Was die Presse vermag

Maximilian Harden und Philipp zu Eulenburg. Marginalien zu Rudolf Steiners Leben und Werk 33

Die Harden-Eulenburg Affäre schlug Anfang des 20. Jahrhunderts hohe Wellen. Rudolf Steiner war mit den Protagonisten bekannt, deren beider Leben leidvoll endete.


In den Jahren 1906 bis 1908 wurde das deutsche Kaiserreich durch einen Skandal erschüttert, der als ‹Harden-Eulenburg-Affäre› bekannt wurde. Der ursprüngliche Anlass war, dass in der Sicht des Publizisten und Herausgebers der einflussreichen Wochenzeitschrift ‹Zukunft›, des Bismarck-Verehrers Maximilian Harden (1861–1927), Kaiser Wilhelm II. zu nachgiebig in der internationalen Politik agierte. Zum Beispiel warf er ihm eine diplomatische Niederlage in der sogenannten Marokkokrise 1905/06 vor, in der es darum ging, ob Frankreich weiterhin das Protektorat über Marokko behalten solle. Harden hatte in diesem Zusammenhang einen «Präventivkrieg» gegen Frankreich befürwortet. Dass es zu diesem nicht kam, schrieb der Journalist der «übersteigerten Friedensliebe»1 des «Liebenberger Kreises» zu, der sich um den feinsinnigen, musisch begabten Diplomaten Fürst Philipp zu Eulenburg gebildet hatte und zu dem sich manchmal auch der Kaiser gesellte. Dieser Kreis hochgestellter Männer traf sich gelegentlich auf dem Gut des Fürsten Eulenburg, Schloss Liebenberg im nördlichen Brandenburg. Da Harden die Majestät nicht direkt angehen konnte, warf er nach einem Besuch des Kaisers in Liebenberg im November 1906 dem Freundeskreis in einer Reihe von Artikeln in der Zeitschrift ‹Zukunft› negative Wirkungen auf die Außenpolitik Deutschlands vor2 und beschuldigte sie homosexueller und spiritistischer Neigungen.3 Als Wilhelm II. im Mai 1907 davon erfuhr, reagierte er umgehend: Er ließ seine langjährigen Freunde fallen und forderte eine gerichtliche Klärung der Vorwürfe. Eine Reihe von Prozessen begann4 und die Sache wurde zum großen Thema in der Presse, die sich in Kolportagen überbot. So wurden der ‹Liebenberger Tafelrunde› «neben gewissen Einflüssen auf die Politik und allerhand mystisch-spiritistischem Unfug auch andere kompromittierende Dinge nachgesagt»5.

Der Sturz Philipp zu Eulenburgs und seiner Freunde sowie die über Jahre sich hinziehenden Prozesse hatten gewaltige Auswirkungen auf gesellschaftlichem und politischem Felde: Unter anderem gewannen die Militärs beim Kaiser an Einfluss, und das Ansehen der Monarchie schwand. Existenzen wurden vernichtet – allen voran diejenige des Fürsten zu Eulenburg. Nicht nur wurde ihm Homosexualität unterstellt, die damals noch als soziales Stigma galt, nicht nur ließen ihn der Kaiser und viele seiner Standesgenossen fallen, sondern er wurde auch des Meineids angeklagt. Denn er schwor im November 1907 vor Gericht unter Eid, nie homosexuelle Handlungen ausgeübt zu haben – und wurde später mit zwei Zeugen konfrontiert, die behaupteten, ebensolche Kontakte mit ihm gehabt zu haben. Nach einem gesundheitlichen Zusammenbruch wurde der Prozess gegen den Willen von Fürst Eulenburg ausgesetzt6 und nie zu Ende geführt. Er notierte am 30. April 1908 in sein Tagebuch: «Welches Schicksal! Ich gewöhne mich langsam an den Gedanken, umgebracht zu werden. Wie ist es denn anders möglich? Ich werde durch falsche Zeugen, Presse, Regierung, Judengeld umgebracht. Sehe keine Rettung!» Und am 5. Mai 1908: «Mein Ruf ist durch die jetzige Presse vollkommen zerstört, meine Familie dadurch rettungslos furchtbar getroffen. Wie kann man diese Lage im Interesse meiner Familie irgend verbessern?»7

