Das Buch von Peter Selg ermutigt in einer Zeit, in der Hoffnungslosigkeit schwächt. Mit Hoffnung ist kein naiver Optimismus gemeint, sondern eine geistige Aktivität.
Es brauche, so Selg, eine «Willensbewegung zur Zukunft, einen geistigen Akt, einen aktiven, willentlichen Vollzug. Dadurch finden wir den Zugang zur Erneuerungswelt.» Er spricht dabei von einer «übernatürlichen Hoffnung», die über das Sinnenfällige hinausgeht und das Werdende in den Wirren und gegenwärtigen Problemen entdeckt und danach handelt. Es geht um eine michaelische Kraft, die angesichts großer Widerstände in uns erwachen kann.
Selg nimmt kein Blatt vor den Mund und analysiert die aktuelle Zeitsituation mit aller Schärfe. Doch es gilt dabei, die Hoffnung als ‹geistige Substanz› in sich zu entdecken. In der sich ausbreitenden Angst, Einsamkeit und Verzweiflung, die im Kontext von Corona auftreten, müssen wir eine neue Kraft finden: den unerschütterlichen «Mut des Heilens», ausgehend von der Liebe zur Hoffnung. Es genügt nicht, so Selg, sich nur ins Private zurückzuziehen, sich in anthroposophischen Studienkreisen abzugrenzen, sondern es gilt, mit Zivilcourage in einen gesellschaftlichen Austausch zu treten. Dabei nimmt Selg immer wieder Bezug auf Hannah Arendt: «Erst indem wir darüber sprechen, vermenschlichen wir das, was in der Welt, wie das, was in unserem Inneren vorgeht, und in diesem Sprechen lernen wir, menschlich zu sein.» (Hannah Arendt)
Alles hat ‹Weg-Charakter›. Auch die anthroposophischen Institutionen sind vorerst ein Anfang. Sich einzubilden, dass wir ‹es schon geschafft haben›, wäre Vermessenheit. Und doch sind Initiativen, trotz Krisen und Unvollkommenheiten, getragen von Hoffnungskräften: «Die Menschen, die in der Gegenwart etwas Zukünftiges beginnen, die Zukunft in die Gegenwart hereinholen oder hereinbitten, haben ausstrahlende und aufbauende Kraft; sie überwinden die Resignation in sich und in ihrer Umgebung.»
Machen wir uns keine Illusionen, es wird immer wieder Zeiten geben, in denen wir versucht sind, zu verzweifeln und aufzugeben oder zumindest zu resignieren. Dann ist es wichtig, so Selg, der Versuchung zu widerstehen, sich abzukapseln. Der offene Dialog, auch in der Anthroposophischen Gesellschaft, von unterschiedlichen Meinungen, ist sicher nicht einfach, aber umso wichtiger. Dabei gilt es, nicht stehen zu bleiben bei den Negativbildern und apokalyptischen Szenarien, sondern gemeinsam neue Perspektiven und heilsame Initiativen zu entwickeln. «Wir sollten ‹Bilder› des dennoch möglichen Gelingens – in einer Pandemie der Angst und Verzweiflung – in uns tragen und nicht nur apokalyptische Gefahren aufzeigen. [….] Wir brauchen Imaginationen oder Visionen des konkreten Aufgangs, nicht nur des Untergangs.»
Dies sind einige inhaltliche Motive und Gedanken aus dem Autoreferat des Vortrags, den Peter Selg am 11. September 2021 im Goetheanum gehalten hat. Im 2. Vortrag, gehalten in Ascona am Tag danach, nimmt er das Motiv der Hoffnung wieder auf und verbindet es mit dem Vertrauen in die Zukunft und dem Wirken der geistigen Welt. Dadurch können wir auch entsprechend mit Misserfolgen und Schicksalsschlägen umgehen, wie er an Beispielen aus Steiners Biografie und seinen ermutigenden Worten zeigt. Exemplarisch ist die Haltung Steiners anlässlich des Goetheanum-Brandes in der Silvesternacht 1922, ein tragisches Ereignis. Selg zitiert einen kritischen Journalisten aus der damaligen Tageszeitung, der auf diese Haltung Bezug nahm: «Kein Anzeichen von Kleinmut und Verzagtheit war zu erkennen. Zwar bekannte Dr. Steiner freimütig, der Schmerz über den Verlust sei zu groß, als dass er sich schildern ließe. Jedoch erklang andererseits aus seinen Worten so viel innerliches Feuer, so viel unbeugsame Wucht, dass auch wir – die wir mit den Grundsätzen der Anthroposophie nicht einhergehen – zur Überzeugung gelangten, die Bewegung in Dornach habe durch die Silvesterkatastrophe nicht nur nichts an Lebenskraft eingebüßt, sondern im Gegenteil einen bedeutenden Impuls empfangen.»
Wenn Selg auch solche herausragenden Beispiele anführt, ist es ihm wichtig, dass diese kraftspendende unerschütterliche Hoffnung nicht nur auf eine Lebenshaltung des Begründers der Anthroposophie begrenzt wird, sondern dass diese geistig begründete Hoffnung zum Kern der Anthroposophie gehört.
So kann das Büchlein, in dem beide Vorträge publiziert sind, geradezu als Medizin gegen Resignation und Hoffnungslosigkeit wirken. Und wie jedes gute Heilmittel soll es vor allem die Eigenaktivität anregen und den Weg zu den Selbstheilungskräften erwecken und freimachen.
Buch Peter Selg, Das Leben des Geistes in der Corona-Krise. Von der Hoffnung und vom Vertrauen in die Zukunft, Verlag des Ita-Wegman-Instituts, Stuttgart 2021
Grafik: Fabian Roschka