Der kürzeste Vortrag

Ich könnte den kürzesten Vortrag aller Zeiten über Bildschirmmedien und Kinder halten, mit dem Tafelanschrieb: 0-0-7. Null Bildschirmmedien von 0 bis 7 Jahre. Was macht Kinder stark und beweglich, wahrnehmungsfähig, reaktionsfähig, sodass sie die Welt retten können? Da hängt viel an diesen null bis sieben Jahren. Aber die Realität ist ja anders. Auch in Herdecke, in einem Krankenhaus, wo man an eine anthroposophische Community und an aufgeklärte Eltern denkt, ist es anders. Es gibt heute einen Sog, jede Situation, die man erlebt, zu teilen. Jede Currywurst, die man bestellt, schickt man zugleich in die Welt. Das gilt auch so mit diesem zauberhaften Moment direkt nach der Geburt, dieser Augenblick von ich und du, dieses erste Spüren und innige Zusammenkommen, das so wichtig ist. Bonding wird es auch genannt. Die Wärme und der Hautkontakt schütten bei Mutter und Vater Hormone aus, es geht bis in die Physiologie. Außerdem wissen wir aus extremen Situationen, dass dort, wo dieser Körperkontakt ermöglicht wird, wir die Beatmung reduzieren können, der Herzschlag beruhigt sich von selbst. Das Kind wird reguliert von dieser Wärme der Hülle. Neugeboren ist man so exponiert einer neuen Welt, und deshalb zählt dieser Augenblick. Immer häufiger drehen sich alle, um mit einem Selfie mit dem Smartphone diesen Moment in die Welt zu schicken. Das unterbricht diesen intimen Moment – was für eine Geste! Ich finde sie urbildlich wichtig zu verstehen. Die Beziehung zwischen Eltern und Kind hat dort für die Beziehungsfähigkeit einen relevanten Moment. Deshalb setzen wir alles daran, auch nach dem Kaiserschnitt das Kind in die Berührung zu bringen und auf die Brust eines Elternteils zu legen.


Aus goetheanum.tv Karin Michael: ‹Bildschirmmedien und Wahrnehmungsentwicklung des kleinen Kindes›, Vortrag an der Familienkulturtagung.

Bild Karin Michael während eines Vortrags auf der Landwirtschaflichen Tagung 2024. Foto: Xue Li

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