Selbst Thomas Jefferson, der nach fünf turbulenten Jahren Aufenthalt in Paris die Stadt schließlich im September 1789 verließ, bemerkte die Flamme nicht, bemerkte nicht, so wie viele andere auch, dass er mitten in einer Revolution steckte: «A little rebellion now and then». Geht es uns ähnlich hinsichtlich der Warnungen von Greta Thunberg? Ein Blick aus Belgien auf das Aufwachen der Jugend. (1)
Niemand wünscht sich die Schrecken, die nach 1789 folgten. Dank eines kleinen Mädchens sind wir diesmal gewarnt und gut beraten, die Zeichen, falls wir sie denn wirklich noch nicht erkennen, wahrzunehmen und einzugreifen, solange es noch geht. Wer ist dieses 16-jährige Mädchen? Um welche Individualität handelt es sich hier? Durch ihr erstaunliches Engagement, nur durch die eigene, individuelle Tat, zu Beginn ganz allein vor dem schwedischen Parlament, dann später durch ihr mutiges Auftreten und ihre unerschrockenen Worte bei der UN-Klimakonferenz in Katowice in Oberschlesien im Dezember 2018, gelingt es ihr, in kürzester Zeit zigtausend Menschen, vor allem Schüler und Studierende, zu mobilisieren. Als wenn die Menschen nur auf diesen Anstoß gewartet hätten.
In Brüssel sind es bei den wöchentlichen Donnerstagsdemonstrationen im Dezember 2018 erst Hunderte, dann Tausende, Ende Januar dann schließlich bereits 70 000 zumeist junge Menschen. Was geht da vor? Wie geht es weiter? Nur «a little rebellion»?
Dabei will die kleine Greta Thunberg (2), so der Name dieser ungewöhnlichen Umweltaktivistin, sicher kein Star oder keine Heldin sein. Ganz bescheiden achtet sie strengstens nur auf die Sache, die sie verfolgt, und dies mit einem Ernst, einem Elan und einer Selbstverständlichkeit, die ganz außergewöhnlich sind und maßlos erstaunen, die unzeitgemäß wirken und uns beschämen: Hätten wir alle, die wir uns so aufgeklärt und umweltbewusst dünken, ihre Worte nicht selbst und mit derselben Akribie und Beharrlichkeit vor dieser brennenden Welt aussprechen müssen? Was hindert uns, es nun endlich auch selbst zu tun?
Bleibt nicht nur für einen Waldorflehrer zu fragen, ob diese Schüler – bis jetzt sind es vor allem Schüler – die Schule zum Streik verlassen und auf die Straße gehen, weil sie eigentlich nach einem anderen Lernen und Verstehen verlangen. Was sagen ihnen denn die Lehrer, wenn sie zurück in die Klasse kommen: Business as usual? Oder vielleicht haben sie den jungen Menschen wirklich etwas zu geben, was ihnen hilft in ihrer seelischen Not und bei all den täglichen Qualen ob all der täglichen Weltgeschehnisse. Eine neue Form des Lernens müsste gefunden werden, die Handeln und Lernen aus dem Imaginativen heraus entwickelt. Sicher, hier spricht der Pädagoge. Aber diese Unruhen, diese ‹little rebellions now and then› bedeuten etwas für das Selbstverständnis der Schulen. Welche Rolle spielen die Erkenntnis, das Verständnis und die Einsicht bei den Problemen und Fragen des Klimawandels? Oder vielleicht handelt es sich bei der gelehrten Wissenschaft um eine Wissenschaft, die nur umgesetzt werden müsste, aber eben nicht in politische Entscheidungen und Gesetze umgesetzt wird. Dazu die Worte von Aluna de Wever, einer 17-jährigen Wortführerin des Klimamarsches in Belgien: «Warum müssen wir diese Wissenschaft erlernen, wenn sich die Politik sowieso nicht daran hält?» Vielleicht müsste die Klimatologie in eine wahre ‹KlimaSophie› verwandelt werden, damit für die Rettung dieser Erde frei gehandelt werden kann. Wie würde eine solche ‹KlimaSophie› aussehen, wie könnte sie gelehrt werden und an welchen Schulen? − Der Pädagoge trifft mit diesen Fragen auf die unerbittliche Einbettung der Schülerstreiks in die Härte der politischen Auseinandersetzungen, in Flandern wie anderswo.
Wir wissen noch nicht, ob die Welle der Proteste andauert oder langsam wieder abebbt und ob die Flamme der Rebellionen unter dem Druck angenommener oder vorgeschobener «wirtschaftlicher und politischer Notwendigkeiten» wieder erlischt. Hier ist vieles und in viele Richtungen möglich. Selbst gesetztes Ziel der Klimabewegungen in Belgien jedenfalls sind einschneidende erforderliche und sofortige politische Entscheidungen und Gesetzesänderungen zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens vom Dezember 2015. Die Proteste sollen mindestens bis zu den Europawahlen im Mai 2019 (gleichzeitig mit den Parlamentswahlen in Belgien) zur Erreichung wenigstens dieser Minimalziele fortgeführt werden.
Eine mögliche Ausweitung und Verbindung der Klimaproteste mit anderen sozialen Bewegungen und Gewerkschaften und den wie in Frankreich aktiven Gelbewesten- und Demokratiebewegungen ist durchaus denkbar und wird stark beeinflusst durch die weitere politische Entwicklung vor allem im Nachbarland Frankreich, aber auch in anderen europäischen Ländern. Denn die drängenden Forderungen der Klimabewegungen sind über die explosive Frage nach sozialer Gerechtigkeit und den Widerstand gegen Lohnabbau und erhöhte Besteuerung niedriger Einkommen direkt verknüpft mit vielen weiteren aktuellen Brexit- und anderen politischen Handlungsfeldern.
Greta Thunberg jedenfalls hat uns gewarnt. Geht es doch schon lange nicht mehr vorrangig um die Frage der Arbeitsplätze in der Kohleindustrie, so erschreckend die Perspektive des Arbeitsplatzverlustes für die Betroffenen bei aller Hoffnung nach sozialem Ausgleich auch ist. Greta spricht über die Zukunft der Erde, unseres einzigen Planeten. Handeln wir, bevor es zu spät ist!
(1) Ein erster Artikel zu Greta Thunberg erschien in der letzten Ausgabe. Siehe ‹Das soziale Spiel, in das alle so vernarrt sind› von Johannes Denger, ‹Das Goetheanum› 6/2019.
(2) Siehe zu Greta Thunberg: https://www.youtube.com/watch?v=0TYyBtb1PH4
Bild: Greta Thunberg, in Brüssel, 2018. von Jan Ainali, CC