben der Gruppe mit seiner Arbeit ein.

Nach Rudolf Feuerstack sprach der niederländische Architekt Pieter van der Ree, der die Ausstellung zur Baugeschichte um das Modell mitkonzipierte, wie sie von nun an im Südsaal der Schreinerei zu sehen ist. Er erzählte von einem ersten Besuch bei Feuerstack vor 20 Jahren und dem tiefen Eindruck am Modell, von der Stimmung und Intention des Baues, die er dort erlebte, auch von Rudolf Feuerstacks Hingabe an die Arbeit, seiner absoluten Gewissenhaftigkeit, dann von seiner Gelassenheit und Zuversicht – «machen, was gemacht werden muss», auch ohne Geld. Schließlich kam die Reihe an Justus Wittich vom Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft. Auch er dankte von Herzen für die immense Arbeit und sprach über die Zukunft des Goetheanum. Gerade in einer Zeit der Digitalisierung und Virtualisierung müsse an der Intensivierung des Ortes gearbeitet werden, der kein Museum, sondern die Stätte der lebendigen Anthroposophie sei. Sie solle am Goetheanum tief erlebbar sein, in ihrer Wirkkraft, auch als Symbol für ihren spirituellen «Weltimpuls».

Foto: S. Jüngel

Der Nachmittag des Himmelfahrtstages wurde mit Besichtigungen des renovierten Saales und seiner baugeschichtlichen Ausstellung beschlossen. Sie umgibt das Modell und wird von nun an den Besucherinnen und Besuchern offenstehen, der Öffentlichkeit in jeglicher Hinsicht. Die Ausstellung führt in den Bauimpuls ein und zum Modell hin, ja, zum Wesen der Sache selbst. Alles ist qualitativ und voraussetzungslos aufgebaut, zugänglich ohne Vorkenntnisse, ein- und hinführend, öffnend und ermöglichend. – Der Raum und das Modell aber können nicht nur zu einem öffentlichen Ort, sondern auch zur inneren Vertiefung werden, für die Mitglieder der Gesellschaft und die Freunde der Anthroposophie. Man kann den ersten Bau umgehen, aber auch in ihm sein, im Modell des Raumes, «in dem sich Menschen zur Entgegennahme der übersinnlichen Erkenntnisse zusammenfinden» sollten, wie Rudolf Steiner sagte. Die «Feierlichkeit», aber auch das «Risiko» dieses Innenraums werden ahnbar, die neue «Heimstätte» der Erkenntnis, in erster Linie der Selbsterkenntnis, ohne die es keine wirkliche Welterkenntnis gibt. Nur mit ihr gelingt ein heilsames, aufbauendes und zukunftsermöglichendes Wirken in der Zivilisation, das doch der eigentliche Sinn der Hochschule ist. Rudolf Steiner sprach vom «Bau der anthroposophischen Sache», aber meinte damit nie nur das Gebäude; der «Geist des Goetheanum» sei es, für den die Freunde in der Welt wirken und arbeiten wollen, individuell und in Gemeinschaft. Gerade vom Bau der anthroposophischen Gemeinschaft hat Rudolf Steiner oft gesprochen; diese werde in den Nöten der Zivilisation der Zukunft einen Kampf zu führen haben, jedoch «durchglüht vom Feuer der Liebe», wie er bei der Grundsteinlegung betonte (20. September 1913).

Die «Feierlichkeit», aber auch das «Risiko» dieses Innenraums werden ahnbar, die neue «Heimstätte» der Erkenntnis, der Selbsterkenntnis, ohne die es keine wirkliche Welterkenntnis gibt.

Himmelfahrt war ein stimmiges Datum für dieses feierliche Zusammensein um Rudolf Feuerstack und sein Modell. Über die Zerstörung und die Trauer um das Erste Goetheanum als ein «hinweggestorbenes Lebewesen» sprach Steiner 1923 – und er ging damals erstmals auf die tiefe Trauer der Jüngergemeinschaft nach dem sinnlichen Entzug des Christus-Wesens durch Himmelfahrt ein. Der Schmerz aber war die Voraussetzung für Pfingsten, aus der Kraft einer vertieften Erinnerung und in klarer Ausrichtung zur Zukunft. Rudolf Steiner sprach damals auch über die «Rettung des Physisch-Ätherischen des Menschen» durch das Himmelfahrtsereignis. Der Bau war 1923 nicht verloren, sondern auf andere Weise geistig erfahrbar – und ist es seitdem. Rudolf Feuerstack hat zu dieser Erfahrbarkeit einen wichtigen, ja unverzichtbaren Beitrag geleistet. Er ging durch viele Schwierigkeiten hindurch, aber blieb bei seiner Arbeit. «Was unser Geist der Wirrnis abgewinnt, / kommt irgendwann Lebendigem zugute», schrieb Rainer Maria Rilke in Château Muzot am 5. Oktober 1924, in den ersten Tagen von Rudolf Steiners Krankenlager. Dieses Lebendige braucht in der Gegenwart des Jahres 2021 sehr viel Aufmerksamkeit, Unterstützung und Hilfe, auf allen Ebenen des Seins.


Titelbild: Modell des Ersten Goetheanum im Südsaal, Foto: A. Jutard

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