Wer spricht für die Jüngsten?

Die Folgen der Corona-Maßnahmen sind für die Kleinsten drastischer als für Erwachsene. Eine Frage der Verantwortlichkeit wächst daraus für die Debatte um die Verhältnismäßigkeit. Wir sprachen mit Michaela Ecknauer, der Delegierten für den Frühbereich in der Koordinationsstelle der Elementarpädagogik der Rudolf-Steiner-Schulen Schweiz. Sie leitet einige Eltern-Kind-Gruppen im Raum Basel.


Ihr habt euch auf der überregionalen Konferenz über die derzeitige Situation für Familien mit kleinen Kindern ausgetauscht. Welches Bild zeichnet sich für euch?

Das Gesamtbild ist alarmierend! Ich beziehe mich dabei auf Familien, die zu unseren Gruppen gefunden haben. Zum chronischen Schlafmangel, dem Spagat zwischen den verschiedenen Bedürfnissen und Notwendigkeiten aller Familienmitglieder kommt noch die Kontaktarmut hinzu. Die Eltern werden mit ihren Fragen und Nöten weitgehend alleingelassen und viele von ihnen sind nicht weiter belastbar. Da ist die Aussicht, einmal in der Woche andere Eltern in einer beständigen Gruppe zu treffen und selbst gesehen zu werden, eine hilfreiche Stütze und für manche von ihnen der letzte Sozialkontakt. Die Kinder können, um nur eines zu nennen, stabile Beziehungen aufbauen.

Wie betroffen sind die kleinen Kinder von dem derzeitigen Lockdown?

Als schwächstes Glied der Familie sind sie allen Spannungen und Ängsten der Erwachsenen ausgeliefert. Säuglinge erkennen die Bezugsperson mit Maske nicht mehr und weinen bitterlich. Die Größeren haben ihre Bedürfnisse, zum Beispiel nach freier Bewegungsentfaltung und Nähe, zu unterdrücken und müssen hören, ein Mensch könne eine Gefahr bedeuten. Beziehungen werden nicht mehr ohne Weiteres gepflegt oder brechen ab. Der Neurobiologe Gerald Hüther spricht von dramatischen Konsequenzen. Denn was für uns ein Jahr Durchhalten ist, nimmt sich für das Kind wie etwa zehn Jahre aus! Wir müssen uns darüber Gedanken machen, was unsere Kinder in den ersten drei Lebensjahren prägt. Nicht, weil sie alles mitmachen, ohne sich zu wehren, dürfen wir alles mit ihnen machen. Sondern weil sie sich nicht aussprechen können, sind sie auf unsere Hilfe angewiesen. Die Jugendlichen haben sich etwas Gehör verschaffen können. Das kann ein kleines Kind nicht.

Wie versucht ihr als Begleitende, die Familien zu unterstützen?

Zur Zeit mit einer Eltern-Kind-Ambulanz für alle praktischen Fragen rund um die sensiblen Prozesse der Familienbildung oder in Einzelgesprächen auf einem Spaziergang. Da kann sich dann auch herausstellen, dass eine Vermittlung ins Mutter-Kind-Haus in Gempen notwendig ist oder eine andere Fachperson beigezogen werden sollte. Geschätzt wird die niederschwellige Regelmäßigkeit und der Austausch in der echten Begegnung. In diesem Sinne versuchen wir, Familien mit den Angeboten der Eltern-Kind-Gruppen zu begleiten.


Foto: M. Vetsch

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