Menschen sind Kunstwerke

Spaziergang in der Stadt. Einen Kaffee in der Hand. Langsames Schauen. Selbst fast unsichtbar, also mit Tarnkappe, fast nur noch Auge zwischen strömenden Menschen. Eine Frau mit rot lackierten Fingernägeln krallt sich in machtvoller Geste an der Schulter ihrer Freundin fest.


Ein graublauer Clochard sucht Pfandgut im Mülleimer und blickt mit der Bitte, nicht beobachtet zu werden. Ein grüngelbes Frühlingskind jagt die Taube wie einen gleich starken Spielgefährten.

Detail aus ‹Orpheus› von Margarita Woloschina, Siehe Seite 6.

Es ist eine Welt von Farben, die sich am gerahmten Blick des Moments fokussiert und dann wieder in der Weite verliert. Im Ganzen wogt und webt es. Im Einzelnen auch. Bewegtes Sein, ineinander verfaltet, durchleuchtet, vielschichtig und geheimnisvoll. Da sind Ecken und Kanten, weiche Rundungen und zarte Pinselstriche. Die Falte an der Stirn des Kassierers spricht von einer traurigen Geschichte, die nur ihm und doch zum Allgemeinen gehört. Im Lachen der Mutter, die ihr Baby schiebt, breitet sich ein ganzes Gemälde aus, im Garten bei Abendsonnenlicht. Im kurzen Blickwechsel mit einer Fremden schläft das tiefblaue unbekannte Meer. Und alle sind sie schön, einfach weil sie werdende Werke sind, Leinwand und Pinsel, Stein und Meißel in einem, auch wenn sie selbst es nicht immer fühlen können. Der ästhetische Blick, das schaffende Empfinden, ist dann vielleicht wie die Hand, die weiß, dass sie den Pinsel führt.

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