Konkrete Anreize und klare Strukturen ermöglichen nachhaltige Transformation. Sie machen für Bauern und Bäuerinnen die Qualität, Resilienz und Zukunftsfähigkeit der biodynamischen Landwirtschaft sichtbar.
In meinen Augen ist das unvorhergesehene, lebendige, kreative Chaos in Ägypten so anwesend, dass ich selber bemerke: Ich setze mich häufiger mit den göttlichen Kräften in Verbindung als sonst. In den letzten sieben Tagen habe ich mich innerlich und äußerlich häufig sagen hören: «In schāʾa llāh», was so in etwa heißt: «So Gott will». Zum Beispiel wenn einem auf der sechsspurigen und vollen Hauptstraße jede Menge Transporter entgegenkamen. Oder eben, dass Sekem es geschafft hat, vor 16 Jahren eine Universität zu gründen, die heute mehr als 3000 Studierende begleitet.
Festlichkeiten an der Heliopolis-Universität in Kairo
Lasst uns mit der Reise von Gamal Elsaway beginnen, der sein Zertifikat in der Hand hält und gerade fast pünktlich aus der Mittelmeerregion Ägyptens mit 38 weiteren Bauern und 15 Bäuerinnen nach Kairo angereist ist. Nämlich zur alle zwei Monate stattfindenden Veranstaltung des ägyptischen Verbandes für biologisch-dynamische Landwirtschaft (EBDA). Die Teilnehmenden repräsentieren verschiedene Regionen (Bundesländer) und vertreten insgesamt 250 Landwirtinnen und Landwirte, die den Umstellungsprozess ihrer Höfe auf die biodynamische Bewirtschaftung erfolgreich vollzogen haben. Man sieht, Gamal Elsaway ist in festlicher Stimmung, seine Augen leuchten und sein Händedruck ist sehr kraftvoll. Ich kann nur ein paar Worte, wie ‹Shukran› (danke), und ich vermute, er möchte mich zu seiner Farm einladen.
Sich von Kunstdünger und Pestiziden abzuwenden, hat eine Relevanz für unser aller Leben. Die Grußworte von Helmy Abouleish (Vorstandsvorsitzender der Heliopolis-Universität), dem Ministerialbeamten aus der Region für Landwirtschaft Mohamed Elsayed, Ueli Hurter (CH) und Eduardo Rincon (MEX) von der Landwirtschaftlichen Sektion am Goetheanum sowie Juan-Martin Richter (ARG) von der Biodynamic Federation unterstrichen diesen Tatbestand. Heute ist diese Landwirtschaft, die von multinationalen Konzernen befeuert wird, noch in den meisten Ländern auf der Welt der Standard, obwohl wir wissen, dass sie zwei- bis dreimal mehr Schäden für das Ökosystem hervorbringt, als sie selbst an Umsatz erzeugt. Sie ist im Wesentlichen für etwa 24 Prozent der globalen Treibhausgase verantwortlich und somit ein riesiger Hebel, um eine Veränderung einzuleiten. Ganz neue Studien zeigen, dass die ökologische Landwirtschaft nicht nur alle heute auf der Erde lebenden Menschen ernähren kann, sondern mindestens 15 Milliarden. Damit ist das Hauptargument der konventionellen Landwirtschaft – man müsse so handeln, um Ernährungssicherheit zu erreichen – ausgehebelt. Hier in Ägypten, wo es wenig Regen und viel Wärme gibt, wird deutlich, dass die Hauptsicherheit dadurch entsteht, dass wir mit der Natur als Partner in eine Co-Kreation kommen. Dann kann auch aus Wüstensand eine ganz fruchtbare Oase entstehen.
