Wo und wie wirkt der Christus in der Medizin?

Wo Einsamkeit und Verlorensein leben, da vermag sich der Christus in den vier Ätherarten zu zeigen.


Was immer da ist, bleibt verborgen. Die Luft, die wir atmen, die Wärme, die uns umgibt, sind in ihrer Allgegenwart der Aufmerksamkeit entrückt. So ist es mit der Wahrnehmbarkeit des Christus. Die Frage ‹Wo und wie wirkt der Christus?› ist auch die Frage: ‹Wie erkenne ich den Christus in seiner allesdurchdringenden Gegenwart?› Oder ‹Wer ist der Mensch, dessen Ziel und Urbild der Christus ist?› oder ‹Wer bist du – als der andere, dessen Wesen ich teile?› oder ‹Wer bin ich – im Verhältnis zur Welt und zum Christus?› Vor wenigen Monaten ist mir eine Möglichkeit begegnet, auf den Christus zu schauen im Sinne einer menschlich-göttlichen Biografie. Es sind biografische Stufen, die nicht identisch sind mit einer menschlichen Biografie und die doch die sieben Schritte unserer Lebensschrift in sich tragen.

Die Biografie des Christus

Wir kennen aus den Evangelien den Bericht über die Geburt des Jesuskindes oder, in der Darstellung Rudolf Steiners, die Geburt der zwei Jesusknaben. So wie wir als Menschen unsere Biografie im Zusammenklang mit den Hierarchien in der geistigen Welt vorbereiten, so bereitete der Christus seine irdische Existenz vor, indem er den Erbstrom des Zarathustra und den Erbstrom einer Individualität, die sich noch nie zuvor in einem irdischen Leib inkarniert hatte, zusammenführte. Wie in der menschlichen Biografie Vater und Mutter über Inkarnationen hinweg einander zugeführt werden, so wurde die Christus-Inkarnation vorbereitet, indem der Träger des Weisheitsstroms der Menschheit mit einer unschuldigen, nicht durch Erdeninkarnationen geprägten Individualität vereinigt wurde. Geburt und Kindheit, wie wir sie aus den Evangelien kennen, sind also die vorgeburtliche Vorbereitung der Christus-Inkarnation. Der Vorbereitung folgt die ‹Zeugung›. Sie geschah in der Jordantaufe, im 30. Lebensjahr. Hier wurde der Christus in seinem Menschenleib gezeugt. An die Zeugung schlossen sich die drei Jahre des historischen Christuswirkens an. Wie eine ‹Embryonalzeit› des Christus können wir diese Zeit verstehen. Wir haben die Vorbereitung der Konzeption, die Zeugung und nun die Ausgestaltung des Christus-Lebens in diesen drei Jahren. Dann geschah das Mysterium von Golgatha: der Tod des Christus in seinem vorbereiteten Erdenleib. So wie die Plazenta sterben muss, so musste dieser Menschenkörper sterben, um die ‹Geburt› des Christus zu ermöglichen. Der Tod am Kreuz war die Geburtsstunde des Christus-Lebens. Dann erfahren wir von der Auferstehung, wie sie Maria Magdalena am Ostermorgen als Erste erlebte. Sie fand das Grab leer. In ihrer verzweifelten Suche begegnete sie dem Gärtner. Ein Gärtner ist immer da und sorgt für das Gras und die Blumen und die Ordnung – und in ihm darf sie den Christus erkennen, in seinem auf der Erde wirksamen Leib, in seiner Äthergestalt, in der Gestalt des Auferstandenen. So werden ihn auch die anderen Jünger erkennen. Alle begegnen sie zunächst einem Ungekannten, der sie begleitet, der ihre Sorge versteht und der am Abend bei Brot und Wein erkannt wird als der, der immer da ist, der nun immer da sein wird, als der Christus in seiner Äthergestalt.

