Michael Kurtz hat sich auf die Reise begeben, das Wesen des Musikalischen in den Texten Rudolf Steiners zu suchen, und eine überzeugende Methode gefunden. Die Auszüge aus den Vorträgen hat er zusammengetragen und in die sieben Kapitel seines Buches geordnet. Fragen und Zwischentexte erleichtern dem Leser, Zusammenhänge zu finden. Es bedarf allerdings eigener Fragestellungen zum Musikalischen, um den Texten angemessen folgen zu können.
Von den alten Hochkulturen ausgehend über die griechische Antike bis hin zum christlich geprägten europäischen Mittelalter spielte die Musik eine selbstverständliche und klar definierte Rolle. Heute leben wir in einer Musikwelt, in der jede/r Komponist/in einen eigenen Musikbegriff entwickelt. Zum Beispiel Karlheinz Stockhausen und sein Stück ‹Studie I›, mit dem er das Tor zu einer Welt aller nur denkbaren synthetischen Töne und Geräusche aufgestoßen hatte; oder der Beherrschung des akustischen Tonmaterials gegenüberstehend und die zen-buddhistische Geste des völligen Loslassens vollziehend John Cage mit seinem ‹Tacet›-Stück ‹4‘33›.
Von Sphären zu Beethoven
Das Buch beginnt mit den geistig klingenden Sphärenharmonien, in denen der Mensch im Schlaf zwischen Tod und neuer Geburt verweilt, wie es Rudolf Steiner ausführt. Dann folgt der Zusammenhang der Sphärenmusik zum Menschen, da die innere und die äußere Gestaltung Wirkungen dieser Welt sind. Die musikalische Kunst selbst steht in ihrer Berührung mit dieser Welt, wenn vom schöpferischen Menschen Töne geformt werden. Seit 1915 gab Rudolf Steiner Anregungen für ein neues Komponieren, wie es sich aus dem Erleben des einzelnen Tones gestalten kann. Deshalb wird auch das Augenmerk auf die Intervalle und ihre jeweiligen Qualitäten gelenkt. Dann ist ein Kapitel dem musikalischen Hören und Erleben gewidmet. Dieses Phänomen spielt sich zwischen dem Akustischen und dem Seelisch-Geistigen ab. In seinem Buch ‹Von Seelenrätseln› weist Rudolf Steiner auf den Zusammenhang des Musikerlebens mit dem rhythmischen System des Menschen hin.
Das sechste Kapitel behandelt die Musikauffassung von Goethe und Schopenhauer. Die phänomenologische Herangehensweise von Goethe an die Musik erschien Steiner deshalb von Bedeutung, da sie für ihn ein Empfinden hatte, das «auf geisteswissenschaftlich-anthroposophische Wege ging». An Schopenhauers Hauptwerk ‹Die Welt als Wille und Vorstellung› schätzte Steiner dessen klare und treffende Darstellung zur Kunst der Musik, weil hier seiner Auffassung nach der unbewusste menschliche Wille wirke und seinen Ausdruck im musikalischen Ton selbst finde. Das siebte Kapitel bespricht verschiedene Komponisten, vor allem Richard Wagner, dem zwei Geister zur Seite standen, Beethoven und Shakespeare. Steiner schätzte Beethovens Musik sehr hoch ein. Auf eine Frage nach der ‹Mission von Beethovens Symphonien› des Pianisten Walter Rummel (1887–1953) wird als Antwort überliefert: «Durch sie werden die höheren Wesensglieder des Menschen vorbereitet, die Menschen müssen es erst auf dem Wege der Musik lernen.»
Wahlverwandtschaft
Rudolf Steiner erlebte seine eigene Musikanschauung an der des Wiener Komponisten Josef Matthias Hauer (1883–1959), des Antipoden Arnold Schönbergs in der Zwölftonmusik. Steiner: «Ich musste, während ich über dieses Toneurythmische zu Ihnen sprach, öfters an einen eigentlich recht bedeutenden österreichischen Musiker der Gegenwart denken, […] der in Wiener Neustadt geboren ist und sich mit einer ungeheuren Vehemenz entgegenstellt der ganzen modernen Musik, die er die schlechte europäische Musik nennt. Das ist eine interessante Erscheinung, eine Erscheinung, die eigentlich ganz besonders den Eurythmiker interessieren sollte.» Hauer hatte sehr früh Musizieren gelernt, zwischen seinem 5. bis 9. Lebensjahr, namentlich Zitherspielen. Er war weit gekommen, hatte sich die Anschauung errungen, dass man eigentlich nicht viel braucht, um sich all das anzueignen, was man gegenwärtig Musik nennt. Steiner: «Ich sagte, das eigentlich Musikalische, das Geistige in der Musik ist zwischen den Tönen, liegt in den Intervallen, ist dasjenige, was man nicht hört. – Hauer spricht geradewegs von der atonalen Musik. Und damit berührt er etwas, was außerordentlich gut stimmt. Er denkt daran, wie in der Erregung des Tones, in der Erregung des Akkordes eigentlich ein bloß Leidenschaftliches oder Sinnliches liegt, ein bloßes Hilfsmittel, um das unhörbare Melos, das das innerste Leben der Seele des Menschen darstellt, zum äußeren Ausdruck bringen zu können […].» Bis zur eurythmischen Gebärde konnte Hauer jedoch nicht gelangen.
In dieser Weise gibt das Buch von Michael Kurtz einen schönen innerlichen Überblick über das Hör- und Sichtbare in der Musik. Wer sich vertiefen möchte, wird finden, wie einfühlsam die verschiedenen Zitate aus dem Werk Steiners von Kurtz vermittelt und verbunden werden. Ein sehr schönes Erlebnis!
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Buch Rudolf Steiner, Die Welt der Musik: Ausgewählte Texte, Herausgegeben und kommentiert vom Michael Kurtz, Rudolf Steiner Verlag, 2012, 224 Seiten
Titelbild: Johanna Vogt
Alles sehr beeindruckend. Die Welt der Musik is ja heute so Herz ergreifend und gibt uns unendliche Freude. Da kann man verstehen, dass Andras Schiff keinen Stockhausen spielt. In der Welt der Kunst ist das Chaos eingezogen und wird vom Zeitgeist dominiert. Wie es in der Natur am Himmel Wolken gibt, Wolken der Kultur, so gibt es auch Zeiten ohne Wolken, ohne jegliche Kultur wie das in der ägyptischen Zeit öfters der Fall war.