Wie wir lernen

In seinem 93. Lebensjahr ist der Arzt, Klinikgründer und Weledavorsitzende Jürgen Schürholz gestorben.


Da klingt das Echo all dessen, was er schenkte, stiftete. Michaela Glöckler, seine Wegbegleiterin, schreibt in dieser Ausgabe ausführlich über ihn. Goethe fasst dieses Echo im West-östlichen Divan in die Worte: «Man weiß erst, was man aneinander hat, wenn man sich entfernt.» Jürgen Schürholz gibt diesen Blick jetzt frei. Damit schließt sich die Lektion, die er vielen, die er mir aufgegeben hat, und sie beginnt auf einer nächsten Stufe: Ich erinnere mich an eine Weleda-Fortbildung im Goetheanum. Uwe Urbschat hat eine Schulungswoche für leitende Mitarbeitende der Weleda organisiert. Da saßen 30 Menschen an Tischen im Halbkreis. Über Jahre hat Jürgen Schürholz bei solchen Klausuren vorgetragen, Anthroposophie nahegebracht, über Organe und über die biografische Entwicklung erzählt. Jetzt überlässt er einer jungen Weleda-Mitarbeiterin das Wort, um über das menschliche Leben zu sprechen. Sie ist gut vorbereitet, aber noch wenig geübt in der freien Rede und kämpft ein wenig. Der über 80-jährige Jürgen sitzt an einer Ecke des ‹U› und lächelt bis zu den Ohren, sein großer Leib Ausdruck von Freude. Da verstehe ich, lerne ich. Mit einem verborgenen Ruck, einem inneren Schritt hat er, der über dieses Thema so viel lebensvoller und weiser und anekdotenreicher sprechen kann, sich in den Modus der Bewunderung des Neuen, des Beginnenden gebracht – ein Perspektivwechsel ohne Kompromiss, ohne ‹Na ja, aber …›. Noch einmal Goethe: «Man darf nur alt werden, um milder zu sein.» (‹Maximen und Reflexionen›). Das hat Jürgen gelebt, und Freunde und Kolleginnen, die ihn aus früherer Zeit kennen, sagen, sein Weg zur Milde sei nicht kurz gewesen. Hier spielt sich auf anthroposophischem Feld das Lernen ab – viel mehr als im gemeinsamen Studium. Wir lernen voneinander, wie wir das Leben beseelen und vergeistigen. Noch ein Bild von Jürgen: Wenn er über die Organe sprach, dann musste er manchmal seine Rede unterbrechen, um mit einem Tuch über seine Lippen zu fahren. Es lief ihm vor Begeisterung das Wasser im Mund zusammen. Danke, Jürgen.


Bild Jürgen Schürholz während seinem Vortrag am 10. Februar 2021 im Rudolf-Steiner-Haus Stuttgart (Screenshot)

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