Es gab immer in der Menschheitsgeschichte in dieser oder jener Hinsicht dunkle Zeiten. Nie waren nur Friede, Liebe und Freude auf der Erde. Und gleichzeitig wurden die Menschenseelen in schweren Zeiten immer mit einem kleinen Licht oder manchmal auch von einem größeren leuchtenden Stern angezogen, Hindernisse überwindend, um einer besseren Zukunft entgegenzugehen. Was kann für uns in dieser Zeit ein leuchtender Stern sein?
Ich erinnere mich an einen Vortrag von dem großartigen anthroposophischen Arzt Ratimir Šimetin aus Zagreb, den er für unser slowenisches Publikum vor vielen Jahren gehalten hat. Er sagte: Jeder Mensch braucht im Leben, vor allem wenn er jung ist, mindestens einen Menschen, der ihn wirklich liebt, um eine gesunde Entwicklung durchlaufen zu können. Es kann die Mutter oder der Vater sein, oder ein anderer Mensch, auch jemand, der nicht verwandt ist. Das hat mich damals tief berührt. Kann man sich das klar genug vor Augen führen? Unsere Entwicklung hängt im Leben davon ab, ob wir geliebt werden, ob mindestens ein Mensch es wirklich schätzt, dass wir auf der Welt sind. Das ist eine ungeheure Verantwortung gegenüber anderen Menschen.
So scheint es in diesem Zeitalter der Bewusstseinsseele, dass wahrscheinlich alle schönen Begriffe, wie auch die Hoffnung, mit unserer Verantwortung eng zusammenhängen. Man kann sich selbst fragen – liebe ich mindestens einen Menschen wirklich? Und sind alle, die ich kenne, mindestens von einem Menschen geliebt, sodass sich alle um die Erdkugel herum Hände und Herzen reichen können? Wie viele Menschen sind sehr einsam, in schwierigen Lebenssituationen? Und trotzdem kann man im Leben in den schwierigsten Situationen manchmal erfahren, dass auch in der eigenen Seele die notwendige Kraft zu finden ist – als eine Christus-Flamme. Aber nicht alle finden sie. Unser slowenischer Dichter Tone Pavček (1928–2011) schrieb dazu:
Die Welt
Du bist auf der Welt, um in die Sonne zu schauen.
Du bist auf der Welt, um der Sonne zu folgen.
Du bist auf der Welt, um selbst die Sonne zu sein – und Schatten aus der Welt zu verbannen.1
Hoffnung scheint rätselhaft und nicht selbstverständlich zu sein. Auch wenn wir in die Natur schauen, sind heute viele Wesen und Landschaften bedroht, die ganze Erde als Organismus ist bedroht und wir gehen – wenn wir in unserem bisherigen Stil verharren – als Menschheit einer Katastrophe entgegen. Wer liebt die Erde? Wo ist da die Hoffnung zu finden?
In der goetheanistischen Naturanschauung sprechen wir oft über das wache Interesse für ein anderes Wesen als ein Eingangstor zur wahren Liebe. Liebe ist das Interesse für ein anderes Wesen. In diesem Sinne würde ich die Hoffnung mathematisch als eine Summe einzelner wahrer, nicht egoistischer Interessen für die Entwicklung anderer Wesen bezeichnen. In diesem Sinne soll diese Bezeichnung ein Aufruf für uns alle sein, noch mehr Interesse für den Mitmenschen, für andere Mitwesen wie auch für die geistige Welt zu entwickeln. Ein anderer slowenischer Dichter Ivan Minatti (1924–2012) formulierte diesen Aufruf so:
Du musst jemanden lieben
Du musst jemanden lieben,
sei es Gras, Fluss, Baum oder Stein,
du musst jemandem die Hand auf die Schulter legen,
sodass sie – hungrig – mit der Nähe gesättigt werden kann,
zu jemandem musst du, du musst,
es ist wie Brot, wie ein Schluck Wasser,
du musst deine weißen Wolken hergeben,
deines kühnen Vogels Traum,
deines schüchternen Vogels Hilflosigkeit
– es muss irgendwo für ihn
ein Nest des Friedens und der Zartheit sein –,
du musst jemanden lieben,
sei es Gras, Fluss, Baum oder Stein,
denn Bäume und Gras kennen die Einsamkeit
– weil die Schritte immer weiter gehen,
auch wenn sie kurz anhalten –,
denn der Fluss weiß um die Traurigkeit
– wenn er sich nur über seine Tiefe beugt –,
denn der Stein kennt den Schmerz
– wie viele schwere Füße
sind schon über sein stummes Herz hinweggegangen –,
du musst jemanden lieben,
du musst jemanden lieben, mit jemandem Schritt halten,
in der gleichen Spur –
oh Gras, Fluss, Stein, Baum,
stille Begleiter von Einzelgängern und Seltsamen,
gute, große Geschöpfe, die nur sprechen,
wenn die Menschen schweigen.
Illustration Gilda Bartel