Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Burn-out-Phänomen und unserem Verhältnis zum Körper?
Der Titel war der ausschlaggebende Punkt, das Buch in die Hand zu nehmen, zumal es im Verlag Freies Geistesleben in der Sonderedition ‹Oktaven› erschienen ist und ich erwartete, eine neue anthroposophische Position zur sonst so wenig erwähnten und bedachten Körperlichkeit zu finden. Umso überraschender war, dass die noch recht junge Autorin (1988) über das Phänomen des Burn-outs schreibt, welches ja zumeist über die Psyche behandelt wird. Bregje Hofstede hat selbst ein Burn-out erfahren und sich dabei nach ihrem eigenen Verhältnis zu ihrem Körper befragt. Sie stellt die These auf, dass es auch eine Ursache am ‹Ausgebranntsein› gibt, die sich vom Umgang mit unseren Körpern herleiten lässt. Ausgehend von ihrer Erfahrung untersucht sie selbstkritisch und persönlich, wie sehr sie sich über ihren Geist identifiziert und auf diesen reduziert hat, und kommt, auch als Schriftstellerin, zu Gedanken wie: «Solange ich nicht wage, diesen Körper zuzulassen, bleiben meine Euphemismen die verbale Verlängerung meiner Nackenschmerzen. Erst will ich noch die tantrische Poetik studieren. Die Grammatik der Nerven, den Mittel- und Endreim der Körper, Ernährungsempfehlungen gegen literarische Verfehlungen.»
Gespickt mit kurzen Geschichtsgängen wird das Verhältnis von Körper, Seele und Geist angeschaut, um den vermeintlichen Dualismus Körper-Geist zu durchbrechen. Phänomene unserer heutigen Welt wie Digitalisierung, Technisierung und Optimierung – auch des Körpers zugunsten einer höheren Leistungsfähigkeit – finden dabei Berücksichtigung. Sie zitiert Geistesgrößen wie Foucault, Susan Sontag, den japanischen Schriftsteller Sakaguchi oder Sartre.
Ein ganzes Kapitel widmet die Autorin dem Spazierengehen, dem Schlendern: das Gehen als Elixier von Kreativität und Verzicht auf Kontrolle und materiell gedachte Produktivität, als ein Lauschen auf den Gedankenfluss, der sich einstellt, wenn man dem Körper zu seinem Recht zum Beispiel auf Bewegung verhilft. Der Körper als Seismograf und Mitbestimmer unseres Geistes und unserer Seele, ein Zuhause, was gepflegt und bedacht sein will. Ganz langsam bricht beim Lesen etwas auf und natürlich beginnt sich der Lesende parallel selbst zu befragen.
Am Ende des Buches und ihrer ‹Burn-out-Überwindung› reist Hofstede nach Israel und wünscht sich kurzweilig noch einmal, ohne Körper zu sein, vor allem im Kontext der weiblichen Körperlichkeit, die sie schneller zu einem Objekt macht. Aber auch hier lässt sie sich ein auf Begegnungen, Gespräche und Situationen, in die sie vor allem ihre äußere Erscheinung, ihr Körper gebracht hat. «Der Körper kann die eigene Welt nicht nur schrumpfen, sondern auch wachsen lassen.»
Das Buch ist ein persönlicher Bericht und auch der Spiegel einer Generation, die aus eigenen Wahrnehmungen und Gedanken neue Selbstverhältnisse erringt. Es ist nicht in dem Sinne grandios, dass es tiefe philosophische Weisheiten und neue Erkenntnisse vermittelt, die womöglich wieder nur über den Kopf, das Denken vermittelt werden würden. Aber durch die Unmittelbarkeit des Persönlichen trifft es vielleicht am ehesten sein Thema. Denn auch in unserem Körper gibt es eine Unmittelbarkeit, die wir, nach Hofstedes These, oft übergehen und dadurch ein gesundes Sein in uns selbst verlieren. Insofern ist das Buch ein Ruf ins Jetzt, auch ein Appell an Weisheiten, die im Körper, in der physischen Welt selbst liegen und nicht innerhalb eines imaginären Raumes zu erfahren sind. Gilda Bartel
Buch Bregje Hofstede, Die Wiederentdeckung des Körpers, Freies Geisteslebeben, 2020, ISBN 9783772530180
Titelbild: Bregje Hofstede, Foto: © Willemieke Kars