María Corina Machado und die Ingenieurs­kunst des Friedens

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María Corina Machado wird der Friedensnobelpreis zuerkannt «für ihren unermüdlichen Einsatz für die demokratischen Rechte des venezolanischen Volkes und für ihren Kampf für einen gerechten und friedlichen Übergang von der Diktatur zur Demokratie». Zugleich irritiert Kritiker ihre Nähe zu rechtsgerichteten Netzwerken1 und ihre Widmung des Preises an den US-Präsidenten für «seine Unterstützung von Demokratie und Freiheit.» Das zerbrochene Venezuela aufzubauen frage nach Politik jenseits der Ideologie, weshalb Gustavo Yepes Pereira hier dieser Kritik nicht nachgeht.


María Corina Machado (* 1967, Caracas) wuchs in einer Unternehmerfamilie auf. Ihre Mutter, Corina Parisca Pérez, Psychologin und ehemalige Sportlerin, und ihr Vater, Henrique Machado Zuloaga, verkörperten eine Anschauung von Arbeit, Studium und Dienst, die ihre Tochter zu ihrer öffentlichen Berufung machte. Die Wirtschaftsingenieurin mit Schwerpunkt Finanzen wurde 2009 für das ‹Yale World Fellows›-Programm ausgewählt. Lange bevor sie zu einer nationalen Persönlichkeit wurde, war sie Mitbegründerin sozialer Initiativen. Seit 2002 setzte sie sich mit Súmate (Mach mit) für einen streng zivilgesellschaftlichen Weg ein: Wahlbeobachtung, Bürgerinnenbeteiligung und Bürgerbildung. Gerichtsverfahren, Verleumdungskampagnen und Überwachung folgten für sie.

Ihr Eintritt ins Parlament (2011) brachte ihre Direktheit und Argumentationsfähigkeit zum Vorschein. In einer Rede, die sich ins öffentliche Gedächtnis einprägte, sagte sie dem damaligen Präsidenten Hugo Chávez: «Enteignen ist Stehlen». Für diese Freimütigkeit bezahlte sie wieder einen hohen Preis: tätliche Angriffe in der Nationalversammlung (sie erlitt einen Bruch der Nasenscheidewand), Reisebeschränkungen und administrative Verbote. Als sie 2014 nicht als Abgeordnete vor der Organisation Amerikanischer Staaten sprechen durfte, nahm sie den von Panama zur Verfügung gestellten Platz ein, um Missstände anzuprangern. Sie verlor dafür ihr politisches Mandat, aber sie gewann internationale Sichtbarkeit, allerdings auf Kosten weiterer Belästigung. Seitdem betont sie, dass ihr Kampf ein spiritueller ist – ein Kampf zwischen Angst und Würde, Wahrheit und Lüge, getragen von Glauben, Gewissen und bürgerlicher Verantwortung. Und sie unterstreicht noch etwas: Sie spricht nicht für sich selbst, sondern für die Bewegung und für das Volk. Deshalb ist ihr Tonfall pluralistisch: Es ist an uns, wir werden es schaffen. Ihr größter Beitrag ist kein Slogan, sondern eine Methode: organisieren, vereinen, durchhalten.

