Das Herz des ‹Menschheitsrepräsentanten›

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Vieles und Schönes wurde über den ‹Menschheitsrepräsentanten› geschrieben. Ronald Templeton fällt auf, was bisher wenig beachtet wurde.


Der Hintergrund, auf dem sich das ganze Geschehen der sogenannten ‹Gruppe› abspielt, ist ein Felsen. Dieser Felsen ist bewegt. Er gebiert ein Wesen, oben links, von dem Rudolf Steiner sagte: «So entstand dann dieses Wesen, das gewissermaßen als Elementarwesen aus dem Felsen herauswächst.» Ihm wurde die Bezeichnung ‹Der Weltenhumor› beigelegt. «Dieses Hinunterschauen mit Humor über den Felsen hat seinen guten Grund. […] Erst dann werden sich die Menschen wahrhaftig zum Geistigen erheben, wenn sie es nicht erfassen wollen mit egoistischer Sentimentalität, sondern sich in Reinheit der Seele, die niemals ohne Humor sein kann, in dieses geistige Gebiet hineinbegeben können.»1

Luzifer ist so gestaltet, dass er die ganze Welt in sich hineinsaugt und emotional genießt. Er kapselt sich ab vor der Welt. Diese Welt soll ihn nicht stören. Auch seine Hände, bei denen sogar aus dem betonten Zeigefinger alle Kraft nach innen gezogen wird, unterstützen diese Geste des Auf-sich-Beziehens, des In-sich-Hineinsaugens. Seine verknöchernden Knie und Waden wirken wenig belebt. Es sieht so aus, als ob sie als Anhängsel vernachlässigt wurden. Und sie überlassen sich als scheinbare Gliedmaßen den Handrücken Ahrimans, der sich, um nicht bemerkt zu werden, krampfhaft flüchtend in seine Höhlung zurückzieht. Seine gespannten, zu Krallen geformten Hände zeigen die das Licht scheuende Haltung, wie auch sein zurückgelegter Kopf. Sie lassen ihn aus dem versteckten Hinterhalt lauern und nervös aufmerksam die Chance für sein Zugreifen wittern.

Mit einer eurythmischen Bewegung eröffnet die zentrale Figur eine Welt zwischen dem verschränkten Zusammenwirken Ahrimans und Luzifers, die sich bis dahin als nicht existent gab. Durch diese Geste befreit sie die Herzensregion, bewegt das Herzchakra. Die Ätherbewegungen können nun frei strömen und schaffen eine atmende Beziehung zwischen dem Herzen, über den Ansatz des linken Arms, zu den drei Strömungen des ‹dritten Auges›, des Stirnchakras. Auf ihrer rechten Seite strömen sie nach unten, worauf schon Sergej Prokofieff2 aufmerksam gemacht hat.

Herz- und Stirnchakra – der mittlere Mensch

Als sogenannte sechs «Eigenschaften» oder «Nebenübungen» beschreibt Rudolf Steiner die Pflege der zwölfblättrigen Lotusblume.3 Gemäß der östlichen Überlieferungen ist das Herzchakra gemeint oder das Anahata-Chakra. Wenn wir Rudolf Steiner folgen,4 so beziehen sich die Angaben auf sechs verschiedene innere Tätigkeiten. Im Denkbereich schult man sein Denken, indem man sich auf die Abfolge eines Prozesses konzentriert. Es kann etwas Alltägliches sein, es kommt vor allem auf das konsequente, ununterbrochene Verfolgen von Schritten an, die zum Beispiel zu der Herstellung eines Objektes führen. Hat man das eine Woche lang oder einen Monat lang täglich geübt, dann folgt die Arbeit am nächsten Schritt. Man nimmt sich vor, zu einer bestimmten Zeit etwas Bestimmtes zu machen. Das, was man sich vorgenommen hat, muss nicht bedeutsam sein. Bedeutsam und entscheidend ist, dass man sich zu diesem Zeitpunkt daran erinnert, dass man sich vorgenommen hatte, eine bestimmte Handlung durchzuführen, und dass man es auch tut. Das schult den Willen ungemein und führt dazu, dass man seine Handlungen viel bewusster und gezielter durchführt. Die dritte Übung bezieht sich auf die Gelassenheit. Schafft man es, immer gelassen zu bleiben, egal, was passiert? Die Aufmerksamkeit wird auf die Emotionen gelenkt, die in sich die Neigung tragen, die Seele zu überfluten und sie hierhin und dorthin zu ziehen. Man wird sich seines Temperamentes gewahr. Der Phlegmatiker verschläft das Reizende, die Melancholikerin sieht es zwar, aber versinkt in dem Gefühl, nicht gemocht zu werden. Der Choleriker haut gleich darauf los und die Sanguinikerin spürt die Spannung des aufregenden Geschehens. Kann man die innere Ruhe bewahren und es schaffen, nicht zum Spielball der Ereignisse zu werden?

