Rückblick auf die Tagung mit Ulrike Wendt (Bühneneurythmie), Agnes Zehnter (Sprache), Michael Werner (Pädagogik) und Stefan Hasler (Sektionsleitung) aus dem Organisationsteam der Tagung.
Was hat euch an der Tagung überrascht?
Ulrike Wendt Die Kraft, mit der sich die Tagung entfaltet hat! Ich denke, es lag vor allem daran, dass wir konsequent beim Thema ‹Sprache› geblieben sind. Martina Sam hat am ersten Morgen beschrieben, dass die Sprache heute aus ihrem ‹Sinngefängnis› befreit werden muss, um wieder zu ihrer ursprünglichen Kraft zu finden – ich glaube, dazu haben wir mit dieser Tagung einen Beitrag geleistet.
Michael Werner Ja, es ist eine Kraft, die sich aus der Vielfalt der eurythmischen Zugänge bildet, es ist eine Vielfalt, die nichts mehr mit gegenseitigem Dulden zu tun hat. Viele haben uns das so beschrieben: Es gehe nicht mehr darum, Vielfalt zu ertragen, sondern sie jetzt zu wollen. Das Miteinander, so scheint mir, ist im Herzen angekommen. Das war gerade an den Workshops zu sehen, wo so viel Verschiedenes gezeigt wurde.
Agnes Zehnter Wie jede und jeder Beitragende mit seiner Sprache freudig eine Welt erschließt! Ich erlebte durch diese vielen Zugänge, wie Fenster in die Welt hinter den Sprachen geöffnet werden.
Es geht also mehr um ein neues Leben als um große Erkenntnisse?
Stefan Hasler Die Tagung sehen wir ja nicht als Schlusspunkt, sondern mehr als ein Wachrütteln für die Beziehung von Sprache und Eurythmie. Deshalb ist es ein Anfang.
Zehnter Ein Anfang für die große, gemeinsame und neu zu greifende Aufgabe von Eurythmie und Sprachgestaltung.
Wendt Es sind ja nur die Erkenntnisse interessant, die man lebendig in sich trägt. Tagungen, an denen irgendwie belehrt wird, wo ein Wissen transportiert wird, haben ja ihren Sinn längst verloren. Wenn es uns gelingt, die nötigen Bedingungen herzustellen, damit etwas Wesentliches zwischen uns zu leben beginnt, dann wird eine Tagung sinnvoll.
Werner Solche Tagungen gab es 2001 und 2003 schon einmal, aber damals wurden viele nervös, weil die ‹Lehre› nicht vorgetragen wurde. Das ist jetzt anders: Man geht viel gelassener in die Räume, die die Vortragenden und Darstellenden aufmachen. Man schaut, ob das jetzt etwas mit dem eigenen Raum zu tun hat, und dann bleibt man oder geht weiter. Das bedeutet nicht, dass es nicht auch zu klaren Konfrontationen kommen kann.
Was hat nun den Erfolg der Tagung ausgemacht?
Hasler Das Thema stand an. Die Sprache bewusst zu ergreifen, das ist auf all diesen Lebensfeldern eine Suche. In den zwei letzten Rundbriefen sind wir dem Thema bereits nachgegangen. Das Schöne ist: Wir lernen uns in unserer Sprachkonstitution kennen. So meinte zum Beispiel Baptiste Hogrefe aus Den Haag, er habe mich jetzt als ‹Schweizer› erkannt und könne mich besser verstehen.
Zehnter Die Stimmung der Tagung! Der Wunsch vieler Teilnehmenden, das Thema Sprachgestaltung und Eurythmie gemeinsam weiterzuverfolgen.
Was lässt sich verbessern?
Hasler Das Timing an der Tagung können wir verbessern. Das gilt für die Beiträge im Saal und auch für die Aufführungen am Abend, da ging es manchmal einfach etwas zu lange. Die Heileurythmie kam an der Tagung nicht genug zum Zug, das werden wir neu aufgreifen müssen.
Was hat die Tagung beantwortet?
Wendt Bei den über 70 Marktplatzangeboten war vieles zu sehen, was noch im Prozess ist. Diesen Mut zum Unfertigen, den finde ich neu. So war ja überhaupt die ganze Tagung. Es gab ja kein durchgehendes Programm für alle, sondern jeder hat sich in Teilen ‹seine› Tagung zusammengestellt. Die offene Bereitschaft zum individuellen Weg, verbunden mit einem großen Interesse an dem, was die anderen machen, das war wunderbar zu erleben und hat uns alle bereichert. Bei den beiden Sprachprogrammen war es spannend, mehrere Interpreten einer Sprache oder ähnlicher Sprachen zu erleben, in Rezitation und in eurythmischer Bewegung. Da haben sich die einzelnen Sprachen – gerade weil man sie hier frei von irgendwelchem inhaltlichen Verstehen aufnehmen konnte – zu einem ganzen Sprachraum geöffnet: ein tiefes und wirklich neues Erlebnis.
Hasler Jede Sprachkultur klingt nicht nur anders, sie hat auch ihren eigenen ästhetisch-sozialen Umraum. An der japanischen Demonstration agierten eine Malerin, ein Musiker und ein Euryhtmist jeweils eigenständig für sich auf der Bühne. Im Japanischen geht so ein Nebeneinander. An der brasilianischen Darbietung hingegen kam alles Mögliche in der Ansprache hinzu – diese lockere Weite. Oder der Sprachgestalter Serge Maintier bemerkte in Zusammenhang mit den französischen Nasallauten, dass man in Großbritannien und Deutschland nicht wissen könne, was Nuancen sind.
Eindrücke von der Tagung in Fotografie und Wort von Xue Li