Der anthroposophische Arzt Wilhelm zur Linden berichtet in seinem Lebensrückblick, dass Friedrich Wend zu Eulenburg 1937 zu ihm in die Praxis kam und um Rat bat «wegen der immer noch nicht überwundenen Folgen der schweren Schocks, die er in den Jahren 1905 bis 1909 erlitten hatte, als man seinen Vater, […], politisch und menschlich zu vernichten versucht hatte, um dadurch den Kaiser und die monarchistische Idee zu treffen»8. Zu Eulenburg erzählte zur Linden, dass er dem Schiffer Jakob Ernst, der belastende Aussagen über Philipp zu Eulenburg gemacht habe, nach vielen Jahren wieder begegnet sei und ihn gegrüßt habe: «Der Mann sei nun auf ihn zugestürzt und habe ausgerufen: ‹Was, Sie grüßen mich noch, wo ich so an Ihrem Vater gehandelt habe? Aber ich konnte ja nicht anders, der Rechtsanwalt hat gesagt, ich käme sonst ins Zuchthaus!›»9

‹Die Affäre Eulenburg›, zeitgenössische Karikatur von Carl Josef Pollak. Quelle: Wikimedia

Das Ich, das ich sein möchte

Nun stand Rudolf Steiner mit den Hauptprotagonisten der Affäre – Fürst Philipp zu Eulenburg und Maximilian Harden – in verschiedenen Zeiten seines Lebens in persönlicher Beziehung.

Maximilian Harden – ehemals Schauspieler, nun Journalist – hatte er kurz vor der Gründung der Zeitschrift ‹Zukunft› durch den gemeinsamen Freund Hans Olden kennengelernt. Im Juli 1892 erschien von Rudolf Steiner eine ausführliche Besprechung einer Aufsatzsammlung Hardens, die dieser unter dem Pseudonym ‹Apostata› (Berlin 1892) veröffentlicht hatte. Er schätzte Harden damals als «Typus eines vornehmen Schriftstellers», der Achtung vor dem Leser habe und nicht «jenes hohen Wahrheitssinnes [entbehre], der das Charakteristikum eines vornehmen Menschen ist. Wer wahr ist, der spricht immer mehr oder weniger paradox.» Er sei zudem – was Rudolf Steiner damals besonders zusagte – ein «Vergötterer des Individuellen» statt das «Prinzip» anzubeten.10 Harden war von der Rezension tief berührt und schrieb am 10. September 1892 an Rudolf Steiner: «Hoch geehrter Herr, mein lieber Freund Hans Olden war so gütig, mir einige Aufsätze von Ihnen zu übersenden. Dabei war einer, der mir nicht nur Freundliches bereitete, der auch über das Ich, das ich sein möchte, so ungefähr erschöpfend und merkwürdig hellsehend sprach. Beides passiert mir nicht häufig und ich kann Ihnen nur aufrichtig danken.» Dem Brief ist eine Einladung zur Mitarbeit an seinem Zeitungsprojekt ‹Zukunft› beigelegt, die er, so Harden in seinem Brief, nicht wegen der positiven Rezension ausspreche: «Aber soll ich einen feinen Nachdenker entbehren, weil er zufällig an mir gute Seiten entdeckt? Herzlich bitte ich um Ihre gütige Mitwirkung.»11

Tatsächlich schrieb Rudolf Steiner gleich für eine der ersten Nummern der ‹Zukunft› vom 29. Oktober 1892 den Artikel ‹Eine ‹Gesellschaft für ethische Kultur›, in dem er sich gegen das «Schwelgen in den butterigen Idealen»12 dieses neu gegründeten Vereins wandte – Ideale, die jeder Grundlage in der Wirklichkeit entbehrten. Der Artikel brachte Harden «eine ganze Sturmfluth von frankirter Entrüstung»13 ins Haus. Es kam zu einem heftigen Hin und Her mit Artikeln und Gegenartikeln, Briefen und Broschüren, in das sich sogar Ernst Haeckel einmischte, Rudolf Steiner unterstützend. Auch wenn Maximilian Harden Rudolf Steiner danach noch gelegentlich um Gefälligkeiten bat – unter anderem nahm er seine literarischen Kenntnisse für einen Artikel gegen den antisemitischen Agitator Hermann Ahlwardt in Anspruch –, wirkte die Beziehung doch etwas abgekühlt, und es erschienen nach 1893 keine weiteren Artikel des jungen Goethe-Gelehrten mehr in der ‹Zukunft›.

