Fruchtbar einige Wochen auf Reisen weilend, war ich im inneren Gespräch mit den ausrufenden Beobachtungen, die Philip Kovce in ‹Ich meditiere nicht› (1) wie ausgehend von einem höchsten Druck erklingen ließ. Endlich sitze ich nun wieder in Ruhe am Schreibtisch, und es bestätigt sich mir die Dringlichkeit, das ‹Gespräch› in einer Form fortzusetzen, die weitere symptomvertiefende Gespräche gebären könnte.
Wachsam, frei von sich und von anderem. So charakterisiert Plotin das Eine, das den Ursprung, den Anfang aller Dinge bewirkt. (2) Diese Wachsamkeit betrachtet Plotin als Un-Grund dafür, dass jenes Eine anderes außer sich ermöglicht: Anfang von anderem, das dem Ursprung gegenüber ein autonomes Bewusstsein offenbaren kann. Wirklicher Anfang wird in einer unerschöpflich erfüllten, wachsamen Stille geboren, die als fruchtbares Nichts wirkt, das Licht authentisch neuen Seins gebärend. Diese generative Stille war Sinn und Ziel des initiatorischen Weges, den Plotin ging und den gleich ihm viele andere Meister der Spiritualität durch Pfade unermüdlicher Meditation gingen.
Durch die Geburt eines Kindes wurde der alltägliche Raum, den ich mit Meditation füllen durfte, wesentlich bis radikal eingeschränkt. Ergebnis war jedoch nicht ein Schwinden, sondern eine Potenzierung der generativen Stille in mir. Die quantitativ sowie qualitativ intensivere Begegnung mit den alltäglich irdischen Wahrnehmungen zeigte mir immer mehr das offenbare Geheimnis unsrer Gegenwart: Die wachsame, generative Stille, auf die Plotin in Bezug auf das Eine hinweist, ist vollkommen irdisch geworden; heute ist sie die wachsame Gegenwart meines Ich, wenn ich mein verstehendes Wahrnehmen des anderen als Offenbarung einer schöpferischen Wachsamkeit ernst nehmen will, die das Ich durch Freiheit von sich und von anderem verwirklicht.
Der Raum, der für die im ‹klassischen› Sinne geführte Meditation nicht mehr frei war, wurde mir durch die Geburt eines Kindes als Raum einer Wachsamkeit geschenkt, die sich im Verhältnis zur ‹klassisch› meditativen Wachsamkeit in einer umgestülpten Form und Dynamik ereignet: Ichsam leuchtende Stille, die in jedem verstehenden Wahrnehmen des anderen im Irdischen eine anfangsbewirkende Frage offenbaren kann. Diese Frage, die in dieser ichsamen Begegnung mit dem anderen ausgehend vom anderen ertönen möchte, ist deshalb authentischer Anfang, weil sie ohne die uneingeschränkte Offenheit meines Ich, jenseits der ersten, zweiten, dritten Person, nicht offenbar werden könnte.
Ist dies jene Schöpfung aus dem Nichts, auf die Rudolf Steiner bezüglich jeder Wahrnehmung und jedes Gedankens des irdisch lebenden Menschen hinweist? (3) Ist dies jener Lichtseelenprozess, den er als Substanz einer zukunftsträchtigen Gestaltung des Sozialen betrachtete? (4)
Was kann, in unsrer Gegenwart, anthroposophische Meditation sein? Vielleicht auch der Versuch, die ‹klassisch› meditative Haltung immer mehr zu einer meditativen, das heißt, heute, ichsamen Durchdringung des Nicht-Meditativen zu verwandeln? Eine solche Durchdringung verlangt eine im prägnanten Sinne imaginative Tätigkeit, deren Ursprung allein ich, wie in einem metamorphosierten sokratischen Geist, gebären kann. Deshalb ‹gebären›, weil die Imagination dieses Ursprungs in der Gegenwart abgründig schmerzt, und immer mehr schmerzen wird, da der kulturelle, politische, wirtschaftliche Mainstream immer mehr ihre Grundlagen zu zerstören trachtet. Für dieses Streben sind die Meditations-Apps ein besorgniserregendes Symptom, denn sie möchten sogar die – in Steiners Worten – einzig wirklich völlig freie Handlung in einer Dynamik verfangen, die zur unfruchtbaren, geistlosen Passivität der Seele einlädt. Das Erscheinen dieses Symptoms – und vieler anderer – wäre jedoch ohne eine flächendeckende Digitalisierung unmöglich gewesen, die sogar von den allermeisten Vertretern der spirituellen Strömungen ihre tieferen Wirkungen betreffend leider nicht bloßgestellt wird.
Wem dienen die inzwischen schier unendlichen Meditationskurse und -schulen, wenn die Seele gleichzeitig von ihrer gesunden, ichsam irdischen Wahrnehmung und somit von der authentischen Imagination immer mehr abgekoppelt wird? Wird dadurch nicht immer mehr ein verheerender Kurzschluss zwischen seelenloser Leiblichkeit und ichloser Geistigkeit gefördert, der den Menschen in einen Zustand der permanenten Psychose einkerkert? Ist es nicht immer dringender, dass wir konsequent einen Alltag imaginieren, der als Meditieren der Nicht-Meditierenden erlebt und gestaltet wird?
«An dem Ich-Erlebnis kann erkannt werden, dass das Menschenwesen aus sich heraus einen Organismus gestaltet, der in sich das Bild eines gleichen fremden Ichs gegenwärtig machen kann.» (5) Wie können wir so handeln, dass dieser Organismus nicht kümmerlicher, geistloser Stumpf bleibt?
(1) Das Goetheanum 9, 2. März 2018
(2) Enneas VI 8.16 und 19
(3) Rudolf Steiner, GA 107, 17.6.1909
(4) Rudolf Steiner, GA 194, 30.11.1919
(5) Rudolf Steiner, GA 45, S. 186
Fotos: Julien Bernard-Grau
Projekt von Nana Woo, ‹Eurythmy Pilgrimage› Eine Reise zu erforschen, zu hinterfragen und zu meditieren: «Was ist Mensch in dieser Welt?» Mit dem Bewusstsein für die Umgebung, die Umwelt und die Menschen.
Ja, wohl interessant zu lesen, wiewohl ich der Sprachgebrauch als sehr ‚wollig‘ empfinde, wie aus einer anderen Zeit. Ich nehme an, dass dieser Herr sehr viel ‚denkt‘ und demnach auch vieles behauptet. Gerade dass was er anstrebt, als ‚Stille‘ fehlt mir dann doch. Und ich dachte es gehoert zur (Anthro-) Vergangenheit, ‚feindliche Maechte‘ zu benennen als Widersacher des eigenen Strebens?