Den Frieden tanzen

Friede, Freiheit, Freude und Freundschaft. Diese vier Worte haben besonderen Glanz, weil sie den Kern seelischen Lebens und seelischer Entfaltung treffen – und sie haben den gleichen Wortstamm ‹fri›, was ‹wohlgesonnen›, ‹verbunden› bedeutet.


So wie das Leben die Natur aus der Starre befreit, so tut es die Freiheit mit dem Geist. So meint ‹fri› auch die Lebendigkeit des Geistes. In Freundschaft und Frieden steigert sich das Leben und die Freude bringt es zum Ausdruck! Genauer: In Freiheit beginnt der Geist zu leben, in Freude beginnt das Herz zu schlagen, die Seele lebt und im Frieden ist auch die Unversehrtheit des Leibes gemeint. So ist mit ‹fri› das Wohl von uns Menschen im Ganzen gemeint, körperlich, seelisch und geistig. Deshalb überrascht es nicht, dass Sänger und Sängerinnen sich in Liedern dem Frieden widmen und dazu die schönsten Melodien und schönsten Worte finden. Beispiele dafür sind John Lennons ‹Imagine›, ‹Wind of Change› der deutschen Band Scorpions zum Mauerfall oder ‹Brothers in Arms› von der britischen Musikgruppe ‹Dire Straits›. ‹We Shall Overcome› von Joan Baez gab einer ganzen Generation einen Ton. Was für ein berührender Moment, als vor einigen Jahren die Sängerin Shakira vor der Vollversammlung der UN dieses Lied anstimmte. Es ist, als würde der Weltgeist, wenn es um den Frieden geht, uns besonders himmlische Klänge und  menschliche Worte schicken. Bob Dylan hat den Literaturnobelpreis bekommen. Es hätte auch der Friedenspreis sein können für sein Lied ‹Blowing in the Wind›. ‹Heal the World› von Michael Jackson hat auf Youtube 250 Millionen Menschen erreicht.

Frieden stiften heißt tanzen lernen

In Rudolf Steiners Werk ist am deutlichsten vom Frieden die Rede in dem für die Eurythmie geschriebenen und choreografierten ‹Friedenstanz›. Schon im Titel der Ruf: Frieden heißt tanzen lernen. So wie zum Krieg der Marsch, der Gleichschritt gehört, gehört zum Frieden der Tanz. Da bewegt sich jeder für sich im Einklang mit Partner und Partnerin und im Einklang mit der tanzenden Gemeinschaft. Die leibliche Erfahrung im Tanz scheint mir ein Schlüssel für den Frieden zu sein. Du bist bei dir und bei allen anderen, ein sozialer Spagat bis in den Leib. Dieser Tanz von Rudolf Steiner hat vergleichbar einer Symphonie vier Teile und eine Coda, einen Nachklang.

Die ersten drei Zeilen beschreiben einen Quell in unserer Seele, ein Streben, dass wir in dieser Welt etwas wollen. Da geht vom Inneren eine Kraft nach außen: «Es keimen der Seele Wünsche, / Es wachsen des Willens Taten, / Es reifen des Lebens Früchte.»

In unserer Seele gibt es Wünsche, die zu Taten und zu Früchten werden. Friedfertigkeit bedeutet, diese Wünsche mit der Außenwelt zusammenklingen zu lassen. Darum geht es in den nächsten sechs Zeilen: «Ich fühle mein Schicksal, / Mein Schicksal findet mich. / Ich fühle meinen Stern, / Mein Stern findet mich. / Ich fühle meine Ziele, / Meine Ziele finden mich.»

Was man als inneren Kompass bildet, das sei eine Sache des Fühlens, so Steiner. Wenn es gelingt, sein Ziel, sein Schicksal zu fühlen, dann kommt zugleich uns Ziel und Schicksal entgegen. Es entsteht eine Brücke, die von zwei Seiten wächst! Wir üben den Frieden: Brücken zu bauen!

Was dich antreibt, entspringt dann nicht allein persönlichem Wollen, sondern einem Gespräch zwischen zentralem und peripherem Ich. So geschieht im Innern, was dann im Äußeren den Frieden bestimmt: der Brückenschlag. Er führt zur Kommunion, dem Ereignis des Friedens: «Meine Seele und die Welt sind Eines nur.»

Im ersten Teil beschrieb Rudolf Steiner, wie wir Taten ins Leben gießen – da geht es von innen nach außen. Im zweiten Teil folgt das Gespräch von Innen und Außen. Das führt dann – drittens – zur Gemeinschaft von Innen und Außen. Im vierten Teil stülpt es sich um. Jetzt antwortet die Außenwelt, dreimal spricht das Leben: «Das Leben, es wird heller um mich, / Das Leben, es wird schwerer für mich, / Das Leben, es wird reicher in mir.»