Bis in den Untergrund

Im Jahr 2023 führte sie trotz ihrer Ausgrenzung eine Vorwahl der Opposition an und gewann diese mit einer überwältigenden Mehrheit von 92,35 Prozent der Stimmen bei fast drei Millionen abgegebenen Stimmzetteln. Dadurch ordnete sie die verstreuten Kräfte neu. Im Jahr 2024 versuchte sie, ihre Kandidatur durch die der Akademikerin Corina Yoris zu ersetzen, da sie aufgrund ihrer Sperre bereits als Anführerin der Bürgerbewegung fungierte. Das System blockierte diesen Wechsel. Und so trat Edmundo González Urrutia in Erscheinung, ein erfahrener Diplomat mit geringem Bekanntheitsgrad, der als ruhige und väterliche Persönlichkeit wahrgenommen wurde. Während der Präsidentschaftswahlen 2024 sammelten und digitalisierten Hunderttausende von Freiwilligen Zehntausende von offiziellen Protokollen, um die Ergebnisse mit den gleichen Instrumenten des Systems zu belegen. Mit den meisten Protokollen in der Hand ergab die Auszählung der Opposition einen Vorsprung von González Urrutia von etwa 70 Prozent der Stimmen. Gleichzeitig wurde mehreren Millionen Venezolanern und Venezolanerinnen im In- und Ausland ihr Wahlrecht verweigert. Der Sieg wurde vom Regime nicht anerkannt, und der Nationale Wahlrat veröffentlichte keine aufgeschlüsselten Ergebnisse. Von diesem Zeitpunkt an verschärfte sich die Unterdrückung: Inhaftierungen, Zwangsexil und Todesfälle. Und Machado entschied, sich in Sicherheit zu bringen. Seit Ende 2024 arbeitet sie im Untergrund. Sie hat versprochen, Venezuela nicht zu verlassen, bis das demokratische Ziel erreicht ist. Daher ist ihre Anwesenheit in Oslo ungewiss. Im Januar 2025, als sie an einer Demonstration teilnahm, wurde sie stundenlang festgehalten, gezwungen, ein Video aufzunehmen, und nach sofortigem internationalem Druck wieder freigelassen. Unterdessen werden ihre engsten Mitarbeitenden verfolgt: Einige sind inhaftiert, andere mussten das Land verlassen. Im Mai 2025 ermöglichte die Operation Guacamaya die Ausschleusung von fünf ihrer engsten Mitarbeitenden aus der argentinischen Botschaft in Caracas, die monatelang stark belagert worden war.

Beharrlichkeit

Ein Merkmal erklärt das Phänomen Machado besonders gut: ihre Beharrlichkeit. In einer Landschaft mit sich verschiebenden Grenzen hält sie an demselben Kompass fest: Freiheit im kulturellen und bürgerlichen Leben, Gleichheit vor dem Gesetz, praktizierte Geschwisterlichkeit im Handeln. Diese Beständigkeit verleiht ihr die Glaubwürdigkeit, Willen zu vereinen und Strategien zu entwerfen, die unmöglich schienen: Daten und Straße, Protokolle und Umarmungen miteinander zu verknüpfen. Und dann ist da noch die Weiblichkeit. Nicht als Schlagwort eines ‹Ismus›, sondern als eine Art zu sein: sich kümmern, unterstützen, wiederherstellen. Ihre Botschaft endet nicht in einer Zahl, sondern in der Zusammenführung von Familien. In einem Land, das fast ein Viertel seiner Bevölkerung verloren hat, hat dieses Bild die Kraft eines zivilen Sakraments: ‹Uns wieder umarmen› ist keine Nostalgie, sondern ein Programm. Es drückt sich in diskreten Gesten aus – zuhören, trösten, insistieren, ohne zu demütigen – und in einer ruhigen Entschlossenheit, die Frieden nicht mit Kapitulation verwechselt. Frieden erfordert bewährte Wahrheit, Gerechtigkeit ohne Rache und Vertrauen in die Fähigkeiten jedes Einzelnen. Der Sacharow-Preis (Europäisches Parlament, 2024) und der Václav-Havel-Preis (PACE, 2024) haben diese Mischung aus Mut und Engagement – Gewissensfreiheit und wirksamer Verteidigung der Menschenrechte – bereits gewürdigt. Machado konnte sie nicht persönlich entgegennehmen. Vielleicht kann sie auch nicht zum Nobelpreis reisen. Aber ihr Einfluss ist bereits unterwegs: ein transnationales Netzwerk von Venezolanerinnen und Venezolanern – innerhalb und außerhalb des Landes –, das Hoffnung in ehrenamtliche Arbeit und Empörung in überprüfbare Verfahren verwandelt hat.


Bild María Corina Machado, Foto: Wikimedia

Fußnoten

  1. Im September 2025 trat Machado an der von ‹Patrioten für Europa› der rechtsextremen Fraktion des eu-Parlamentes mit organisierten Konferenz ‹Europa Viva› in Madrid auf.

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