Kennen Sie die Erschöpftheit, bei der man nicht mehr wahrnehmen kann? Man rennt durch die Welt und sieht nicht. Die Augen sind wie taub geworden, verschwommen, so als könne sich ihr Licht nicht mehr mit dem Licht der Welt in Verbindung bringen. Eine Stumpfheit ist über sie und die Seele gekommen.
Das ist ein unangenehmer Zustand und durchaus besorgniserregend. Wache Sinne hingegen nehmen wahr, sind flink wie ein Wiesel, registrieren Farben, Töne, Herzschläge. Meistens gleichen sie die gemachten Wahrnehmungen noch mit Begriffen ab und sortieren im Oberstübchen in bekannte Schubladen ein. Das gibt Sicherheit und auch Boden unter den Füßen.
Was aber geschieht in den Momenten, wenn wir sagen: «Das ist schön!»? Da ist mehr als die reine Wahrnehmung von Rot, Grün, Wohlklang oder Sonne auf der Haut. Schön kann auch etwas Trauriges sein. Das Schöne darin liegt über der Sache selbst, denn die schöne Sache bleibt in ihrer Sachlichkeit bestehen. Ich glaube, wir erfahren Schönheit, wenn wir einen echten Moment des Fühlens haben, wenn unsere Sinne so geweitet sind, dass sie wirklich fühlen, tasten, riechen, schmecken, also auch in ihrer geistigen Substanz wahrnehmen können; und sich darin die Lichtsphären von mir und der wahrgenommenen Wesenheit berühren. Ich fühle die Verbindung und komme wieder zu mir. Wir sagen also eigentlich: «Es ist schön, dass ich es fühle» – den Einklang zwischen mir und dem Wind, der die Pollen zerstäubt, zwischen mir und der Linie im Stein, dem Muster der Libellenflügel, dem Lichtspiel an der Wand, den Goldsprenkeln im Estrich. Ein Einklang zwischen Innen und Außen. Es ist Schönheit, wenn die Dinge zu sprechen beginnen und ich sie vernehme.
Bild Gepresste Malvenblüten und oben Kornblumenpigment aus der Werkstatt von Nina Gautier