1898 – inzwischen selbst Herausgeber einer Zeitschrift – schrieb Rudolf Steiner in seinem ‹Magazin für Litteratur› dann einen scharfen Artikel gegen den Herausgeber der ‹Zukunft›: «Herr Harden als Kritiker. Eine Abrechnung». Dieser sei ein «beleidigender Angreifer», ein «Pamphletist» geworden. Konkreter Anlass des Aufsatzes war Hardens Verriss von Hermann Sudermanns Drama ‹Johannes›, das Rudolf Steiner tief bewegt hatte. Harden, der «übermäßig empfindlich auf leiseste Kritik»14 reagierte, nahm ihm diesen Artikel sicher übel. Anfang 1899 urteilte Rudolf Steiner in einem Bericht über eine Conférence Hardens – eine Art literarische Plauderei vor einer Rezitation aus Maeterlincks ‹Pelleas und Melisande› – milder: «Er hat manches gute Wort gesprochen. Mich erinnerte er heute in vielen Augenblicken an die Zeit, in der ich mir von seinen großen Fähigkeiten das Allerbeste für seine Zukunft als Schriftsteller versprach.» Die Publizistik habe ihn «heruntergebracht», doch müsse er nicht zur «Pose greifen», da er «stark genug [sei], sich selbst zu geben».15 Noch einmal kreuzten sich die Wege der beiden, als Harden in der ‹Zukunft› vom 21. April 1900 die Replik Elisabeth Förster-Nietzsches auf Rudolf Steiners Artikel ‹Das Nietzsche-Archiv und seine Anklagen gegen den bisherigen Herausgeber› veröffentlichte. Rudolf Steiner bat um eine Berichtigung, die ihm Harden zusagte, da er sich «nicht nur juristisch, für verpflichtet» halte, diese aufzunehmen16. Das war vermutlich der letzte direkte Kontakt zwischen beiden.

Die ‹Zukunft› gewann zunehmend an Verbreitung und Einfluss. Harden schrieb unermüdlich gegen den Kaiser an, –immer darum bemüht, Skandale aufzudecken,– wobei er auch Freunde nicht schonte.17 Während des Ersten Weltkriegs war er zunächst ein begeisterter Kriegsbefürworter, um allmählich zum «Befürworter einer Verständigungspolitik zu werden»18. Er rechnete fest damit, nach Kriegsende eine führende politische Stellung zu erhalten, und war tief enttäuscht, als dies nicht eintrat. Mit Walter Rathenau, der im Februar 1922 Reichsaußenminister wurde, verband Maximilian Harden lange eine innige Freundschaft, die aber in glühenden Hass umschlug. Wenige Tage nach der Ermordung Rathenaus im Juni 1922 wurde auch auf Harden von völkischer Seite her ein Anschlag verübt, bei dem er schwer verletzt wurde. Als gebrochener und verbitterter Mann, der aufgrund der milden Urteile gegen die Attentäter seinem Deutschtum feierlich abschwor, lebte er fortan in der Schweiz, wo er 1927 starb.

Wie sehr sich Rudolf Steiner mit Harden beschäftigte, zeigt eine stattliche Anzahl von Schriften von und über den Publizisten in seiner Bibliothek und gelegentliche Erwähnungen in Vorträgen19. Auch liegen noch zahlreiche, teilweise mit Anstreichungen und Anmerkungen von seiner Hand versehene Exemplare aus fast allen Jahrgängen der von ihm abonnierten ‹Zukunft› vor.20

Generalleutnant Kuno Graf von Moltke, Quelle: Wikimedia

Sie tun ein wahres Liebeswerk

Auch mit Philipp zu Eulenburg und einigen seiner Kinder verband Rudolf Steiner spätestens ab 1904 eine persönliche Bekanntschaft.21 Möglicherweise war diese über das mit beiden befreundete Haus Moltke entstanden. Philipp zu Eulenburg und Hertefeld (1847–1921) hatte nach einer kurzen Zeit beim Militär Jura studiert und promoviert. 1875 heiratete er die schwedische Gräfin Augusta Sandels, mit der er acht Kinder hatte, von denen zwei im Kleinkindalter verstarben. 1886 lernte er auf einer Jagdgesellschaft Kronprinz Wilhelm II. kennen. Bald entwickelte sich eine Freundschaft zwischen beiden; Wilhelm bewunderte den gebildeten und weltgewandten Grafen. Zu Eulenburg war als Diplomat an verschiedenen Höfen und als Botschafter in Wien tätig. Es heißt, dass er bei einigen wichtigen politischen Entscheidungen seinen Einfluss auf den Kaiser geltend machte, aber er drängte nie in eine führende Position. 1900 wurde er in den Fürstenstand erhoben. Aus gesundheitlichen Gründen zog er sich 1902 in den Ruhestand zurück, blieb aber weiter maßgeblicher Berater des Kaisers.