‹Heller›: Ich beginne zu verstehen. ‹Schwerer›: Die Verantwortung wächst! ‹Reicher›: Das Leben wird vielfältiger! Nun folgt eine Coda, eine Reprise, in der es sich verdichtet: «Strebe nach Frieden, / Lebe in Frieden, / Liebe den Frieden.»

Wieder drei Schritte: ‹Strebe›: Halte dich zum Frieden. ‹Lebe›: Sei im Frieden; und ‹liebe›: Schenke Frieden. Die erste Zeile fragt: Bist du friedenswillig? Die zweite: Bist du friedfertig? Und die letzte: ‹Bist du friedensstiftend? Es ist ein Weg vom Kopf über das Herz in die Glieder. Den Frieden suchen. Den Frieden haben und ihn hervorbringen.

Es keimen der Seele Wünsche,

Es wachsen des Willens Taten,

Es reifen des Lebens Früchte.

Ich fühle mein Schicksal,

Mein Schicksal findet mich.

Ich fühle meinen Stern,

Mein Stern findet mich.

Ich fühle meine Ziele,

Meine Ziele finden mich.

Rudolf Steiner, Friedenstanz

Friedliches Fühlen, Denken und Wollen

Der Frieden entspringt unserer Mitte, ist eine Sache unseres Gefühls. Deshalb beginne ich hier. Wie werden wir im Gefühl, in unserem Herzen friedensliebend? Im vergangenen Jahr sind zwei wunderbare Bücher erschienen, die das beschreiben. Einmal von Karsten Massei ‹Versöhnung mit dem inneren Menschen› und von Veit Lindau: ‹Schattenwerk›. Beide Autoren belegen eindrucksvoll, dass wir in einem inneren Kampf mit einem Teil in uns selber sind, den wir nicht annehmen wollen. Es ist ein Schatten, den wir verdrängen und bekämpfen. Wir sprechen von Autoimmunerkrankungen, wenn sich unser Immunsystem gegen unseren Organismus wendet. Das gibt es auch im Seelischen: Ein Teil wendet sich gegen einen anderen Teil der Seele, will ihn nicht anerkennen. Häufig rührt das aus der Kindheit. Wir haben in der Kindheit gelernt, so zu sein, wie unsere Eltern, unsere Lehrerinnen und Lehrer uns wollten, haben gelernt, was wir tun müssen, damit wir geliebt werden. Und diese Strategie führt dazu, dass wir noch heute Teile in uns, die damals eben nicht anerkannt wurden, ablehnen. Die Friedensaufgabe: das Verlorene heimzuholen. In der Bibel ist es die Geschichte vom verlorenen Sohn. Carl Gustav Jung, Mitbegründer dieser Schattenlehre, fragt provokant: «Willst du ein ganzer Mensch oder ein guter Mensch werden?»

Wolfgang Held

Schattenarbeit für die Brücke nach innen und Dankbarkeit für diejenige nach außen lassen uns, wie ich meine, ‹im Frieden leben›. Zu verstehen, wie es friedlich wird, ist eine Sache der Erkenntnis. Was da hilft, sind die Friedenstechniken, erfunden in den letzten 30 bis 40 Jahren, wie die Gewaltfreie Kommunikation. Die vier Ich-Botschaften der Gewaltfreien Kommunikation müssten heute in jeder Schule Unterrichtsfach sein. Wenn dir etwas aufstößt, dann schildere deine Beobachtung, beschreibe dein Gefühl, das sie auslöste, nenne dein Bedürfnis und äußere eine Bitte. Und die Gewaltfreie Kommunikation ist der Verzicht auf das Herunterschauen, das jede kritische Bemerkung im Gepäck hat, und Verzicht ist Treibstoff für Frieden.

Vom Meister des Friedens, Mahatma Gandhi, stammt der Satz: «Gewalt ist die Waffe der Schwachen. Gewaltlosigkeit die der Starken.» Für Frieden braucht es Mut. Das ist, glaube ich, was für den Willen besonders gilt, wenn wir über den Frieden sprechen. Das ist eine Mutfrage. Ein Rat für die Weihnachtszeit: sich an einen Moment zu erinnern, in dem der Mut einen packte, für den Frieden einzutreten, weil man den Frieden liebte und nicht anders konnte. – Der Friede sei mit dir!


Kurzfassung des Podcasts in der Reihe ‹Anthroposophie to go› von Wolfgang Held, Folge Nr. 16 ‹Wie Frieden gelingt›.

Der Podcast finden Sie auf Apple Podcast, Spotify und Deezer.

Titelbild Vanessa Lai/Unsplash

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