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Die Bühne der Seele leise werden lassen

Gespräch zur Meditation mit Simon Reakes.


Wie hast du angefangen zu meditieren?


Simon Reakes’ Hintergrund ist Ho­möopathie, kontemplative Praxis und Meditation. Ausgehend vom Field Centre (Ruskin Mill Trust Education Center), unterrichte­­te er angehende Heilpädagogen, Landwirte und Lehrer in Kursen zur Biografie Rudolf Steiners und zu den Grundlagen der Anthroposophie und gab Einführungen in die goetheanistische Wissenschaft. · Zeichnung Nathaniel Williams

Simon Reakes’ Hintergrund ist Ho­möopathie, kontemplative Praxis und Meditation. Ausgehend vom Field Centre (Ruskin Mill Trust Education Center), unterrichte­­te er angehende Heilpädagogen, Landwirte und Lehrer in Kursen zur Biografie Rudolf Steiners und zu den Grundlagen der Anthroposophie und gab Einführungen in die goetheanistische Wissenschaft. · Zeichnung Nathaniel Williams

Mit ungefähr achtzehn Jahren war ich an zwei Lebensbereichen interessiert: Zunächst faszinierte mich der Ansatz des Existenzialismus und ich las begierig Jean-Paul Sartres ‹Das Sein und das Nichts›, wo er über die ‹condition humaine› spricht; was es bedeutet, heute Mensch zu sein. Zudem interessierte mich Literatur zur tibetanischen buddhistischen Tradition. Mich faszinierten die Praktiken und Ideen, die sie über die Welt und das Leben pflegen. Ich las über schamanistische Praktiken; über Reisen in andere Welten. Mit Sartre interessierte mich: Was erlebt und erfährt der heutige Mensch wirklich und eigentlich? Etwa Einsamkeit, Isolation und die pure Tatsache des Seins. – Beide Richtungen verband meine Frage, wie man sich heute mit der spirituellen Welt auseinandersetzen kann. Und außerdem wollte ich wissen, was dem Menschen im Herzen der alltäglichen Realität begegnet. War das nicht auch eine spirituelle Erfahrung?

Später las ich ausholender spirituelle und esoterische Literatur, und mit Mitte zwanzig begegnete ich Rudolf Steiners Werken. Ich erinnere mich, wie ich zum ersten Mal seinen Namen in einem Gespräch gehört habe und sofort dachte, ich muss rausfinden, wer dieser Mann ist und was es mit ihm auf sich hat. Kurz nach dem Studium seiner ‹Theosophie› kaufte ich ein Exemplar von ‹Anweisungen für eine esoterische Schulung›. Darin werden Steiners frühe Meditationsanweisungen dargelegt. Ich dachte, dass ich gerne mit den Grund­übungen für den Morgen und den Abend beginnen würde. Also machte ich einen Übungsplan, der nach dem frühen Aufwachen Zeit vorsah, in der ich mich der Meditation widmen konnte, bevor mir andere Gedanken kamen. Und daran hielt ich mich.

Allerdings entdeckte ich etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte: Ich fand heraus, dass ich ein sehr geringes Konzentrationsvermögen besaß. Ich war gefangen in einem eilenden Gedankenkarussell, mit all den üblichen Ablenkungen: Gedanken über Welt, Ängste und Sorgen. Ich merkte: Meditation ist nicht einfach. In meinem Umfeld gab es niemanden, an den ich mich wenden konnte, mit dem ich diese Hindernisse hätte besprechen oder fragen können, wie man überhaupt ein meditatives Verfahren Tag für Tag entwickelt. – Damals waren Gespräche über Meditation eher ein Tabu. Man meditierte im Privaten. Daher überrascht es im Nachhinein nicht, dass mich diese meditative Praxis nach einer Weile enttäuschte. Ich dachte: Ich kann das nicht. Dennoch wollte ich meditieren. Ich hatte mich für den Weg der Anthroposophie entschieden, doch für diesen Weg fehlte mir ein klarer, unterstützender Ablauf. Ich wusste natürlich, ‹was› ich tun sollte, nur war mir unbegreiflich, ‹wie› ich es anstellen sollte.

Wie hast du Hilfe gefunden?

