Ein ansprechend illustriertes Buch über das Oloid von Paul Schatz vereinigt 13 kurze Beiträge zeitgenössischer Autoren und Autorinnen.
Im Buch sind außerdem enthalten die zwei früher veröffentlichten Aufsätze ‹Vom ,Bauen und Wohnen‘ der Kristalle› und ‹Die polysomatische Gestaltung. Zur Grundlegung neuer stereometrischer Körper› von Paul Schatz selbst sowie der Text ‹Gestaltung abseits vom Strom› von Lucius Burckhardt. Das durchgängige Motiv ist die mitunter als rätselhaft empfundene Schönheit des Oloid, die den Lesenden auf den Eröffnungsseiten der Beiträge mehrfach entgegenstrahlt. Die Einbeziehung der historischen Texte schafft einen Spannungsbogen und ruft einmal mehr die komplexe Dimension des Lebenswerks von Paul Schatz, dem Entdecker der Umstülpung, auf. Wie nahe kann man dem Kern von Schatz’ geisteswissenschaftlichen Forschungen 44 Jahre nach seinem Tod (1979) erkennend kommen? Bemerkenswert ist die Entdeckung des Goldenen Schnittes im Oloid durch Felix Hediger.
Gestaltung und innere Komposition des Bändchens sind gelungen. Sie sind der Liebe zur Form und der Schönheit des Oloid und der kuboiden Formen geschuldet. Von hier nähert man sich durchaus berechtigt den Tiefen der Schatz’schen Forschungen. Von besonderen Kostbarkeiten der Raumgeometrie sprach Schatz selbst. Man freut sich über den Mut und den Willen der Herausgeber, heute ein Buch über ein sehr komplexes, herausforderndes und zugleich notwendiges Thema zu veröffentlichen. Die vielfältigen Forschungen von Paul Schatz zielen auf die Erneuerung der gesamten Technik aus dem Geiste der Anthroposophie Rudolf Steiners auf eine menschen- und naturgemäße Technik. Dieser Aspekt ist schon lange bekannt, verschiedentlich erwähnt, aber doch in seinen Konsequenzen wenig erkannt. In den Beiträgen der Autorinnen und Autoren klingt das zuweilen an – unabhängig vom thematischen Terrain, von dem aus sie auf das Oloid blicken (z. B. als Lampe, als Maschine im Bereich der Gewässersanierung, als Schiffsantrieb). Etwa, wenn Oliver Niewiadomski betont, dass das Oloid noch wenig in die Sehgewohnheiten des Menschen Eingang gefunden hat, wobei er auch eine Lampengestaltung von Schatz unter dem Aspekt des Designs reflektiert.
Es mag dahingestellt bleiben, ob die Präsentation von Damenschuhen auf den metallenen sechs Gliedern des Mittelkantengürtels zu Werbezwecken als ‹skurril› zu bezeichnen ist oder Ausdruck neuester Erfindungen motorisiert-beweglicher Werbeapparate internationaler Designer der Zeit um 1933 war, an denen Schatz aktiv partizipierte. Zumal entsprechende Apparaturen durch Kontakte von Paul Schatz zu Firmen wie Kodak, Agfa oder WMF historisch dokumentiert sind. Ergänzen ließe sich im Beitrag ‹Ein Komet im Kunstbetrieb. Das Ufo in der Shop-Vitrine› im Rahmen der Reflexionen über die Beziehungen des Oloid zur kinetischen Kunst des Künstlers Naum Gabo, dass Schatz dem russischen Bildhauer und Architekten 1965 im Kunsthaus Zürich in einer Ausstellung seiner Werken begegnete, was die kurze Korrespondenz erhellt1 Rudolf Steiners Diktum (am Ende des Oxforder Vortrages vom 20. August 1922) von der Notwendigkeit, sich an das Denken in Umstülpungen zu gewöhnen, um eine der Wirklichkeit gemäße Vorstellung des Verhältnisses zwischen irdischer und geistiger Welt zu erhalten, wird zu Recht im Beitrag ‹Du musst dein Leben umstülpen› genannt, lässt aber in der Reduktion der Zitation die schwierig zu denkende Beschreibung der Umstülpung (des Herzens bzw. des Auges) im Kosmos unberücksichtigt. Bereits 1957 schrieb Paul Schatz über ‹Die Umstülpung des Würfels als Schlüssel zum organisch-dynamischen Raumbewusstsein›2. Offenbar liegt hier ein Ansatzpunkt für ein tieferes Verständnis auch des Auftretens des Oloid sowie der kuboiden Formen in der Architektur. So erscheint das Polkuboid in einer Skizze von Paul Schatz aus dem Frühjahr 1952 in Beziehung zu den Zeichen des Tierkreises3, was zu weitreichenden Fragen Anlass geben kann und eine Beziehung zum Dessauer Bauhaus (als Inspirationsquelle der Schatz’schen Architekturgestaltungen) eher ausschließen dürfte. Man vergleiche dazu das im Beitrag ‹Von der Form zum Raum. Das Oloid in der Architektur› abgebildete Karton-Modell von Paul Schatz.
Wer sich mit dem Lebenswerk von Paul Schatz befasst, benötigt Ausdauer, um immer wieder auf die aus der Umstülpung des Würfels hervorgegangenen Fragestellungen erkennend zuzugehen und sie Stück für Stück tiefer zu ergreifen. Die Schreibenden versuchen das. Was sich ihnen auf ihrem oft jahrzehntelangen Weg dabei enthüllte, ist als vielseitige Hinführung zu Paul Schatz auch für Laien ausgesprochen anregend und hilfreich.
Buch Tobias Langscheid, Tilo Richter (Hg.), Oloid. Form der Zukunft. Niggli-Verlag, Salenstein 2023.