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Das soziale Spiel, in das alle so vernarrt sind

Die Schülerin Greta Thunberg ist zum Gesicht einer jungen Protestbewegung zur Rettung des Planeten geworden. Dass sie das Asperger-Syndrom hat, macht ihre Botschaft nur noch nachdrücklicher.


Seit ihrem von vielen Jugendlichen nachgeahmten ‹Schulstreik für das Klima› und ihrer berühmt gewordenen Rede an der UN-Klimakonferenz in Katowice gilt die sechzehnjährige Schwedin Greta Thunberg als Galionsfigur der Klimaschutzbewegung und als einer der einflussreichsten Teenager des Jahres 2018 (‹Time Magazine›). Ihre Botschaft ist ebenso einfach wie wirkungsvoll: «Was ich auf dieser Konferenz zu erreichen hoffe, ist die Erkenntnis, dass wir einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt sind. Dies ist die größte Krise, in der sich die Menschheit je befunden hat. Zuerst müssen wir dies erkennen und dann so schnell wie möglich etwas tun, um die Emissionen aufzuhalten und zu versuchen, zu retten, was wir noch retten können.» Das ist ebenso wahr wie bekannt, und das Verrückte ist ja, dass wir gesellschaftlich und politisch dennoch nicht radikal umsteuern. Es ist ein Phänomen: Viele sagen das so oder so ähnlich, warum entwickelt es jetzt bei Greta diese Wirkung? Sie stellt sich als junges Mädchen furchtlos hin und sagt «… weil ihr Erwachsenen euch nicht für meine Zukunft interessiert, werde ich eure Regeln nicht beachten.» Und: «Einige Leute sagen, dass ich studieren sollte, um Klimawissenschaftlerin zu werden, damit ich die Klimakrise ‹lösen kann›. Aber die Klimakrise ist bereits gelöst. Wir haben bereits alle Fakten und Lösungen. Alles, was wir tun müssen, ist aufzuwachen und uns zu verändern.» (‹Declaration of Rebellion› in London).

Als ihre Rede von Katowice im Netz viral ging, erhielt sie neben viel Zuspruch die für die unsozialen Netzwerke üblichen Beschimpfungen – «ideologisch verblendet» – und kleine Gemeinheiten, wie etwa, sie solle ihre Frisur überdenken (sie trägt Zöpfe). Manche bezeichneten sie schlicht als «behindert». Entstellende Fotomontagen kursieren im Netz, auf Twitter wird sie als «gedrillte geltungssüchtige Göre» beschimpft, als «altklug und verhaltensgestört, von Untergangsfantasien verfolgt und von der Idee besessen, die Welt retten zu müssen». «Unerträglich ekelhaft ist der Versuch, Greta Thunbergs Anliegen zu diskreditieren, indem auf das Asperger-Syndrom angespielt wird, das bei ihr diagnostiziert ist», schreibt die Taz (‹Hass und Hetze gegen Greta Thunberg›, 28.1.2019). «Solche Reaktionen sind der Grund, warum Menschen mit dem Asperger-Syndrom, einer Variante von Autismus, verheimlichen, dass sie es haben. Greta Thunberg macht das nicht. Auf ihrem Twitter-Account stellt sie sich als Klimaaktivistin mit dem Syndrom vor – was nun unerbittlich gegen sie eingesetzt wird. […] Warum bringt die junge Frau nicht nur, aber vor allem Rechte und KlimaskeptikerInnen so in Rage?», fragt die Taz weiter. «Ganz einfach: Weil sie recht hat. […] Und so makaber und so bedauerlich es für Greta Thunberg persönlich ist: Gerade die hetzenden Reaktionen auf sie zeigen, dass ihre Botschaft ankommt.»

Bei Wikipedia erfahren wir: «Greta Thunberg ist die Tochter der Opernsängerin Malena Ernman und des Schauspielers Svante Thunberg. Nach eigenen Angaben beschäftigte sie sich im Alter von acht Jahren erstmals mit dem menschengemachten Klimawandel und begann ihr Klimaschutz­-engagement zunächst damit, zur Energieeinsparung im Haus die Beleuchtung auszuschalten, später beschloss sie, nicht mehr zu fliegen. Im Alter von elf Jahren wurde sie durch die Beschäftigung mit dem menschengemachten Klimawandel depressiv und hörte auf zu sprechen und zu essen. Anschließend wurden bei ihr das Asperger-Syndrom, Zwangsstörungen sowie selektiver Mutismus diagnostiziert. Später begann sie sich aktiv öffentlich für Klimaschutz einzusetzen.»

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Wenn ich nicht Asperger hätte und so komisch gewesen wäre, wäre ich in dem sozialen Spiel gefangen, in das alle anderen so vernarrt sind.

Da ist nun hochinteressant! Greta überwindet ihren selektiven Mutismus (Verstummen bei vorhandener Sprechfähigkeit) und ihre Depression dadurch, dass sie sich engagiert. Ein hervorstechendes Merkmal des Asperger-Syndroms ist die Fixierung auf bestimmte Themen. Was für wahr und richtig erkannt wurde, wird auch mit letzter Konsequenz so verfolgt. Hier erweist sich eine auch als behinderungsbedingt erkannte Einseitigkeit zugleich als Gabe und Segen, sie hilft Greta, unbeirrt und mit authentischer Ernsthaftigkeit an ihren Zielen festzuhalten und als Persönlichkeit diese kraftvolle Wirkung zu entfalten. In einem anderen Interview sagt sie schmunzelnd: «Wenn ich nicht Asperger hätte und so komisch gewesen wäre, wäre ich in dem sozialen Spiel gefangen, in das alle anderen so vernarrt sind.»

Während wir Normopathen durch unsere klimatechnisch inkonsequenten Alltagsgewohnheiten flexibel und kompromissbereit bis zum bitteren Ende wie die Lemminge auf den Abgrund zuwuseln, erinnert uns Greta daran, dass es Momente gibt im Leben des Menschen und der Erde, wo nur noch eines hilft: Ändert euren Sinn! Und ändert euer Handeln. Radikal. Jetzt. Danke dafür, liebe Greta! Bleib so stark und lass dich nicht beirren!


*Dies ist eine erweiterte Fassung der Kolumne ‹Gretas Gabe› für Info3, Februar 2019.

Bild: 4000 Demonstranten – hauptsächlich Schüler demonstrieren in Basel für Engagement gegen den Klimawandel. Die Forderung: Bis 2030 co2 Emission auf 0 zu senken. Foto: Sabine Heldl

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