Mit ungefähr dreißig ging ich für einen Monat in einen buddhistischen Tempel. Während dieses Monats bekam ich von erfahrenen Meditationslehrern sehr genaue Anweisungen. Für mich entdeckte ich, dass der direkte menschliche Kontakt genau der Ansatz war, den ich brauchte. In dem Ruheort übten wir Vipassana; den Geist zu beruhigen und einfach zu sein mit dem, was ist, oder mit dem, was wird. Es gab morgens, mittags und abends jeweils eine Sitzung. Am Ende des Monats wusste ich, dass ich es schaffen konnte. Ich war tatsächlich imstande, zu meditieren. Paradoxerweise wurde mir im gleichen Moment bewusst, dass buddhistische Meditation nichts für mich ist. Die philosophischen Wahrheiten des Buddhismus, dass alles nicht von Dauer und leer ist und der Mensch ein Nicht-Selbst ist, fanden bei mir und meinem Verständnis von und Erfahrung mit Anthroposophie keinen Anklang. – Doch aus dieser Begegnung habe ich viel mitgenommen und bin bis zum heutigen Tage äußerst dankbar für diese Erfahrung. Es gab mir etwas, was mir in der anthroposophischen Gemeinschaft gefehlt hatte. Ein großer Teil davon bestand einfach darin, dass man sich über Meditation und die Fragen, die sich daraus ergeben, austauschen konnte: Wie mache ich das? Welche Position soll ich einnehmen? Wenn ich mich nicht auf den Atem konzentriere, worauf dann? Wie gehe ich mit Ablenkung um? Wie mit Müdigkeit? Diese Fragen offen und ehrlich mit anderen zu teilen, war immens hilfreich. – Nach diesen positiven Erfahrungen kehrte ich zu Steiners Werken zurück und wählte eine bestimmte Meditation aus, mit der ich seither arbeite. In wenigen Fällen arbeite ich mit anderen Versen Steiners, doch mich begleitet dann immer das Gefühl, dass ich diese eine Meditation nicht ganz ausgeschöpft habe, und ich kehre wieder zu ihr zurück.

Warum meditierst du?

Um den Faden mit den zwei Lebensbereichen wiederaufzunehmen, lautet eine Antwort: dass Meditation den existenziellen Lebensbereich mit dem des spirituellen Werdens in Einklang bringt. Durch kontinuierliche Meditation merke ich, wie ich im täglichen Leben wacher, klarer und offener werde. Meditation bringt Ruhe ins emotionale Leben, Klarheit in die Gedankenwelt und auch ein Element der kreativen Entscheidung in das Leben selbst. Grundsätzlich glaube ich, dass Meditation eine Reise zum wahren Selbst ist, oder anders ausgedrückt, eine Reise hin zur Realisierung des Selbst. Wir haben Aspekte in uns, die kommen und gehen: Emotionen, Gedanken, Stimmungen, Aspekte unserer Persönlichkeit. Doch diesen Veränderungen liegt ein beständiges, dauerhaftes Selbst zugrunde. Diesem können wir uns durch hingebungsvolle Meditation annähern, sodass wir uns Monat um Monat, Jahr um Jahr der Erfahrung nähern, ein echtes ‹Ich› zu sein. Meditation begleitet uns in unserem Werden.

Was ist die grundlegende Meditationsübung?

Im Kern ist es sehr einfach. Es bedeutet, an einen Ort der Stille zu gehen, einen Ort, an dem man den Inhalt der Seele, des mentalen und emotionalen Lebens zur Ruhe kommen lässt. Man könnte es damit vergleichen, dass man die Bühne der Seele leise, klar und gelassen werden lässt. In dieser Phase kann man eine stabile Aufmerksamkeit entwickeln. Diese stabile Aufmerksamkeit muss dann zu einer anhaltenden und nachhaltigen Aufmerksamkeit werden. Es ist ein tieferer Zustand, in dem es zu weniger Unterbrechungen im Bewusstsein kommt. Die Seele hat sich von der Sinneswelt abgewendet, die Erinnerungen an die physische Welt und mentale Inhalte werden blasser.

Der nächste Schritt liegt darin, mit einem Meditationsobjekt zu arbeiten. In meinem Fall ist es ein Vers Steiners. Der gewählte Inhalt wird auf die Bühne der Seele platziert. Ich versuche, so hingebungsvoll wie möglich in diesem Vers zu leben, damit ausschließlich das Meditationsobjekt als Inhalt den Raum meiner Seele ausfüllt. Nachdem dies geschehen ist, kann die Seele dieses Objekt loslassen und Leere entstehen lassen.