Der nächste Schritt ist eine Herausforderung. Man nennt ihn die Grundhaltung der Positivität. Aber was bedeutet das für die Seele? Was soll ich an Positivem beim anderen wahrnehmen? Zuerst wird man gewahr, dass man sich von der vertikalen Ich-Achse in die Beziehungsachse begibt. Die Bewegung geht von mir weg zu dem anderen hin. Ich beginne, den anderen möglichst unbefangen wahrzunehmen. Ich achte darauf, was ich von ihm als einem werdenden Wesen wahrnehme, was in ihm sich weiter entfalten möchte. In der Besinnung auf meine veränderte Tätigkeit werde ich gewahr, dass jeder andere eine Welt in sich trägt, die anders ist als meine von mir erlebte Innenwelt. Mache ich mir diese Unterschiede klar, so schaue ich gleichzeitig, wie ich vom anderen lernen kann, was nicht unmittelbar zu meinem Innenerlebnis gehört. So schließe ich mich für das Neue auf, lasse mich ergänzen und mache lernend neue Erfahrungen, die ich ohne den anderen nicht gemacht hätte.

In dem sechsten Schritt versuche ich, die einzelnen Schritte miteinander in Einklang zu bringen, sodass daraus ein ganzes Organ entsteht. So bilde ich mir das übersinnliche Organ des Herzchakras. Ich habe mein inneres Wesen, zum Denken und zum Wollen hin stabilisiert. Ich habe die Kraft entwickelt, mich nicht ablenken zu lassen und durchzuführen, was ich mir vorgenommen habe. In der Mitte habe ich mich durch Unerschrockenheit gefestigt. Ich habe gelernt, alles entgegenzunehmen, was auf mich zukommt, ohne zurückzuweichen. Schon diese drei bereiten mein Betreten des geistigen Geschehens vor, sodass es mich nicht überwältigen kann, was zu grandiosen Verzerrungen des übersinnlichen Wahrnehmens führen würde.

Somit kann ich nicht nur aus eigener Kraft in einem Bereich stehen, bei dem der Halt des Physischen weggefallen ist, sondern ich vermag es aus dem Stehen-Können heraus, mich diesem neu auftretenden bewegten und lebendigen Umkreis zuzuwenden. Ich kann mich in das Geschehen dort wahrnehmend einleben, ich kann mich vereinen mit dem, was mir entgegenkommt, ohne mich zu verlieren, und ich vermag mir das Erlebnis anzuverwandeln. Das andere Chakra bildet sich aus der Situation, nämlich das sogenannte Dritte Auge. Denn wahrnehmend muss ich unterscheiden lernen. Ich habe nicht ein wuselndes Allgemeines vor mir, sondern schaue hinein in die Tätigkeit von Wesen, die ich zwar erleben kann, aber in die ich mein Licht hineintragen lernen muss, um sie zu differenzieren. Diese unterscheidende, konturierende, aufmerksame Zuwendung: Es bilde sich dieses Auge «am Lichte fürs Licht, damit das innere Licht dem Äußeren entgegentrete»5.

Die Kopfgestaltung des ‹Menschheitsrepräsentanten›

Dieses Dritte Auge bestimmt die Gestal­tung des Hauptes des ‹Menschheits­repräsentanten›. Die Nasenwurzel tritt hervor und betont die Zuwendung zum geistigen Schauen, die Augen sind nicht auf einen Punkt fokussiert, sondern sie vermitteln das Wachsein im Strom der Zeit, ihr Blick schaut sowohl zurück in ferne Vergangenheiten wie weit in die Zukunft. Die obere Lippe zeigt die empfindende Offenheit eines gegenwärtig Wahrnehmenden und die Unterlippe spricht von der Potenzialität seiner Willenskraft. Was hier nur angedeutet wurde, ist doch in sich ein Bewusstseinszustand, der weit über unser Tagesbewusstsein hinausgeht. Er stellt sich erwacht in die geistigen Zusammenhänge voll erlebend hinein. Dieser Bewusstseinszustand verbindet sich mit allem, was zum Herzchakra errungen wird. Diese zentrale Gestalt steht auf ihrem eigenen Boden, sie ist zu einem Mitwirkenden in den geistigen Welten geworden und erlebt den Einklang des ‹Ich-bin› mit dem Menschheitskarma.

Hineinstellen in den Karmastrom

Bei genauerem Hinschauen zeigt sich ein dritter Strom. Das Haupt wird in die Gestik des Herzchakras einbezogen, was schon durch die Armbiegung angedeutet wird.6 Dadurch wird der ‹Raum› angedeutet, die Bewusstseinsverfassung des vorwärtsschreitenden Fußes, der sich quer durch die begehrlichen ahrimanischen Einfluss-Strömungen einen Weg bahnt. Denn die Widerstände sind stark. Seitlich, auf der rechten Seite, arbeiten sich spitze, übergroße Dornen aus den Tiefen der Erdgebundenheit herauf und wollen sich mit den hinter der Zentralgestalt schnellenden Bewegungen Ahrimans vereinen und den karmischen Impuls erwürgen. Durch den Schritt der in die Welt hineinschreitenden Zentralgestalt kann diese Vereinigung nicht zustande kommen.

