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Shakespeare’s Night

Shakespeares Figuren – von den Liebespaaren aus dem ‹Sommernachtstraum› über Romeo und Julia bis zum mordenden Macbeth – in einem Theaterstück vereint, das zeigt die Junge Bühne jetzt für drei Wochen am Goetheanum. Alle Figuren sind sie selbst, spielen ihr Drama, verfolgen ihre Ziele, geraten auf Abwege und erleben doch mit den anderen Figuren aus Shakespeares Feder eine neue Seite ihrer selbst. Zum sechsten Mal laden Andrea Pfaehler (Regie) und ihr Team mit 19 Jugendlichen zu einem Theaterabend ein.


Wie kamst du jetzt auf Shakespeare?

Andrea Pfaehler: In seinen Stücken hat alles Platz. Wenn die ganze Welt eine Bühne ist, dann ist Shakespeare die ganze Welt, das ganze Leben. Das bedeutet zugleich: Wenn 19 Jugendliche spielen wollen, dann findet jeder darin seinen ureigenen Platz. Außerdem hat mich ein Gedanke Rudolf Steiners nicht losgelassen. Es ist eine Beobachtung, die ganz ähnlich Goethe, Max Reinhardt oder auch der Regisseur Peter Brook schildern: Die Figuren von Shakespeare haben ein eigenes Leben, das unterscheidet sie von anderen Figuren. Man könne ihnen, so Steiner, in der geistigen Welt begegnen. So real seien sie. Goethe erzählt: Wenn ihm Shakespeare vorgelesen werde, dann sei es ihm, als würden ihn die Figuren besuchen und um ihn herum tanzen.

Dass sich nun diese Geistfiguren, die eigentlich immer da sind, auf der Bühne begegnen, das war die Inspiration für unser Stück ‹Shakespeare’s Night›, und die Jugendlichen spielen diese Geister. Am Anfang schwebte mir Folgendes vor: Ein Schauspieler probt und probt den ‹Hamlet›. Er ackert sich an der Rolle ab, es wird irgendwann dunkel im Theater. Er ist ganz alleine auf der leeren Bühne, verzweifelt, da sieht er in der Ecke Hamlet stehen und der sagt: «Du musst nicht verzweifeln – du musst mir begegnen wollen – musst weniger von dir und mehr von mir zeigen wollen.» Die Szene haben wir dann verworfen, aber die Idee hat mich geleitet.

So treffen sich nun Macbeth mit Romeo und Julia, Don Juan mit Beatrice und dem kleinen Puck.

Sie treffen sich im Bühnenraum, bringen ihr Sosein und ihr Schicksal mit – und was passiert jetzt? In Shakespeares ‹Macbeth› stirbt die Königin mit 40 Jahren immer und immer wieder. Das ist ihre Geschichte. Können wir sie daraus erlösen, kann sich ihr Schicksal erweitern, weil sie jetzt anderen Figuren begegnet, wobei sie doch Lady Macbeth bleibt? Aus den Winkeln der geistigen Welt ruft also der Puck diese Figuren zusammen, und zwar an den Hof des italienischen Königs. Wie Planeten kreisen sie um ihn als Sonne. Und jetzt wird es kompliziert: Natürlich muß Romeos bester Freund Mercutio bei uns auch sterben, sonst wäre er nicht Mercutio, das ist Teil, Essenz seiner Person. Und doch tritt dann die Königin auf und verlangt, dass das jetzt anders laufen soll. «Sterben kannst du dann wieder im Theater, in deinem Stück, hier nicht.»

 


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Es ist ein Seelenlabor?

Ja, und zwar mit strengen Gesetzen. Hamlet kann sich nicht plötzlich in Julia verlieben. Dann hätte ich etwas konstruiert. Interessant war, dass die Figuren sehr unterschiedlich reagierten während des Schreibprozesses. Macbeth musste ich genau so lassen, wie wir ihn kennen. Er bleibt mit seiner Frau im ganzen Stück Solist. Die anderen Figuren, Hermia, Helena oder Lysander, die haben gedrängt und geschrien, dabei zu sein, das hat mich selbst überrascht. Dennoch sind sie so, wie sie sind, und gehen deshalb immer etwas aneinander vorbei. Dabei kulminiert es zu der entscheidenden Nacht, in der der Mord geschieht, in der sich Romeo und Julia finden, in der die Figuren aus dem ‹Sommernachtstraum› verzaubert werden. Als ich die Spielfassung schrieb, habe ich entdeckt, dass die Figuren solch ein Spiel nicht nur mit sich machen lassen, sondern regelrecht darauf einsteigen. Als ich begann, es szenisch zu untersuchen, zeigte sich mir: Die Figuren aus den verschiedenen Stücken sind sich nicht fremd, sie kennen sich! Das hat mich überrascht und inspiriert. So etwas geht nur mit Shakespeares Personen.

Es hätte nicht Faust dem Tasso aus den ‹Wahlverwandtschaften› begegnen können?

Nein, das ist das Rätselvolle. Bei Goethe ist es nicht möglich. Bei Goethe sind die Dramen einzelne abgeschlossene Welten. Anders bei Shakespeare. Da scheinen die Dramen Provinzen einer gemeinsamen Welt zu sein.

Das erinnert an den Unterschied zwischen den Grimm’schen Märchen und den griechischen Mythen. Im Mythos hängen alle Gestalten zusammen, von Tantalos über Theseus bis Herakles. Bei den Märchen sind es Welten für sich, da kann Schneewittchen nicht auf den gestiefelten Kater treffen.