Umstellung auf biodynamische Landwirtschaft in Ägypten
Heute befinden sich bereits über 30 000 ägyptische Bauernbetriebe in der Umstellung auf biodynamische Landwirtschaft. Seit 2021 haben ca. 5000 Landwirte und Landwirtinnen erfolgreich umgestellt. Insgesamt gibt es etwa sieben Millionen Kleinbauern in Ägypten. Für Gamal Elsaway war der erste Kontakt mit der biodynamischen Anbauweise sein Nachbar, der Mitglied der biodynamischen Community geworden war. Plötzlich kamen viele Menschen auf seinen Hof, insbesondere Studierende der Heliopolis-Universität: Agrarwissenschaftlerinnen für die Kompostprozesse, Ingenieure für die Installation von Solarpumpen, Ökonominnen für die notwendige Buchhaltung zur Berechnung der Zertifikate. Auch die Medizinstudenten sind regelmäßig auf den Farmen, um über das Blutbild zu forschen und herauszufinden, wie biodynamische Landwirtschaft den Körper beeinflusst. Später kamen die Kontrolleurinnen und zwischendrin die Vertreter von Banken (eine alternative Mikrokreditbank ist in Gründung) und Versicherungen (die Eco Health ist bereits gegründet und bietet eine günstige Grundversorgung). Die ‹Economy of Love›-Gemeinschaft (EoL) ermöglicht den Landwirten und Landwirtinnen den Zugang zu diversen Leistungen. Sie hat zusammen mit der Pädagogischen und Landwirtschaftlichen Fakultät über 250 Lehrvideos entwickelt (von ‹Was passiert beim Kompostierungsprozess?› bis ‹Wie warte ich meine Solaranlage?›). Justus Harm zeigte uns die Büros dieser verschiedenen ineinandergreifenden Organisationen, die in den letzten vier Jahren aufgebaut wurden. Sie haben ihren Sitz in einem Bürokomplex neben der Uni. Ich fragte ihn, was aus seiner Sicht die Grundlage dafür ist, dass so viele Umstellungen so erfolgreich und in so kurzer Zeit begleitet werden konnten, und wo die größten Herausforderungen liegen. «Der Erfolg der EBDA und der ‹Economy of Love› bei der schnellen Umstellung auf biodynamische Landwirtschaft liegt in unserem ganzheitlichen Ansatz, der ökologische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Dimensionen vereint, sowie in der tiefen Verbundenheit zur Regeneration der Umwelt. Durch kontinuierliche Beratung, persönliche Begleitung und eine klare Vision einer Wirtschaft der Liebe gelingt es, Vertrauen aufzubauen und Sinn zu stiften. Gleichzeitig schaffen Ökosystemdienstleistungen wie die von uns entwickelten Kohlenstoff-Zertifikate und der Zugang zu neuen Märkten finanzielle Anreize, während Schulungen und Bewusstseinsbildung den Wandel nachhaltig verankern. Die klare institutionelle Struktur zwischen EBDA, EoL, Sekem und der Heliopolis-Universität ermöglicht Effizienz und Skalierbarkeit. Die größten Herausforderungen liegen in der finanziellen Absicherung der Umstellungsphase, dem Mangel an qualifizierten Beratenden, der technischen Komplexität von Monitoring-Systemen, dem nötigen Bewusstseinswandel bei Landwirten und Konsumenten sowie im administrativen Aufwand der Zertifizierung – Aufgaben, die mit Wachstum zunehmen, aber mit einer starken Vision und engagierten Teams gemeistert werden.»
Vor der Zertifikatsverleihung mit Thoraya Seada vom Carbon Footprint Center und Naglaa Ahmed von der EBDA fragte ich nach der ‹Organic Egypt›-Stiftung, die zur Förderung der Umstellungen gegründet wurde. Was macht sie, woher erhält sie ihre Mittel? Die Stiftung fungiert als übergeordnete Dachorganisation, die alle relevanten Akteure im Bereich des ökologischen Landbaus in Ägypten miteinander vernetzt. Sie stärkt die Zusammenarbeit zwischen der EBDA, weiteren landesweiten Verbänden, Forschungsinstitutionen und Marktpartnern, um den ökologischen Sektor ganzheitlich weiterzuentwickeln. Durch ihre Struktur schafft die Stiftung Synergien zwischen Praxis, Forschung, Bildung und Vermarktung, wodurch Wissenstransfer und Effizienz in der Umsetzung gemeinsamer Projekte gefördert werden. So trägt sie wesentlich dazu bei, die strategischen Kapazitäten der EBDA und anderer Organisationen auszubauen und die Sichtbarkeit des Bio- und Demeter-Sektors zu erhöhen.
Zertifikate werden überreicht
Jetzt bekommt Gamal Elsaway sein Zertifikat auf der Bühne mit allen anderen. Es ist ein Symbol dafür, dass es ihm nach ca. drei Jahren gelungen ist, seinen Hof zu transformieren. Es symbolisiert auch den Verzicht auf die heute noch konventionellen Methoden. Stattdessen erhält er über dieses Zertifikat für das Aufbauen eines Kompostiersystems, für das Pflanzen von Bäumen, eben für seine ‹Ökosystemleistungen›, ca. 30 Prozent seines Einkommens. Dadurch kann er diesen erhöhten Aufwand betreiben und seine Waren trotzdem zu heute üblichen Preisen auf den Märkten verkaufen. Das ist zentral, weil es in Ägypten noch keinen Markt für Biowaren gibt, wo die Kundschaft bereit ist, mehr zu zahlen als für konventionelle Lebensmittel. Zu bemerken ist aber, dass die Kundinnen und Kunden sehr wohl den Qualitätsunterschied wahrnehmen. Zunächst im Geschmack und, wie ich hoffe, auch bald in den Produktions- und den Sozialprozessen, die für ganz Ägypten eine echte Wende im Verhältnis zwischen der so jungen Nation (Durchschnittsalter ca. 25 Jahre) und der Natur bedeuten können.
Bild Gamal Elsaway (links) und Justus Harms, Foto: Hisham Saber