All diese Begegnungen mit dem Auferstandenen haben etwas Alltägliches. Etwas allgemein Menschliches geschieht, und darin wird der Christus in seiner Auferstehungswirklichkeit sichtbar. Es dauerte diese Zeit intimer Begegnungen 40 Tage. Die Jünger erfuhren den Christus auf der Erde in Äthergestalt, in seinem Auferstehungsleib. Das ist das eigentliche ‹Leben des Christus› auf der Erde. Wie jede irdische Biografie, so endet auch die Lebensfrist des Christus. Es ist die Himmelfahrt, die der ‹Tod des Christus› aus der irdischen Perspektive ist. «Trauerstimmung», so schildert Rudolf Steiner dieses Himmelfahrtserlebnis der Jünger. Er steigt auf in die Höhen mit dem Versprechen: «Ich werde bei euch sein bis ans Ende der Tage».

In der Gemeinschaft erscheint Christus

Zehn Tage nach der Himmelfahrt geschah eine neue Zeugung: Wieder erscheint das Symbol der Taube, der heilige, heilende und befreiende Geist, der nun eine Menschengemeinschaft befruchtet. In Menschengemeinschaft wird nun die Christusbegegnung als Erkenntnisprozess möglich. «Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.» Gemeinschaftsbildung, die bezeugt wird durch die Anwesenheit des Menschheits-Ich. In dieser Gemeinschaft entwickelt und reift das Ich-Bewusstsein. Ein reifendes Ich übernimmt Verantwortung für sich und die eigene Biografie. Dieses Ich-bin-Werden ist zentrales Motiv der Bewusstseinsseele, das jedoch, wenn es das alleinige Motiv bleibt, zu Isolation, zu Einsamkeit führt. ‹Ich bin› bedeutet auch, Verantwortung zu übernehmen für diejenigen Menschen, die uns anvertraut sind. Dafür braucht es ein weiteres Ich-Erleben aus der Perspektive des Umkreises, der Gemeinschaft.

Viele Menschen heute sagen: «Ich habe kein Ich, ich weiß nicht einmal, was das ist.» Diese Menschen bemerken zu Recht, dass unsere Gefühle ständig wechseln, unser Körper sich verbraucht, dass Überzeugungen, auf die ich meinen Lebensentwurf gegründet habe, vielleicht schon morgen zerschmettert werden. Das Ich-Sein ist zerbrechlich. Die Identifikation des Ich mit diesem und jenem ist Illusion, wie es schon der Buddha gelehrt hat. Ein sich in dieser Weise selbst negierendes Ich erlebt tiefste Isolation und Einsamkeit. Diese Leere klingt mit, wenn ein Mensch sagt: «Ich weiß nicht, wer ich bin. Ich habe mein Ich, ich habe mich selbst verloren.» Und dann ist da vielleicht eine Therapeutin, die sagt: «Versuche dich zu erinnern, als du ein Menschenbündel warst – hier in die Welt geworfen –, und es gab Hände, die dich aufgefangen haben. Wie da Wärme und Nahrung war, Ruhe, Geborgenheit. Und Hände, die dich trugen, deine Schwere überwanden. Erlebe dich selbst aus dem Umkreis, aus der Liebe, die dein Leben hier auf der Erde möglich gemacht hat. Erlebe das, was du selbst nicht erkennen kannst, erlebe es aus der Wärme, aus der Liebe der Menschen, die dich umgeben, und sei es nur einer.»

«Finde dich im Lichte», lautet eine Zeile in einem Mantra, das Rudolf Steiner Ita Wegman im November 1924 gab. Ita Wegman hatte es über viele Jahre am Morgen für die Krankenschwestern in ihrer Klinik gesprochen. Ein Zuspruch, um sich selbst im endlosen Aufgehen in der ätherischen Welt des Lichts und des Tons wiederzufinden.

Finde dich im Lichte
Mit der Seele Eigenton
Und Ton zerstäubt
Wird Farbgebild im Lichte
Licht-Götter-Wesen
Verschwundener Ton
In ihm wiedererstandener Ton
Spricht aus ihm
Du bist
Eigenton im Weltenlicht
Töne leuchtend
Leuchte tönend.
Die immerwährende Wirklichkeit des Christus

