Die Erinnerung an die Brandnacht des Ersten Goetheanum wurde an Silvester von 2000 Menschen auf eine würdige Weise begangen. Während der ganzen Nacht beteiligten sich die Anwesenden in und um das Goetheanum an Lesungen, Eurythmieaufführungen, Konzerten, gemeinsamem Gesang und vielem mehr.
Die Ernsthaftigkeit, mit der dieses Ereignis gemeinsam erlebt wurde, verdeutlichte, welche Verantwortung die der Anthroposophie nahestehenden Menschen tragen, um sie zu pflegen und das Goetheanum zu schützen. Mit verhaltenem Optimismus wurde der Übergang in das neue Jahr begangen und gefeiert, den sinngemäß erinnerten Worten von Rudolf Steiner entsprechend, «in Liebe haben wir an dem Goetheanum gearbeitet, mit Liebe darin gewirkt. So machen wir weiter.»
Umgang mit der Covid-19-Impfung
Nun treffen sich Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft am 15. Januar zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung. Neben den traktandierten Themen stehen weitere im Raum, die einer Besprechung bedürfen. Als Leitung der Medizinischen Sektion wurde uns klar, dass wir uns bei einigen Mitgliedern nicht so verständlich machen konnten, wie es eigentlich unser Anliegen war. Dabei geht es hautsächlich um die Impffrage bei Covid-19, um die WHO und um ‹One Health›.
Im Januar 2021 stellte sich uns und der Internationalen Vereinigung Anthroposophischer Ärztegesellschaften (IVAA) die Frage, wie wir uns zu den neuartigen mRNA- und Vektorimpfstoffen bei Covid-19 stellen. Es war aus unserer international geprägten Sicht notwendig, sich dazu zu äußern, obwohl über die kurz- und langfristigen Wirkungen derselben noch sehr wenig bekannt war. Diese Stellungnahme, die der Impfung aufgrund der damaligen Daten einen möglichen Nutzen im Pandemiegeschehen zusprach, war für viele Länder zum Beispiel im südamerikanischen Raum mit hoher Corona-Mortalität wesentlich und in einigen Ländern für die Anthroposophische Medizin sogar existenzsichernd. Selbstverständlich war und ist uns dabei die individuelle Entscheidung immer vorrangig gewesen und wurde in allen Verlautbarungen entsprechend betont, wobei die Last der Eigenverantwortung in Anbetracht all der Ungewissheiten dem Einzelnen nicht abgenommen werden konnte.
Die Pandemie war gerade zu Beginn bedrohlich, und so versuchten wir abzuwägen, was eher für eine Impfung – zum Beispiel gesundheitlich gefährdeter Menschen – und was gegen eine Impfung – zum Beispiel für Kinder, Jugendliche und gesunde Erwachsene – spricht. Dabei war es, wie oben erwähnt, klar, dass etwaige, womöglich schwerwiegende Nebenwirkungen der Impfstoffe erst im Laufe der Zeit in ihrem vollen Ausmaß erkennbar würden. Deshalb regten wir auch zu Beginn der Impfkampagne entsprechende Studien an wie das ImpfSurv-Register von Professor Harald Matthes an der Charité Berlin. Vor allem bemühten wir uns, die Kinder vor der Pubertät vor einem Maskenzwang und ungerechtfertigten Impfempfehlungen zu schützen. Zum Impfzwang etwa für medizinische Berufe haben wir stets eine klar ablehnende Haltung vertreten. Richtig ist aber auch, dass wir im internen Dialog mit unserer internationalen Kolleginnen- und Kollegenschaft baten, sich nach Möglichkeit nicht von ihren Patientinnen und Patienten zurückzuziehen, bei vollem Respekt für deren individuelle Entscheidung.
Zusammenarbeit mit der WHO
Die Zusammenarbeit der Anthroposophischen Medizin mit der WHO hat bei vielen Mitgliedern große Bedenken, Sorgen und Ängste hervorgerufen. Die Frage nach einer Zusammenarbeit kam vom Leiter der WHO-Abteilung für traditionelle, komplementäre und integrative Medizin nach seinem Besuch der Filderklinik, der ihn tief beeindruckte. Sie beinhaltete, unsere Ausbildungscurricula durch seine Abteilung und die Behörden aller WHO-Mitgliedstaaten mit dem Ziel einer offiziellen Anerkennung durch die WHO zu prüfen. Dieses Angebot fand bei den Vertreterinnen und Vertretern der anthroposophischen Ärztinnen- und Ärzteschaft und aller Heilberufe der Medizinischen Sektion am Goetheanum weltweit ungeteilte Zustimmung. Ende 2022 wurde dann diese Prüfung positiv entschieden und die Benchmarks for Training in Anthroposophic Medicine werden nun von dieser Abteilung der WHO 2023 veröffentlicht werden.
