Die Erde wollen

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Was bedeutet es, die Zukunft der Erde als Lebewesen zu wollen? Chik Ying Chai, Gärtnerin und Künstlerin aus Malaysia, und Jasmin Peschke, Leitung Fachbereich Ernährung in Dornach, lassen sich von der Studienarbeit zum Michaelbrief ‹Michaels Aufgabe in der Ahriman-Sphäre› inspirieren. Auszüge aus dem letzten von drei Dialogen, die während der Landwirtschaftskonferenz in Dornach im Jahr 2025 stattfanden.


Jasmin Peschke Was bedeutet es, den Willen zu erwecken? Wenn ich aufgeweckt bin, kann ich meine Sinne gebrauchen – ich kann bewusst wahrnehmen, was ich beobachte. Den freien Gebrauch der Seeleneigenschaften zu pflegen, ist eine Frage der Ernährung. Die Ernährung heute – wie vor 100 Jahren zu Steiners Zeiten – hat nicht mehr die Qualität, die erforderlich ist, um den Willen anzuregen, damit sich der Geist im physischen Leben manifestieren kann. Der Brückenschlag von der Idee zur Tat wird unmöglich. Jetzt aber können wir uns aus freier Entscheidung mit der geistigen Welt verbinden. Das ist der Weg des Willens – als evolutionärer Weg zum Makrokosmos, der die Zukunft der Erde durch unsere Arbeit am Irdischen und unsere individuelle Verwandlung ermöglicht.

Nach Freiheit und Liebe streben wir – das ist das Ewige in uns. In seinen Vorträgen über okkulte Physiologie in Prag im Jahr 1911 sagte Rudolf Steiner, dass die Aufgabe des Menschen auf der Erde darin besteht, innere Wärme durch unser Ich in lebendige Empathie für alle Wesen umzuwandeln. Es ist eine Frage der Empathie, des Interesses, der Achtsamkeit, der mitfühlenden Zuneigung. Das ist die passende Einstellung, um den Willen für die Erde als lebendiges Wesen zu wecken.

Chik Ying Chai Als Biodynamiker wissen wir: Durch Anbau, Zubereitung und Verzehr von Lebensmitteln berühren wir die Sonne, die Wolken, die Würmer, die Rhythmen von Erde und Himmel. Jeder Schritt, von der lebendigen Erde über Pflanzen und Tiere bis hin zum Menschen, verwandelt die vorherige Substanz in etwas Neues. Durch den Fluss von Spannungen und Polaritäten wird die Substanz zunehmend vergeistigt, künstlerisch und erhaben. Licht und Dunkelheit, Feuchtigkeit und Trockenheit, Sommer und Winter, Wachstum und Zerfall – wenn wir in den Polaritäten ein Potenzial erblicken, bilden wir einen Raum für Michael und eine Gelegenheit, unabhängige Willenskräfte zu entfalten.

Wenn wir Kompost herstellen, mischen wir Schichten von trockenem und grünem Pflanzenmaterial, Kuhdung und Erde, um Nährstoffe bewusst zu pflegen. Dann stechen wir mit einer Gabel hinein, damit Luft eindringen kann, und fügen Präparate hinzu, um die mikrobielle Vielfalt zu fördern. Stoffe aus dem Hoforganismus werden erwärmt, verdaut, ausgeschieden, reguliert, und es wird für Wärme und Feuchtigkeit gesorgt. Wenn der Kompost dann ausgebracht wird, werden Stoffe und Kräfte freigesetzt, die die Empfindlichkeit der Pflanzen für Rhythmen und ausgleichende Lebensprozesse erhöhen. So wächst ein empfindungsfähiges Lebewesen in die Welt hinein und wird zu heilender Nahrung für Mensch und Erde. Diese wunderbare Metamorphose und Harmonisierung kann nur durch Landwirtinnen oder Gärtner geschehen, durch den Transformationswillen von der Wahrnehmung zur Individualisierung bis hin zur Erhaltung. Das Timing, die Landschaft, das Wasser und die Bodenstruktur nähren und lassen die Pflanzen wachsen. Der Landwirt tut dies durch Aufmerksamkeit. Durch innere Wahrnehmung und Praxis, nicht durch Theorie, sondern durch künstlerische Imagination, lässt er Lebensprozesse zum Ausdruck kommen.

JP Wir befinden uns in einer Polykrise. Zahlreiche Forschungsarbeiten haben sich mit diesen Problemen befasst, ohne sie lösen zu können, weil es sich um eine spirituelle Frage handelt: Das Grundmotiv für unser Handeln ist nicht moralische Einsicht, sondern Egoismus aufgrund von Unverbundenheit. Gustave Speth, ehemaliger Vorsitzender des UN-Entwicklungsprogramms, sagte: «Die größten Umweltprobleme sind Egoismus, Gier und Apathie, und um diese zu bewältigen, brauchen wir eine spirituelle und kulturelle Transformation.»1 Als globaler spiritueller Wegweiser und Friedensaktivist drückte es Thích Nhất Hạnh so aus: «Der Ausweg liegt im Inneren.» Die äußere Entwicklung muss durch eine innere Perspektive ergänzt werden.

CYC Wie an vielen anderen Orten auch sind wir in Südostasien und Malaysia mit Bodendegradation, Verlust der Artenvielfalt und Umweltverschmutzung aufgrund unnachhaltiger Anbaumethoden konfrontiert. Biodynamische Initiativen wie die Jungle Family Movement verwandeln Ölpalmen-Monokulturen in Agroforst- und Wechselkultursysteme. Außerdem führen wir interdisziplinäre Gespräche, bei denen Landwirte, Produzentinnen, Einzelhändler, Köchinnen, Ernährungswissenschaftler, Pädagoginnen und Verbraucher miteinander in Dialog treten. Wir fördern neue Gemeinschaften durch Kunst, landwirtschaftliche Aktivitäten und Lebensmittel. Wir laden zum Nachdenken ein. Wir teilen gemeinsame Mahlzeiten und überlegen, welche Lebensmittel die Seele und das Bewusstsein des Menschen beleben. Wir halten inne und schaffen Raum, um die Verbindung zu uns selbst und allen Wesen, die die Nahrung veredeln, zu beobachten.

Fußnoten

  1. Quelle: Andrew Bovarnick, Manager im Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen.

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