Dieser neu geschaffene leere Raum ist zugleich ein aktiver Raum. Es ist ein Ort der Konzentration; nicht aber von angestrengter Konzentration, sondern eine vertiefte anhaltende Aufmerksamkeit. Hierauf folgt eine Phase, in der man seine Aufmerksamkeit auf diesen aktiven und empfänglichen Raum lenkt, um zu erkennen, was entsteht. Und wenn etwas erscheint, dann ist es Gnade. Die Auseinandersetzung mit diesem Akt der Erscheinungen auf der Bühne der Seele ist sehr sensibel. Es bedarf einer großen Offenheit: leises, aufmerksames Zuhören und Innehalten, und zudem verlangt es danach, alles zuzulassen, was kommen mag.

Nach einer gewissen Zeit setzt ein sachtes Nachlassen dieser anhaltenden Aufmerksamkeit ein. Man löst sich von dem Zustand und die Meditation kommt zu einem natürlichen Ende. Es folgt ein Gefühl der Dankbarkeit, eine leise Erkenntlichkeit, bevor die Sitzung schließlich endet.

Ein unvergesslicher Moment der Living-Connections-Tagung?

Ich wähle die improvisierte Musik. Ich habe die Atmosphäre, die diese Musik geschaffen hat, sehr genossen. Durch die Improvisation war sie einzigartig, nicht wiederholbar. Ich denke, dass die Konferenz eine andere gewesen wäre ohne die spezifische Stimmung, die die Musik kreierte. Dafür bin ich sehr dankbar. Sie bereitete den Boden für etwas sehr zartes, das unsere Treffen begleitete. Die Musik schuf eine neue Seite, auf der etwas erscheinen konnte. Aus der Improvisation folgte ein wunderschönes zwischenmenschliches Wechselspiel, ein wahrlich menschliches Treffen – und das im weitesten und umfassendsten Sinne dieser Welt. Die Tür zu diesen Treffen wurde durch die improvisierte Musik geöffnet.  

Meditation bringt den existenziellen Lebensbereich mit dem des spirituellen Werdens in Einklang.

Simon Reakes arbeitet als Künstlerischer Leiter im Rudolf Steiner House London. Kürzlich vollendete er seinen Master of Science in Practical Skills Therapeutic Education an der uwe Bristol mit einer Forschungsarbeit zur Phänomenologie gelebter Erfahrung in Beziehung zum Begriff ‹Spirit of Place›. Gegenwärtig studiert er an der University of Wales, wo er einen Masterstudiengang in Religiöser Erfahrung absolviert, der sich auf die Entwicklung der anthroposophischen Meditation von 1903 bis 1925 konzentriert und darauf, wie Steiners Meditation, Konzentration und kontemplative Praktiken im Lichte der heutigen Forschung verstanden werden können.


Aus der Sackgasse

Diese Gespräche zur Meditation knüpfen an die Sommerkonferenz ‹Living Connections› an, in der erstmalig am Goetheanum Medi­tation öffentlich mit verschiedensten Zugängen behandelt wurde. Simon Reakes hat das Privileg, derjenige zu sein, der den Grundstein für den Konferenztitel gelegt hat.

Die Vorbereitungsgruppe bewegte lange Tage viele unfruchtbare und ermüdende Ideen, um einen treffenden Namen für die Veranstaltung zu finden. Der passendste schien außerhalb der Reichweite zu sein. Die Zweifel überwogen und kein Konsens war zu finden: Ein Name, leicht, modern, einen tieferen Sinn tragend und zu dieser Konferenz passend. Wir hatten das Gefühl, in eine Sackgasse geraten zu sein.

In dieser Situation formulierte Simon: ‹Live in Connection›. Für die meisten Mitdenkenden war dies der längst überfällige Zünder. Schließlich entfaltete sich ein produktives Gespräch, und wir einigten uns auf ‹Living Connections – Worldwide Perspectives on Anthroposophical Meditation› als Titel. Es war sinnvoll und passte perfekt.

Dieser Titel verweist einerseits auf die Beziehung, die jeder Einzelne von uns zu sich selbst unterhält, einen inneren Dialog, der uns mit etwas Höherem verbindet, jenseits unserer physischen Grenzen, andererseits bezieht er sich auf die Verbindungen mit allem, was wir außerhalb von uns treffen: Menschen, Natur und andere Wesen in der Welt.


Übersetzung Imogen Pare

Bild: Kenrick Mills/Unsplash

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