Geheim geblieben

Als wir neulich Fotos vom Urlaub anschauten und eines dazwischengerutscht war, das von Oma und Opa zu Hause stammte, kam es zu einem kleinen Versprecher. Das elfjährige Mädchen benannte die ‹Daheimgebliebenen› als die ‹Geheimgebliebenen›. Ein zauberhaftes Wort, das wir seitdem immer mal wieder kosten, drehen und wenden. Und wir fragen uns: Wer sind denn eigentlich die ‹Geheimgebliebenen›? Und was tun sie?

Nach einem Vortrag oder Seminar treten einige zum Pult, mit einer Frage, einem Dank, ihrer Anteilnahme. An sie werden sich die Vortragenden erinnern, kaum an die vielen anderen, die mit freundlichem Kopfnicken aus der Ferne still den Saal verlassen. Doch wie oft mag gerade in solch einem unbekannten Zuhörer, solch einer stillen Zuhörerin aus einem Gedanken des Abends eine neue Welt wachsen. «In der Stille aber reift», dichtet Rudolf Steiner. Ja, häufig geschieht es im Geheimen, sind die Ströme der Anthroposophie weniger durch Zweigveranstaltungen und Tagungen bestimmt, sondern durch die Lektüre im Wartezimmer des Arztes, das Gespräch im Zug, die Bemerkung auf dem Flur. Vermutlich ist es in der Seele nicht anders: Auch dort trägt der spirituelle Gedanke, der im Innern verwahrt bleibt, der für uns andere geheim bleibt, die eigentlichen Früchte. Vielleicht heißt die frühe Anthroposophie deshalb ‹Geheimwissenschaft›, weil es um diese stillen, geheimen Wege geht, weil es um die Wege zu den ‹Geheimgebliebenen› geht.


Titelbild Goetheanum-Freischwinger Thonet S33, Foto: Johannes Kronenberg

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