Als Doktor Steiner kam

Ein paar Worte mit dem berühmten Mann

Doktor Steiner kam gestern mit dem Auslandszug über Kornsjø. Auf dem Bahnhof hatten sich zahlreiche Damen und Herren der hiesigen anthroposophischen Kolonie sowie Vertreter der drei Vereinigungen eingefunden, die den berühmten Gelehrten eingeladen haben.


Der Zug fährt ein, in einem Kupee steht ein Herr, der den Bildern in den Zeitungen gleicht, neben ihm Frau Steiner und ein paar andere. Ein Raunen des Wiedererkennens geht durch die Versammlung, und man schart sich um das Trittbrett des Waggons. Doktor Steiner steigt in Pelz und runder Pelzmütze aus, er grüßt nach allen Seiten, die Vordersten drücken ihm die Hand. Plötzlich erhebt sich die Frage: Wo sind unsere Damen? Es stellt sich heraus, dass diese, ein paar Damen, die den eurythmischen Tanz vorführen sollen, erst heute kommen, und die Versammlung beginnt, sich langsam vorwärts zu bewegen. Und aus all dieser liebevollen Fürsorge soll man den berühmten Doktor herausreißen! Aber wozu ist man denn moderner Journalist? Also en avant!

Pressezeichnung zum Artikel

Entschuldigen Sie, Herr Doktor!

Der Doktor bleibt stehen, und ein paar kluge Augen verharren einen Augenblick prüfend auf einem, er sieht älter aus als auf den Bildern. Freundlich beantwortet er die Fragen, er ist nicht zum ersten Mal in Norwegen, er war früher schon 3–4 mal hier gewesen, zuletzt 1913, vor dem Krieg.

Doch der Besuch hat diesmal ja einen eher öffentlichen Charakter?

Der Doktor lächelt: Das mag sein. Was seine Vorträge angehe, so sagt er, dass er selber noch nicht im Klaren sei, wie viele es werden, aber doch eine ganze Reihe. Nun kommt er eben aus Dornach via Berlin.

Da man ja unterwegs vom Kupee zum Schalter, an dem Bahnsteigkarten für diejenigen verkauft werden, die ihn begleiten oder abholen wollen, nicht gut auf die großen Lebensfragen eingehen kann, zieht sich die Presse mit ihrem kleinen Fang zurück, einem echten Krammetsvogel von einem Interview, was sein Nährstoffgehalt betrifft. Indessen hat der Zeichner wie wild gezeichnet. Der Doktor lächelt und bemerkt freundlich, er hoffe, einen wiederzusehen, eine kleine Artigkeit, die zeigt, dass Doktor Steiner jedenfalls nicht zum ersten Mal interviewt wird und er es versteht, mit seinen Mitmenschen umzugehen, sowohl mit denjenigen von der Presse als auch mit Außenstehenden.


Interview mit Rudolf Steiner in Kristiania (Oslo) vom 23. November 1921 Aus: GA 244, S. 836 f.

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