Zu ihnen gehören ausschließlich die Anerkennung der Ausbildungsrichtlinien der Anthroposophischen Medizin, wie sie von der Medizinischen Sektion im Zusammenwirken mit den Berufsfeldern der Anthroposophischen Medizin entwickelt wurden. Es gibt dazu keinen Vertrag der Medizinischen Sektion mit der WHO und keinerlei Mitspracherecht derselben bei den Ausbildungsinhalten.
Unsere Gedanken zu diesem Prozess sind, dass wir uns gern international einbringen und eine medizinische Sichtweise, die den ganzen Menschen – leiblich, seelisch und geistig – und seine Therapiefreiheit in den Mittelpunkt stellt, gemeinsam mit Gleichgesinnten auch in der WHO vertreten. Die Anerkennung unserer Ausbildungsrichtlinien kann in vielen Ländern für die Akzeptanz der Anthroposophischen Medizin hilfreich und von potenziell maßgeblicher Bedeutung für neue Initiativen sein (Zusammenarbeit mit Universitäten, medizinische Fachausbildungen, Neugründung von Kliniken und anderes).
Stellung zum Konzept ‹One Health›
Ein drittes Thema, das viele bewegt, ist die Frage nach ‹One Health›. Anthroposophisch gesehen ist dies vielleicht das älteste Thema, da es uns allen immer um einen ganzheitlich gesundenden Ansatz geht, im Umgang mit der Erde, den Pflanzen und Tieren und selbstverständlich mit dem Menschen selbst – immer im Bewusstsein von unserer kosmisch-geistigen Heimat, der wir uns alle verpflichtet fühlen.
In der Öffentlichkeit drängt sich das Thema in den Vordergrund, da immer mehr Menschen wahrnehmen, dass die ganze Erdenentwicklung bedroht ist. Der Zusammenhang von Erde, Mensch und Kosmos ist aber noch nicht in gleicher Weise im allgemeinen Bewusstsein, und da sehen wir unsere Aufgabe darin, eine Brücke zu schlagen. Da in der Anthroposophie Landwirtschaft, Medizin, Pädagogik, Sozialwissenschaft und künstlerische Arbeit von einer gemeinsamen Grundlage aus arbeiten, können wir gesundende Ideen aus einer reichen Erfahrung mit anderen teilen und dabei auch wertvolle Anregungen empfangen.
Ein nicht zu unterschätzendes und vielleicht bisher zu wenig beachtetes Problem in diesem Zusammenhang ist die Verwendung des Begriffes ‹One Health› mit anderen Zielsetzungen in verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen wie zum Beispiel dem World Economic Forum. Solche und ähnliche Fragen werden sich in Zukunft wohl noch öfter stellen, wenn wir mit einem auf Geisteswissenschaft gründenden Impuls in das öffentliche Leben hineinwirken wollen. Die Frage wird dann stets sein: Können wir solch einen Begriff und die damit verbundene Lebenspraxis mitgestalten, mitprägen, weiterentwickeln oder ist er für uns ‹verloren›? Es gibt dazu für den Begriff ‹One Health› verschiedene Verständnisweisen, Einschätzungen und Erfahrungen, an denen wir weiter arbeiten wollen.
Gern möchten wir zu all diesen Themen in einen guten Dialog kommen, Bedenken und Gedanken von allen Seiten mit einbeziehen und werden seitens der Medizinischen Sektion etwa alle zwei Monate einen Termin anbieten, an dem nach einem einleitenden Impulsreferat diese und andere aktuelle oder brisante Fragen von allen Interessierten besprochen werden können. In diesem Sinne wünschen wir allen ein schöpferisches, aufbauendes neues Jahr bis hin zu der gemeinsamen Feier von 100 Jahren Weihnachtstagung, deren anthroposophischem Impuls wir uns verpflichtet fühlen und dem wir dienen wollen.
Sehr geehrte Autoren,
hat sich Ihre Haltung und Einschätzung der Impfung verändert?
MfG CB