Am 10. September 1905 lud Fürst Eulenburg Rudolf Steiner nach Liebenberg ein: «Sehr verehrter Herr Doctor, nicht nur mein eigener grosser Wunsch, sondern auch der Wunsch meiner gesamten Angehörigen ist es, Sie hier unter uns zu sehen! Würde es Ihnen möglich sein, einen kleinen Ausflug hierher zu machen?» Offenbar folgte Rudolf Steiner dieser Einladung am 26. Dezember 1905.22 Ende 1906 geriet die Familie zu Eulenburg in eine schwere Krise: Zum einen begann Harden im November 1906 die oben bezeichneten Angriffe auf den Fürsten und seine Freunde. Zum anderen aber war die Familie in Sorge, da Tochter Augusta (Lycki) von dem Sekretär ihres Vaters, Edmund Jaroljmek23, ein Kind erwartete und ihn heiraten wollte. Der Fürst lehnte die Beziehung strikt ab. In dieser Situation wandte er sich um Hilfe an Rudolf Steiner und schrieb nach dessen Zusage, ihn in seiner Berliner Wohnung für ein Gespräch zu treffen: «Ich bin tief gerührt durch Ihre Güte! Sie tun ein wahres Liebeswerk.» Am 30. Dezember 1906 dankte er ihm abermals: «Seien Sie überzeugt, dass ich niemals vergessen werde mit welcher Aufopferung Sie mir in schweren Stunden zu Hilfe kamen!»24 Die Begegnung fand wohl am 16. Dezember 1906 statt, und kurz darauf kam es zu einem Gespräch zwischen Rudolf Steiner und Augusta zu Eulenburg. Sie versprach ihm, eine Reise mit der Familie in die Schweiz anzutreten und sich die Heirat noch einmal zu überlegen. Doch musste sie ihm am 28. Dezember in einem Brief aus Baden bei Wien «beichten», dass sie nun doch nicht mit der Familie gefahren sei: «Sie waren so gut und so rührend mit mir, dass ich es Ihnen schreiben muss, wie es kam.»25 Sie heiratete Jaroljmek im Januar 1907 in London und lebte mit ihm zunächst in Florenz.26

Mit des Kaisers Distanzierung von Fürst Eulenburg im Mai 1907 nahm die Affäre Harden-Eulenburg an Fahrt auf und die Prozesse begannen. Da dem Liebenberger Kreis spiritistische Neigungen vorgeworfen wurden, befürchtete Rudolf Steiner wohl, dass die gesellschaftliche Stimmung sich auch gegen die Theosophie wenden könnte. Darauf bezieht sich vermutlich, was er am 6. November 1907 aus Wien an Marie von Sivers schrieb – am Tag, als zu Eulenburg unter Eid aussagte, dass die Vorwürfe gegen ihn nicht zuträfen: «Denn es scheint mir aus Gründen notwendig, die ich Dir noch sagen werde, dass ich mit dem Moltke eine Unterredung gerade jetzt haben könnte. Es bereitet sich nämlich durch die jüngsten Ereignisse eine grässliche Stimmung gegen die Theosophie vor; […].»27

Philipp zu Eulenburg zog sich als gebrochener und kranker Mann ins Privatleben zurück und starb 1921 auf Schloss Liebenberg. Es liegen keine weiteren Zeugnisse von Kontakten zu Rudolf Steiner vor. Doch als 1915 sein Sohn Botho Sigwart zu Eulenburg im Dienst an der Front an einem Lungendurchschuss starb und bald darauf ein Postmortem-Kontakt zu seinen Geschwistern entstand,28 wandten sich diese an Rudolf Steiner. Denn sie waren sich zunächst nicht sicher, wie die so erhaltenen Mitteilungen zu beurteilen waren. Deshalb bat Marie zu Eulenburg, die Gattin von Friedrich Wend, ihn um ein Gespräch, das Anfang Dezember 1915 in Berlin stattfand. Sie schrieb darüber an die Geschwister: «Ich war also volle anderthalb Stunden bei Dr. Steiner – und das Ergebnis hat mich tief beglückt, denn wenn ich auch weiss, und nicht mehr zweifle, so ist mir doch immer als müsste man von neuem danken – es ist ein Beweis, wenn man auch keines Beweises mehr bedurfte, um zu glauben und wir dürfen uns darüber freuen. […] Es stimmt alles! und Steiner sagte, dass sogar vieles fast wörtlich Dinge sind, die er in seinen verschiedenen Vorträgen behandelt hat.»29

Es ist ein tragisches Schicksal, das die so unterschiedlichen Individualitäten Philipp zu Eulenburg und Maximilian Harden verbindet – und merkwürdig, dass sich beide zumindest in einem Augenblick ihres Lebens von Rudolf Steiner ‹gesehen› bzw. verstanden fühlten.


