Verwoben und verflochten

Leben kommuniziert, schafft soziale Beziehung und vernetzt. Feiern wir das Leben!


Im Boden pulsiert eine fantastische Vielfalt kleinster Mikroorganismen. Sie ermöglichen das Überleben von Pflanzen, Tieren und Menschen. Mikroben waren schon ein paar Milliarden Jahre auf der Erde, bevor die ersten Pflanzen und Tiere erschienen. Sie ‹erfanden› fast alles, was das Leben ausmacht (zum Beispiel Zellatmung, Zellkommunikation, Bildung von dynamischen Netzwerken). Jede Pflanze hegt in ihrem Wurzelbereich ein Mikrobiom (Gemeinschaft von Mikroorganismen). Dieses sei keineswegs zufällig, sagte die renommierte Mikrobiomforscherin Gabriele Berg, die ich für mein neues Buch ‹verwoben & verflochten› besuchte. Eine Pflanze wähle aus, welche Mikroben sie in ihr Wurzelmikrobiom aufnimmt, und sie halte schädliche Mikroben und Krankheitserreger draußen. Doch wie können Pflanzen auswählen? Durch Kommunikation zwischen Wurzeln und Mikroben und zwischen Mikroben untereinander, meinte die Professorin. Erstaunlich sei auch: Jede Pflanze habe ihr eigenes, sehr spezifisches Wurzelmikrobiom. Das Wurzelmikrobiom ist also ein wesentlicher Teil der Identität der Pflanze – oder besser: des Holobionten, des Gesamtlebewesens Pflanze.

Isolation gibt es nicht

Über dem Boden kommunizieren Pflanzen aktiv mit ganz unterschiedlichen Lebewesen. Mit immer variierenden Duftstoffbouquets warnen sie sich gegenseitig vor Gefahr, locken Nützlinge an, senden SOS-Signale aus oder koordinieren ihr Verhalten. Pflanzen nehmen zudem wahr, wer neben ihnen wächst: eine von der gleichen Art oder eine Fremde. Sie erinnern sich an vergangene Ereignisse (wie etwa Insektenfraß) und lernen aus Erfahrungen. Pflanzen sind also mitnichten ‹lebende Automaten›, die isoliert existieren und passiv ihrem genetischen Programm folgen. In den letzten Jahrzehnten wurde so viel entdeckt, was mit mechanistischen Konzepten nicht mehr zu erklären ist. Das ändert auch die Sicht, wie wir auf das Leben schauen.

Die faule Ameise

Besonders eindrücklich waren für mich in dieser Hinsicht die Ausführungen der russischen Ameisenforscherin Olga Bogatyreva, die 20 Jahre lang das individuelle Verhalten einzelner Ameisen untersuchte. Auch Ameisen seien nicht einfach herumsausende Roboter, die von irgendeiner Schwarmintelligenz oder gar göttlichen Instanz geleitet werden. Es gebe mutige, innovative oder auch faule Ameisen, die sich oft unter einem Grashalm versteckten. Das Funktionieren eines Ameisenstaates hänge von Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Ameisen ab.

Besonders erfahrene und innovative Ameisen würden immer wieder neue Strategien entwickeln –  so könne sich eine Kolonie auch an abrupt sich ändernde Umweltbedingungen anpassen. Die Haupteigenschaft von Leben ist laut der Ameisenforscherin: kommunizieren, Informationen austauschen, soziale Beziehungen aufbauen, sich vernetzen. Das wiederum bedinge: sich erinnern, lernen, Entscheidungen treffen, mit Absicht handeln und Ziele haben. Das gelte für Ameisen – und auch für Pflanzen.

Diese Eigenschaften des Lebendigen zu nutzen, ist die große Herausforderung für eine zukunftsfähige Landwirtschaft. In geeigneten Vielfalts- und Mischkulturen unterstützen sich Pflanzen und ihre Umgebung auf vielfältigste Art und Weise. Dabei sind Kooperation und Konkurrenz oft nicht unterscheidbar, ein Netz von Beziehungen, das sich ständig verändert. Ich habe zahlreiche Expertinnen und Experten befragt und erhielt stets die gleiche Antwort: Vielfalts- und Mischkulturen, Bodengesundheit und lokale Kreisläufe sind die Rezepte für die Zukunft. Vielfalts- und Mischkulturen sind im Vergleich zu Monokulturen nicht nur resilienter gegen Klimakapriolen oder Fraßfeinde – sie sind auch ertragreicher. Oder umgekehrt: Monokulturen sind eine riesige Landverschwendung. Auch die Bio- und die biodynamische Landwirtschaft müssen an Vielfalt zulegen, vor allem in Bezug auf Mischkulturen.


Veranstaltung
Vom 10. bis 13. Oktober 2024 findet die Tagung Evolving Science 2024 – Diversität stärkt Identität der Naturwissenschaftlichen Sektion in Dornach statt. Florianne Koechlin wird dort auch ein Impulsreferat halten.


Buch Florianne Koechlin: verworben & verflochten. Lenos Verlag, Basel 2022.

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare