Lieber Fritz Glasl, in den vielen Mediationen, die du gemacht hast, da ist das einzelne Ich gefragt, doch jetzt schaue ich auf die andere Seite: Wie spielt da der Himmel mit?
«Das ist eine schwierige Frage, um da nicht in phrasenhafte abgehobene Aussagen zu kommen. Ich denke, in den Begegnungen spielt immer der Himmel mit, wenn wir uns in der Freude oder im Schmerz begegnet sind. Wenn ich teilhabe an deinem Schmerz, an deiner Freude, wirklich teilhabe, dann erlebe ich mich auch als Teil eines Umfassenden, eines Ganzen. Ich kann dadurch über das, was mich in mir selbst gefangen hält, in meinem kleinen Ego, in meinen Bedürfnissen, Anliegen, ich kann über das hinaus, weil ich erlebe, Teil eines Universellen zu sein und dir dabei Bruder oder Schwester zu sein. Ich habe in der Mediationsarbeit erlebt: Es gibt keine wirkliche Lösung des Konfliktes, wenn nicht diese tiefere Begegnung erfolgt ist. In dieser tieferen Begegnung der Beteiligten, die erst verfeindet waren, geschieht, was Viktor Frankl die ‹Selbsttranszendenz› nennt. Über das alltägliche Ich, das mit all den Schatten behaftet ist, treten wir in Verbindung mit dem höheren Selbst. So gelingt eine Offenheit, eine Bereitschaft, das, was vom höheren Ich zu mir fließt, trotz der Widerstände in mir und in der Umgebung zu verwirklichen.»
Aus Goetheanum.tv ‹Offen gesagt› – Gespräche im Goetheanum: ‹Wie kommen wir ins Miteinander›. November 2024
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