Dieser Konflikt ist grösser als die Koreanische Halbinsel.
Hat Nordkorea tatsächlich eine Wasserstoffbombe getestet? Obwohl faktisch noch unbestätigt, bleibt die nordkoreanische Aussage in sich besorgniserregend und bedauerlich, denn sie trägt zu der aktuellen weltweiten Wettrüsten-Stimmung bei und zeigt, dass trotz der Erfahrungen des 20. Jahrhundert und den Versuchen, Atomwaffen von der Erdfläche zu entfernen, heute noch ein hohes Potenzial an unsinniger Zerstörung besteht. Die einstimmige Missbilligung aller großen Mächte, inklusiv Russland und China, ist daher verständlich.
Dennoch kann diese gemeinsame Missbilligung zum Teil nicht wirklich ernst genommen werden: Einige dieser Länder, die sich jetzt empören, besitzen die größten Lager der Welt an Atomwaffen. Und wenn zum Beispiel die französische Regierung Nordkorea eines Verstoßes gegen UNO-Resolutionen beschuldigt, klingt es ein wenig absurd: Frankreich erkennt den nordkoreanischen Staat sowieso nicht an und verstößt auch selber ständig gegen das Völkerrecht, wie zum Beispiel in Libyen oder aktuell in Syrien.
Gewiss sprechen die Bilder und Zeugnisse, die zu uns aus Nordkorea kommen, von einem albtraumhaften politischen System. Es ist aber zu einfach, Nordkorea als die einzige problematische Regierung in diesem Zusammenhang zu sehen, denn dort spielen viele Mächte mit. Im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung der regionalen und globalen Verhältnisse wird die Lösung nicht von einer Verstärkung der Polarisierung kommen.
Die krasseste Polarisierung ist dort schon tägliches Brot. Die Grenze zwischen Süd- und Nordkorea, eine sogenannte ‹demilitarized zone› (DMZ) – obwohl mehr als eine Millionen Soldaten dort stationiert sind –, gehört zu den seltenen Überresten des kalten Krieges und gilt als die gefährlichste Grenze der Welt. Diese Grenze wird als ‹Metaborder› (Metagrenze) von dem Geografen Michel Foucher bezeichnet1, das heißt, eine Grenze die eine starke symbolische Dimension in sich birgt. Tatsächlich geht es in Korea nicht nur um eine lokale Grenze, sondern um eine Grenze zwischen zwei völlig unterschiedlichen Welten, zwei Strömen, die sich da frontal begegnen und auseinandersetzen. Als ob sich dort die Schatten von Ost und West, nackt, ohne Zwischenraum, begegnen würden. Ein Knoten, in dem sich die ganze Welt spiegelt.
Vor wenigen Jahren ließ der Regisseur Joël Pommerat ein künstlerisches Schaffen über die Liebe aufführen unter dem Namen: ‹Die Wiedervereinigung der zwei Koreas›. Die Liebe als Vereinigung der zwei Koreas … eine Unmöglichkeit? Oder vielleicht doch eine Möglichkeit? Jedenfalls, eine große Herausforderung.
Die zwei Koreas arbeiteten jahrzehntelang an einer möglichen Wiedervereinigung, die sogenannte ‹sunshine policy› (Politik des Sonnenstrahls). Eine konkrete Frucht davon stellt die Sonderwirtschaftszone von Kaesŏng dar, in Nordkorea, wo süd- und nordkoreanische Unternehmen zusammenarbeiten. Dieser Prozess der Wiedervereinigung ist aber sehr träge geworden, obwohl der Wille beiderseits besteht.
Dabei wird meistens die nordkoreanische Regierung als einziges Hemmnis beschuldigt. In der letzte Ausgabe von ‹Le Monde diplomatique› bringt Martine Bulard eine viel nuanciertere Darstellung der Situation.2 Sie zeigt dass zahlreiche südkoreanische Beobachter, wie der ehemalige Wiedervereinigungsminister Jeong Se-hyun, nicht in erster Linie Nordkorea beschuldigen, sondern eher die südkoreanische Regierung, die der Konflikt instrumentalisiert um innere politische Angelegenheiten zu beeinflussen. Dazu wird auch mit Fingern auf die USA gezeigt, die militärisch höchst involviert sind und ihre Auseinandersetzung mit China dort ausleben. «Sie stellen das Haupthindernis gegen eine Normalisierung zwischen den zwei Koreas dar» sagt Jeong Se-hyun. Isolieren und polarisieren bringt Radikalisierung und erhöht die Spannung. Laut Moon Chung-in, Professor für Politikwissenschaft an der Yonsei University in Seoul, sind es «die zunehmenden amerikanischen Bedrohungen die die nordkoreanische Macht zu dieser Stellung gedrängt haben». Für Koh Yu-hwan, Direktor des Instituts der Nordkoreastudien an der Universität Dongguk, wäre es besser «statt Nordkorea als Ausgestoßenen zu behandeln und sie damit zunehmend zu isolieren und in seine ideologischen Mauern einzusperren, zu versuchen, sie in die internationale Gemeinschaft zu führen und ihr zu helfen sich zu öffnen.»
Wenn ein Test der Wasserstoffbombe gemeldet wird, sollte man nicht eher ‹traurig› sein statt empört oder besorgt und das eigene Scheitern einsehen? Wissend dass diese Eskalationen nicht nur von einer Seite betrieben wird, sondern unmerklich auch von anderen ‹Spielern› voran getrieben wird, sollte Nuancen im Urteilen entstehen lassen. Nordkorea als isolierten Staat zu verstehen ist eigentlich falsch: dort spielt sich die Konfrontation ab zwischen den zwei größten Mächte der Welt – China und den USA. Es ist also vielleicht höchste Zeit, trotz der schwierigen Lage, über den eigenen Schatten zu springen und an die Möglichkeiten einer Entspannung zu glauben. Die Liebe kommt nicht von selbst, sie braucht unser Mittun.
1 Philippe Pelletier, ‹Corées, la grande déchirure›, in ‹Manière de voir› N°128, avril-mai 2013 2 Martine Bulard, ‹La réunification de la Corée aura-t-elle lieu?›, in ‹Le Monde diplomatique›, Janvier 2016