Zuhören als Berufung

Der Lehmbauer, Holzverarbeiter, Aufstrichverkäufer, Kindercampbegleiter, Caterer und Allrounder Robert Graulich bezeichnet das Zuhören als seine eigentliche Berufung.


Was bedeutet ‹Zuhören› für dich?

Es bedeutet, dem anderen eine ‹Freifläche› zu sein, in der er sich ausbreiten kann, wo geschehen kann, was gerade ansteht. Zuhören tritt bei mir immer spontan auf, aber nur, wenn ich selbst gut bei Kräften bin. Der ‹Zuhörer› will von nichts überzeugen, sondern ist eher wie ein Zeuge. Es braucht eine innere Ruhe dafür. Der andere kann sich darin fallen lassen und aufgehoben fühlen. Dann kann er loslassen und reden. Ich bin einfach nur da, aufmerksam für den anderen, wie ein offenes Buch, in das er hineinschreiben kann, ohne dass ich mich selbst verliere. Und es hat Ereignischarakter, es geschieht, aber ich kann vorher nicht wissen, was geschehen wird. Außerdem ist ‹Zuhören› für mich das Wagnis, sein eigenes Ego zu überwinden und Mitgefühl zu entwickeln. Je geringer die Möglichkeit zur Selbstreflexion – beziehungsweise je fester man in seinen Ansichten ist –, desto geringer die Möglichkeit des Zuhörens.

Wie bist du zum Zuhören gekommen?

Durch Freunde, die mir wichtig waren und sind, zu denen ich Verschiedenheiten feststellte, entstand die Bereitschaft, von mir abzutreten. Der Ursprung war die Verbundenheit und der Wunsch, diese nicht zu verlieren. Da begann das echte Zuhören und Verstehenwollen, was auch mit echten Fragen an den anderen einhergeht.

Hast du etwas davon?

Ich nehme die Facetten des Lebens wahr und habe echte Begegnungen.

Welche neuen Qualitäten entstehen durch das Zuhören und werden wir diese in Zukunft brauchen?

Idealerweise ja, dann würde es weniger Missverständnisse und Probleme auf der Welt geben. Habe ich eine Aussage so gehört, wie sie der andere abgeschickt hat, oder habe ich nur vernommen, wie sie bei mir angekommen ist? Im zweiten Fall kann keine fruch­tende Begegnung entstehen. Menschen fühlen sich mehr verstanden, wenn ihnen wirklich zugehört wird. Mitunter haben sie erst dann die Möglichkeit, ihre Belange zu äußern. Ich glaube, dass die Menschen das Zuhören schon immer gebraucht haben. In Anbetracht der Geschwindigkeit der heutigen Zeit brauchen sie es wahrscheinlich noch mehr. Denn die Missstände der Seele werden mehr. Die Menschen könnten sich durchs Zuhören freier fühlen und harmonischer miteinander leben. Auch ein Lauschen auf innere Regungen wird an Bedeutung gewinnen.

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