Zähme mich

Um sich zu befreunden, muss man sich einander vertraut machen. So wird es in der berühmten Szene zwischen dem kleinen Prinzen und dem Fuchs im Rosengarten beschworen. Vertrautheit entsteht durch das Vertrauen, das aus Begegnung und Annäherung wächst. Wenn wir einander vertraut sind, ist es wie eine Berührung im Geiste, die sich nicht mehr fremd anfühlt. Die persönliche Seele hat sozusagen Lichtfühler, mit denen sie sich an ihre erlebte Umgebung herantastet, sie beleuchtet. Da, wo kein Schatten mehr zwischen uns fällt, wo nur ein Licht in der Begegnung ist, sind wir verbunden, ist das Erleben nicht mehr getrennt, sondern vielfarbig und geteilt. ‹Das andere› ist nicht anders, sondern ich. Doch am Anfang steht die Berührung. Ich kann geistig, seelisch, leiblich berühren, doch es wird mir im Berühren immer bewusst, wie ich außerhalb des anderen bin und das andere außerhalb von mir ist, und gleichzeitig werden wir uns dadurch vertrauter. Das ist das Wundersame, dass mir Nähe und Distanz gleichzeitig wachsen. Wann immer ich etwas aufmerksam und hingebungsvoll berühre, löse (‹erlöse›) ich es aus der Objektfixierung. Niemand und nichts ist ein Objekt – doch unsere beschränkte Wahrnehmung gaukelt es uns vor. Wenn wir sie weiten wollen, brauchen wir unsere Aufrechte, unser Ichbewusstsein und damit unseren Leib umso willentlicher. Berühren wir uns also! Verkörpern wir uns. Sagen wir zu uns selbst: «Bitte zähme mich!»


Foto Marina Reich von unsplash

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