Wer lebt, der wandelt sich. Und wer sich wandelt, der bleibt sich treu – ansonsten gäbe es jenen, der sich wandelte, ja gar nicht. Will ich anders werden, muss ich zunächst Ich sein, denn es gibt niemanden außer mir, der mich verändern könnte.
Wer angesichts dieses intimen Zusammenhangs von Kontinuität und Wandel auf den Lebensgang Rudolf Steiners blickt, der weiß die beiden vorherrschenden Lesarten dieser Biografie begründet zurückzuweisen. Denn es ist natürlich vermessen, Steiner von Geburt an für jenen zu halten, als der er schließlich gestorben ist – ebenso wie es anmaßend ist, zu behaupten, Steiner wäre nicht als jener gestorben, als der er geboren wurde. Beide Fehllektüren eint, dass sie Steiner aus dem Blick, ja, seine Bewegung aus den Augen verlieren: einmal, weil die Biografie Steiners zum vorherbestimmten, folgerichtigen Abarbeiten einer bürokratischen Lebensakte verharmlost wird (Kontinuität ohne Wandel); einmal, weil die Biografie Steiners im wahllos-willkürlichen Durcheinander der Lebensumstände verschwindet (Wandel ohne Kontinuität). Wer auf den Lebensgang Rudolf Steiners schaut, der erkennt die Signaturen einer Biografie, die immer wieder vor dem Nichts, vor dem Scherbenhaufen des eigenen Lebens steht – und dann neue Lebenswege einschlägt. Diese sind nicht folgerichtig, weil sie nicht anders sein könnten, sondern weil Steiner sie aus dem Nichts heraus schöpft – weil er sich immer wieder befähigt, barfuß über Scherben zu gehen. Wer das Nichts innerhalb einer Biografie leugnet, der verneint den Wandel; und wer das Ich, das aus dem Nichts schöpft, leugnet, der verneint die Kontinuität. Die Individualität allein gebiert Kontinuität und Wandel. Das Ich, das aus dem Nichts schöpft, ist das Ich, das sich verwandelt.