Fragt man sich nach dem Quellgrund dieses Schrittes, so kann man den Zusammenhang mit den beiden erwähnten Bewusstseinssphären leichter nachvollziehen. Es gehört aber noch mehr dazu: Gehen wir zu Maryons und Steiners Gipsmodell, so sehen wir im Rücken der Zentralgestalt eine Höhlung, die sich scheinbar mit den längeren Haaren bildet. Diese Höhlung bildet, wie jede Konkave, ein aufnehmendes Organ, wie ein empfindendes Ohr. Auch wir kennen dieses Organ, wenn wir auf den Raum zwischen unseren Schulterblättern achten. Wir entdecken dort ein starkes Gespür für etwas, das sich hinter unserem Rücken abspielt. Hier ist es die Gestaltung des ‹Felsens›. Aus den Höhen senkt sich ein breiter Strahl, der sich wie eine umgekehrte Glockenblume öffnet, um ihre Spende von einer empfangenden Schale mehrerer Blütenhände aufzunehmen. Das Aufgenommene wandelt sich in eine Art Wasserfall und fließt dann über in Ahrimans strebende Bewegungen. Zu den beiden präsenten Widersachern hin bildet es eine Art Bollwerk, das in seiner Fortsetzung auf der linken Seite der Zentralgestalt, von außen betrachtet, wie eine Art Flügel erscheint. Auf der rechten Seite scheint es nach oben zu pulsieren, um dann überzugehen in den stürzenden Luzifer.

Mir scheint dieser Teil des Felsens auf die geistige Wirksamkeit in den Elementen oder Ätherarten zu deuten. Die sichtbaren Formen können einen zu Erlebnissen führen. Man könnte vielleicht etwas erspüren, wie eine Lichtwirksamkeit, die von oben kommt und in Wechselwirkung tritt mit dem, was von oben spendet und von unten empfangend aufgenommen wird, um die einströmende Metamorphose als umgekehrten Pflanzenprozess an jene Bereiche weiterzugeben, die man als das Urmenschliche empfindet. Dies nimmt die Zentralgestalt durch ihren Rücken auf und verwebt es mit ihrem umfangenden Herzchakra und ihrem klärenden Stirnchakra. Der Umkreis wird erlebend wahrgenommen und ein Impuls aus der Einsicht in die geistigen Zusammenhänge fließt in den Fuß hinein, damit es im Schreiten Erden-Tat werde.

Wenn diese Haltung den ganzen Menschen ergreift, verliert Luzifer seine verführerische Macht und stürzt kopfüber herunter. Vergeblich versucht er, einen Halt zu finden, und in seinem verzweifelten Versuch dazu, ergibt sich eine Karikatur von der das Herzchakra befreienden Geste der Zentralfigur. Ahriman muss sich in seine Höhle zurückziehen und siecht langsam dahin, wie ein verwelkendes Blatt im Spätherbst, aus dem der letzte Hauch des Lebens schwindet. Auch seine Gestik mündet in eine Verzerrung der das Herzchakra befreienden Geste der Zentralfigur.

Es bleibt die Zentralfigur und sie bewährt sich im wahrsten Sinne des Wortes als Repräsentant der zukünftig zu erringenden Bewusstseinszustände des Menschen.


Titelbild Links: Die Rückengestaltung; rechts: Die Hintergrundsgestaltung. Beide Fotos: Ronald Templeton

Fußnoten

  1. GA 181: 3.7.1918 (1991), S. 316.
  2. Sergej O. Prokofieff, Die Skulpturengruppe Rudolf Steiners. Dornach 2011, S. 53.
  3. Siehe: Rudolf Steiner, Die Nebenübungen. Sechs Schritte zur Selbsterziehung. Hrsg. von Ates Baydur, Dornach 2007.
  4. Zum Beispiel GA 13, Dornach 1996, S. 345 und S. 349 ff.
  5. Johann Wolfgang Goethe, Zur Farbenlehre – Didaktischer Teil. DTV-Gesamtausgabe, Bd. 40, 1963, Einleitung.
  6. Diese Armgeste ist nicht ein vollständiges eurythmisches ‹I›, sondern ähnlich wie bei Michelangelos Werk ‹Jüngstes Gericht› trägt es die Kraft in sich, mit einem eurythmischen ‹G› einen Innenraum zu befreien und dasjenige, was dies verhindern möchte, wegzuschieben.

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