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Bei Shakespeare ist es das volle Leben, das seine Fäden spinnt – beschwingt und fluide, selbst wenn ein Mord geschieht. Umgekehrt, bei Goethes ‹Faust›, hier ist es irdisch und voller Krisen.

Tatsächlich sind Shakespeares Bühnenwelten wie im griechischen Mythos ein Feld. Wahrscheinlich hatte ich deshalb nie das Gefühl, Shakespeare etwas anzutun, sondern mehr, dass die Figuren aus ihrem Stück heraustreten dürfen und in eine Welt treten, die sie kennen. Zur Vorbereitung waren wir in Stratford und haben die Dramen auf Englisch gesehen. Auch dort: Diese Figuren sind unglaublich elastisch. Es ist, als wollten sie, dass wir Menschen zu ihnen kommen, und dann lassen sie sich voll ein auf das, was geschehen kann.

Du führst Regie für den ‹Faust› am Goetheanum 2020. Und jetzt zuvor Shakespeare. Ist das die Vorbereitung?

Das sind sehr verschiedene Welten und doch sagt Goethe, dass William Shakespeare der Größte sei! Wie verwurzelt ‹Faust› ist, in welche Tiefen er dringt, das spürt man umso deutlicher, wenn man von Shakespeare aus schaut. Dort ist alles in der Luft, es ist das volle Leben, das seine Fäden spinnt. Bei ihm ist alles beschwingt und fluide, selbst wenn ein Mord geschieht. Umgekehrt beim ‹Faust›, hier folgt Krise auf Krise. Deshalb finde ich diesen Schritt, den ich, den wir mit Shakespeare und Goethe vor uns haben, spannend. Aber so soll Theater ja sein.

Wie man große Schritte macht

Im Gespräch mit den jugendlichen Spielerinnen und Spielern

Was denn das gemeinsame Spiel ausmache, frage ich die Jugendlichen. Die Junge Bühne, so beginnt ein Spieler, sei ein besonderer Ort, weil hier 20 junge Leute mit der Lust am gemeinsamen Spiel zusammen seien. Dabei sei das Wichtigste, dass man sich gegenseitig akzeptiere, sodass man ohne Angst man selbst sein könne. Während in der Schule, auch in der Waldorfschule, vor allem der Kopf zähle, komme es hier auch auf den Körper an, beschreibt eine Spielerin und ergänzt, man lerne weiter und größer zu werden, den Umkreis zu empfinden und sich zugleich auf seinen eigenen Körper zu konzentrieren. Ein Jugendlicher, der seit vielen Jahren dabei ist: «Am Anfang sind wir uns fremd. Durch das gemeinsame Spielen, Improvisieren und Entdecken wachsen wir zu einer Gemeinschaft – so eng, wie man es in der Schule wohl kaum erlebt.» Dabei sei wichtig, ergänzt sein Nachbar, dass man der Fantasie freien Lauf lassen könne. So entstehe eine neue Welt und man erlebe, dass das, was man sich denkt, auch Wirklichkeit werden kann. Das schaffe enormes Selbstvertrauen. Ein weiterer im Kreis beschreibt, er habe hier gelernt, dass etwas zu fühlen und zu verstehen eins werden könne, dass man eine Tat, einen Menschen erst dann verstehen könne, wenn man ihn fühle. Immer wieder kommen sie auf die vielfältigen Improvisationsübungen zu sprechen: ein Tisch mit einem Wecker darauf, ein Stuhl, und jetzt mache daraus ein Geschichte, eine Geschichte, die nicht aus deinem Kopf entspringt, sondern aus den Dingen. Da lerne man, so erzählt eine Spielerin, viel über sich selbst. Auch lerne man an den anderen etwas über sich selbst. Das ist vermutlich etwas, was die klassische Schule kaum leisten kann, dass man durch die Wege und Irrwege der Mitspielenden auch selbst etwas über sich erfährt. Was denn der Unterschied zur Schule sei, frage ich. Darauf ein Junge: «In der Schule wird Können und Nichtkönnen gegeneinander aufgerechnet oder wir werden auf unsere Fehler reduziert. Hier kannst du einiges falsch machen, aber dann gelingt dir in der Improvisation ein kleiner Handgriff, eine Geste, und die zählt mehr als all die Fehler.» Man werde nicht beurteilt, nicht verurteilt, sondern man selbst sei derjenige, der wisse, was besser hätte sein können.

Wie entsteht denn solch ein geschützter Raum? «Indem keiner höher oder tiefer steht, indem alle nur sie selbst sind», antwortet ein Mädchen, und ein junger Spieler ergänzt: «In der Schule lernen wir, vor Fehlern Angst zu haben, sie zu vermeiden, hier gehören sie dazu, denn wo etwas falsch läuft, wacht man auf. Oft sind es die Fehler, durch die man einen großen Schritt machen kann.» Und was sind die schönsten Momente? «Wenn du auf die Bühne kommst und plötzlich den Benedikt nicht mehr ‹spielst›, sondern dich als Benedikt fühlst.» «Für mich, als ich hinter der Bühne noch immer Puck ‹war›, die anderen wie Puck angeschaut habe, wie Puck gehört habe.»


Aufführungen: Goetheanum, Freitag, 30. August, 6. und 20. September, Samstag, 31. August, 7. und 21. September, Sonntag, 1., 8. und 22. September, Freitag und Samstag jeweils 19.30 Uhr, Sonntag 16 Uhr.
Karten: tickets@goetheanum.ch, +41 61 7064242

Fotos: Laura Pfaehler

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