Es ist gut, in der Pflegearbeit ganz aufzugehen. Wenn man dann am Ende des Tages zurückblickt, dann mag man den Zuspruch hören: «Du bist!» Die Erfahrung des inneren Zusammenhangs und der Verbundenheit mit der Welt des Lebens, mit der Welt des Guten, mit der Wärme, dem Wasser, der Luft, der Schwere der Erde. So, wie wir die Lichtqualität entdecken können in unserem Denken, können wir erfahren, was seelisch luftig um uns ist. Wir finden die Flüssigkeitsqualität dort, wo die Dinge im Rhythmus sind, das Wasser, das differenzieren und lösen kann, zusammenführen und bilden. Chemischer Äther nennt Rudolf Steiner dieses Vermögen. Hinzu kommt der Lebensäther. Im Mangel vermag die Fülle zu erscheinen. So ist die Verzweiflung der Einsamkeit, die den Umkreis schafft, die Liebe. Das ist die immerwährende Wirklichkeit des Christus. Er lebt in der Äthersphäre. Das schildert Rudolf Steiner ab 1909. Er erwähnt das Wiedererscheinen des Christus in Äthergestalt auf der Erde, sodass es jedem Menschen möglich sein wird, diese individuelle Begegnung mit dem Christus zu gewinnen. Er spricht in bewegenden Worten, wie sich diese Begegnungen zutragen können. Es kann ganz nebensächlich geschehen, wenn wir in innerer Not nicht ein und aus wissen. Für uns selbst können wir immer etwas tun. Wir haben verborgene Ressourcen. Aber die größte Verzweiflung ist, einen anderen Menschen zu sehen, dem wir nicht helfen können. Da fängt die wirkliche Seelennot an! Da kann der Christus sich vergegenwärtigen. Es gibt die Situation, da hilft man einem Menschen, der vielleicht eine von Schmerzen durchplagte Nacht hatte. Man geht aus dem Zimmer hinaus, die Ärztin fragt nach der Visite: «Was hast du gemacht mit diesem Patienten?» Es war vielleicht nur ein Blick in dieses Nichts, in Ohnmacht und Not, oder eine Wärmflasche. Da kann der Christus erscheinen, dort, wo etwas verloren ist. Er schenkt Kräfte des Lebens, die alles vereinen. Jede Einzelheit, die wir tun, jede Bewegung. Jedes Medikament, das wir finden, jedes Steinchen, das wir aufheben, erzeugt, indem wir das tun, einen ätherischen Umkreis. Es strahlt aus. Gerade wenn eine Bewegung zu Ende gekommen ist in einer Menschentat, in diesem Moment, wo sie Vergangenheit wird, erzeugt sie diesen Umkreis.

Rudolf Steiner hat in einem Mantra, das er Ärztinnen und Priestern gegeben hat und das als ein Herzstück in beiden Berufen gepflegt wird, einen meditativen Weg zur Erfahrung des Christus geschildert:

Ich werde gehen den Weg
Der die Elemente in Geschehen löst
Und nach unten führt zum Vater,
Der die Krankheit schickt zum Ausgleich des Karma
Und nach oben führt zum Geiste
Der die Seele zum Erwerb der Freiheit leitet
Christus führt nach unten und nach oben
Harmonisch Geistesmensch in Erdenmenschen zeugend.

Dieser Weg kann der inneren Erfahrung des Krankenpflegenden, meiner persönlichen, meditativen Erfahrung anverwandelt, so formuliert werden: Ich werde gehen den Weg, der das Verlassene mit dem Umkreis wiederverbindet und mich nach unten führt zum Vater, der die Menschheit vom Anfang her will und mich nach oben führt zum Geiste, der die Seele zum Erfühlen fremden Leides erweckt. Christus führt in Höhen, Tiefen, Weiten; Menschenseelen der Weltenseele einend.

Wir leben auch in der Wirklichkeit der ätherischen Welt. Die Begegnung mit dem Christus in seiner Äthergestalt bleibt unverfügbar. Ein sich Einleben in die Ätherische Welt mag den Erkenntnis- und Lebensraum für eine solche Begegnung vorzubereiten. Gerade die Anthroposophische Medizin kann durch ihre Heilmittel, den Umgang mit den Elementen, die Krankenpflege und die Künste in besonderer Weise dazu beitragen.


Bilder Eindrücke von Workshops auf der internationalen Jahreskonferenz der Medizinischen Sektion am Goetheanum 2025, Foto: Xue Li

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