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Nahrung aus glücklichen Samen macht gesund!

‹Happy seeds for healthy food› war das Motto einer Konferenz, die vom 2. bis 5. November 2018 in der ehemaligen Römerstadt Idanha-a-Velha in Portugal stattfand.


Dass die Qualität von Saatgut und Nahrung den Menschen gesund machen soll, eröffnet eine Perspektive, die Gesundheit in eine direkte Beziehung zum Umgang mit Erde und Natur setzt – wenn man ‹glückliche Samen› als Ergebnis einer respektvollen Kultivierung von Pflanzen sieht, die deren Art und Würde achtet. Dass der Mensch als Mikrokosmos den ihn umgebenden Makrokosmos abbildet, ist heute nicht mehr ein Credo von alternativmedizinisch inspirierten Anhängern von Paracelsus oder Rudolf Steiner, sondern es wurde in den letzten zwei Jahrzehnten durch die Erforschung des Darm-Mikrobioms zur handfesten Tatsache: Mehr als 1000 nachgewiesene Mikrobenarten besiedeln unseren Darm und bilden dort ein höchst komplexes individuelles Ökosystem. Es reagiert sehr sensibel auf jede Art von Nahrungssaft und ist über das sogenannte enterische Nervensystem, das unsere Darmwand mit Millionen von Nervenzellen durchzieht, mit allen unseren Organen, mit Gehirn und Nervensystem funktional verbunden. Wenn demnach unsere Verdauung nicht einfach auf chemischen Vorgängen beruht, sondern faktisch durch ein System von Tausenden interagierenden Lebewesen vermittelt wird, wird die Annahme kausaler Wirkungen von Einzelstoffen im Organismus problematisch. Auch in einem wissenschaftlich aufgeklärten Bewusstsein wird dann die Neugier geweckt, ganzheitliche Ernährungssysteme zu prüfen, die zum Teil auf Jahrtausende bewährter Praxis zurückblicken können. Das Thema verdient unsere Aufmerksamkeit, wo immer es zur Sprache kommt, in diesem Fall in einer ländlichen Region, der ersten zertifizierten Bioregion Portugals.

Wer die knapp dreistündige Reise von Lissabon auf sich genommen hatte, konnte eine Fülle von Aspekten einer gesunden Ernährung erleben. Einer davon: Essen verbindet. Für die Veranstaltung hatte sich der Verein für historische Stätten Portugals mit der Gemeinschaft Sementes Vivas, die organisches Saatgut produziert, und der Gemeinde Idanha-a-Nova zusammengetan.

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Tragende Säule einer Nahrung, die Körper und Seele gesund hält, ist ein intensives persönliches Engagement bei der Zubereitung und bei der Beschaffung der verwendeten Nahrungsmittel.

Eine Ernährung, die auf die spezifischen Bedürfnisse des Menschen ausgerichtet ist, kommt ohne Verbote oder Regeln aus, setzt aber eine intime Kenntnis der menschlichen Konstitution voraus. Damit charakterisierte Hermann Spindler, langjähriger Küchenchef der Lukasklinik, das anthroposophische Ernährungskonzept als sehr freilassend. Tragende Säule einer Nahrung, die Körper und Seele gesund hält, ist ein intensives persönliches Engagement bei der Zubereitung und bei der Beschaffung der verwendeten Nahrungsmittel. Deren Qualität wird weniger nach den enthaltenen Substanzen als vielmehr nach den ‹Lebenskräften› beurteilt, die sie dem Organismus bei zeitnaher und schonender Zubereitung vermitteln können. Ernährung beeinflusse nicht nur die körperliche Gesundheit, sondern auch die seelische und geistige Entwicklung und sei eine höchst individuelle Angelegenheit. Obwohl etwa bei Kindern anhand des Temperamentes bestimmte Nahrungsmittel empfohlen werden können, sei die Erforschung der eigenen spezifischen Nahrungsbedürfnisse durch Selbstbeobachtung einer Ernährungsberatung durch Dritte vorzuziehen.

Dass eine grobstoffliche Bewertung der Ernährung nach dem Kalorienbedarf zu kurz greift, wurde im Beitrag von Nils Nölle von der Universität Hohenheim deutlich. Seine Arbeitsgruppe untersucht das Problem des ‹versteckten Hungers›. Auch wenn kein Kalorienmangel vorliegt, kann die Qualität insbesondere von industriell hergestellten Lebensmitteln so unzureichend sein, dass es aufgrund des Mangels an Mikronährstoffen zu Beeinträchtigungen der Gesundheit bis hin zu lebensbedrohlichen Mangelerscheinungen kommt.

Im Ayurveda – übersetzt ‹die Wissenschaft vom Leben› – ist die Ernährung der Schlüssel für körperliches und seelisches Wohlbefinden. Wie Ana Cadima ausführte, können wir über die Wahl der Lebensmittel Ungleichgewichte in unserer Konstitution ausgleichen und unsere Emotionen beeinflussen. Die chinesische Lehre von den fünf Elementen, präsentiert von TCM-Beraterin Isabella Obrist, schließt in die Ernährung über die Nahrungsmittel hinaus ein, was Rudolf Steiner als kosmische Ernährung bezeichnet: sinnliche und emotionale Erlebnisse. Rosalina Silva vom Institut für Makrobiotik in Lissabon stellte die Makrobiotische Ernährung vor, die aus Japan stammt und das Getreide ins Zentrum stellt. Zahlreiche Studierende besuchen das Institut, um sich in dieser Ernährungsweise auszubilden.

Alle diese ganzheitlichen Ernährungssysteme stimmen darin überein, dass sie eine Erziehung der Sinne verfolgen, die für die Bedürfnisse des Körpers wach macht. Schmecken und Riechen werden dabei so sensibilisiert, dass das, was gesund ist, auch Freude macht, und umgekehrt. Auch bezüglich der Bedeutung einer bodenerhaltenden Anbauweise sowie der Verwendung lokaler und saisonal angepasster Lebensmittel herrschte Übereinstimmung. Das Essen, so die allgemeine Botschaft und das Erlebnis dieser Konferenz, ist gesund, wenn es als Brennpunkt des sozialen Miteinanders und der Lebensfreude gehandhabt wird.

Ein weiterer Aspekt, nämlich dass Essen ein täglich zu feierndes Fest der Sinne ist, wurde in der Schönheit des Ortes spürbar: Die Ästhetik der historischen Gebäude, in denen Workshops, Rundtischgespräche und Verkostungen stattfanden, trug ebenso zum Festcharakter bei wie Konzerte, Zirkus und die kulinarischen Höhepunkte, die man auf dem Markt und in den Workshops genießen konnte. Es war eine Ernährung für alle Sinne, für Körper und Geist, angeboten, die bei Referierenden und Publikum die Einheimischen mit den von weither Angereisten verband.


(1) Hardmuth, T., 2017: Mikrobiom und erweiterter Organismusbegriff. Jahrbuch für Goetheanismus, Tycho de Brahe Verlag, S. 35–70.
(2) Obrist, I., 2017: Glücksrezepte. Lebensfreude und Genuss nach den fünf Elementen. Esslingen.

Foto: Shaun Holloway

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