Eingebettet in einen Liebeleib

Dieser Text wurde zunächst als Leserbrief zum Interview mit Karin Michael über das Buch ‹Grundlegendes …› in ‹Goetheanum› 35/2025 verfasst. Ein weiterer Kontext ergibt sich durch ‹Goetheanum› 39–40 über das Wesen der künstlichen Intelligenz. Was ist ein Gedanke?


Das Buch ‹Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst› (GA 26) ist ein Mysterienbuch und als solches in seiner ganzen Besonderheit in der heutigen Zeit schwer zu fassen und zu charakterisieren. Das Menschenwesen – namentlich der Ätherleib des Menschen, dessen Kräfte zum Heilen so entscheidend sind – wird dort nicht nur beschrieben und damit eine spirituelle medizinische Menschenkunde begründet und systematisch dargestellt, sondern das Denken selbst des Arztes, der sich aufmerksam und geduldig auf die Gedankenführung, die Wortwahl, den Satzbau und die ganze Komposition der Kapitel einlässt, wird verwandelt resp. verwandelt sich allmählich zum Erfassen des Lebendigen hin. Das wird gleich zu Beginn, im zuletzt vorangestellten ersten Kapitel, als ein wesentliches methodisches Prinzip angegeben: dass die Verstärkung der Denkkraft (die durch die gedankliche und sprachliche Struktur jedes dieser Kapitel unmittelbar herausgefordert wird) zu einer zunächst innerlichen, dann aber auch zu einer äußeren Wahrnehmung des Ätherischen führt.

Könnte nicht eine gültige Antwort auf Wolfgang Helds Frage nach der ‹Liebe› in diesem ärztlichen Grundlagenbuch auch diese sein: dass die lebendige Äthersubstanz, die aller Heilung zugrunde liegt und auch aller lebendigen Denkbemühung, ja gar nichts anderes ist als reine schenkende Liebe? Das sagt Rudolf Steiner selbst in dem Vortrag über ‹Glaube, Liebe, Hoffnung – drei Stufen des menschheitlichen Lebens› in Nürnberg am 2. Dezember 1911 (GA 130): «Und so wie wir eingebettet sind in einen Glaubensleib, den wir auch von anderen Gesichtspunkten aus den Astralleib nennen, so sind wir eingebettet in einen Liebeleib, den wir von anderen Gesichtspunkten aus in der Geisteswissenschaft als den ätherischen Leib oder den Lebensleib zu benennen gelernt haben. Denn die Kräfte, die zunächst aus den Tiefen unseres Wesens heraufwirken zu uns aus unserem Ätherleib, sind die Kräfte, die sich dadurch ausdrücken, daß der Mensch lieben kann, lieben auf allen Stufen seines Daseins.»

In dieser Liebekraft und Liebefähigkeit des Menschen wirkt geistiges Sonnenlicht und uralte Sonnenkraft: «Erinnern wir uns nun, daß der Mensch auf der alten Sonne den Ätherkörper in der Anlage bekommen hat, daß dieses Feurige, Lichtvolle, Glänzende der Sonne Anlage ist des Ätherleibes. Darin ist nur eine andere Seite der Liebe gegeben, das, was die Liebe im Geiste ist: Licht ist Liebe. Im Ätherkörper ist uns also die Liebe und die Liebessehnsucht gegeben, und wir können den Ätherkörper mit Fug und Recht nennen den Liebesleib: Licht und Liebe.» So Rudolf Steiner in Wien am 14. Juni 1911 (GA 127).

Der organische Aufbau der Motive und Kapitel ist ja ein Ausdruck der Lebendigkeit der Gedankensubstanz in diesem Buch, ähnlich wie auch in den ‹Anthroposophischen Leitsätzen› und dazugehörigen Briefen über das Michael-Mysterium aus diesem letzten Lebensjahr Rudolf Steiners. Er ist schon sterbenskrank, «eigentlich auf Erden schon gestorben», wie er sich gegenüber Ita Wegman ausdrückte (laut Peter Selg 2017 und 2019 im ‹Goetheanum›), sein von höchster Gedankendifferenzierung durchdrungener Ätherleib beginnt sich zu lösen oder ist schon gelöst, wie sonst bei Sterbenden oder in den ersten Tagen nach dem Tod eines Menschen. Die Qualität und das Licht dieser ausströmenden Äthersubstanz sind ja manchmal wahrnehmbar um ein Sterbe- oder Totenbett – der sehr genau beobachtende Schweizer Künstler Ferdinand Hodler hat sie als Rosen und später in Purpurfarbe angedeutet in den Bildern seiner Geliebten Valentine Godé-Darel. Lebt nicht in der unerhörten Komplexität, Lebendigkeit und Reinheit der gedanklichen Motive der beiden letzten Bücher Rudolf Steiners die Qualität der lebendigen leibbildenden Äthersubstanz dieses Menschen in verwandelter und gegenüber allem Vorherigen nochmals gesteigerter Form?

So würde sich auch noch einmal neu und anders verstehen lassen, welches Potenzial die Orientierung am Buch ‹Grundlegendes …› für die ärztliche und therapeutische Gemeinschaftsbildung auf dem Boden der Anthroposophie birgt, und auch für den gesunden Kräftehaushalt jedes Einzelnen in seiner therapeutischen Aufgabe; und ganz neu auch, in welchem Sinne die ‹Leitsätze› real konstituierend für die anthroposophische Gemeinschaftsbildung wirken, überall in der Welt, wo daran gearbeitet wird.

Gegenüber den mittels KI verfassten Texten lassen sich dann auch einige Fragen neu stellen. Eine der wichtigsten: Können wir so urteilsfähig werden gegenüber der Qualität von Gedankenbildung, dass wir deutlich unterscheiden können, ob sie belebt und Neues anregt oder nur aus Altem zusammengestellt ist? Bei den Texten in einer Tageszeitung, deren Erarbeitung mit KI jeweils am Ende des Artikels angegeben wird, kann ich es (noch) erkennen.

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