Titelbild Maximilian Harden, Philipp Fürst zu Eulenburg-Hertefeld (um 1905), Quelle: Wikimedia

Print Friendly, PDF & Email

Footnotes

  1. Norman Domeier, Der Eulenburg-Skandal. Eine politische Kulturgeschichte. Frankfurt/New York 2010, S. 11.
  2. Dem Kreis bzw. Fürst zu Eulenburg wurde unterstellt, schon 1890 zur Abdankung Bismarcks beigetragen und den Reichskanzler Bernhard von Bülow ‹installiert› zu haben. Bismarck hatte – laut Harden – über den Fürsten geäußert: «Mit allerlei Mystizismus und Spuk hat er sich wohl mehr beschäftigt als mit Politik; im diplomatischen Examen hat’s gehapert.» (Maximilian Harden, Köpfe. 3. Teil, Berlin 1913, S. 170.)
  3. Harry Graf Kessler, mit Harden befreundet, notierte in sein Tagebuch: «Es fragt sich, wie weit man berechtigt ist, ein Vorurteil, das man selber nicht teilt, zu benutzen, um einen politischen Gegner zu vernichten.» (In: Harry Graf Kessler, Das Tagebuch 1880–1937. Ausgabe 4, Stuttgart 2004, S. 352.)
  4. Der erste Prozess, der Juni 1907 begann, betraf den Berliner Stadtkommandanten Kuno von Moltke, der Harden zunächst zum Duell gefordert hatte und ihn dann wegen Beleidigung anzeigte.
  5. ‹Der Volksfreund›, 1. Juli 1907. Außerdem wurde dem Kreis vorgeworfen, den Kaiser von seinen Beratern und dem Volk abgeschirmt zu haben.
  6. So erklärte er: «Ich kann und will weiter verhandeln. Es ist schade, dass die Ärzte sich gegen meinen festen Willen erklärt haben. Aber, meine Herren bedenken Sie, ein Unschuldiger kämpft um seine Ehre!» (Peter Winzen, Das Ende der Kaiserherrlichkeit. Köln, Weimar, Wien 2010, S. 293.)
  7. Johannes Haller, Aus dem Leben des Fürsten Philipp zu Eulenburg-Hertenfeld. Berlin-Leipzig 1926, S. 359. Er überlegte weiter, welche Optionen er habe – Selbstmord, Flucht ins Ausland, Irrenhaus –, kam aber zum Schluss, dass alles als Schuldbekenntnis wirken und die Lage seiner Familie nicht verbessern würde.
  8. Wilhelm zur Linden, Blick durchs Prisma. Lebensbericht eines Arztes. Frankfurt 1964, S. 47. Zur Linden kam nach eingehender Beschäftigung mit der Materie zum Schluss, dass sich Philipp zu Eulenburg durch «unbedachte Äußerungen den Hass besonders der Generäle zugezogen [hatte], die den Kaiser umgaben» (S. 48), und dass sich in dieser Sache verschiedenste Kreise verbündet hätten, um dem Kaiser zu schaden: «Von 145 Anklagepunkten blieb schließlich ein einziger übrig, und als dieser nahezu erledigt war, brach der Fürst, den man mit fieberhafter Venenthrombose, Angina pectoris und Bronchitis auf einer Tragbahre in den Gerichtssaal gebracht hatte, kurz vor Beendigung des Prozesses zusammen. Er erlitt dabei eine Ohnmacht, die fast eine Stunde dauerte und von den Ärzten als lebensgefährlich bezeichnet wurde. Die Verhandlung wurde daraufhin abgebrochen, aber seine Gegner konnten behaupten, dass es nicht zu einem Freispruch gekommen war. Leider ist der Prozess nicht wieder aufgerollt worden, und so blieb der Vorwurf einer sittlichen Verfehlung auf dem Fürsten hängen.» (S. 49.)
  9. Siehe vorherige Anm., S. 50. Zur Linden ergänzt noch: «Im gleichen Sinne äußerten sich mir gegenüber der alte Diener und der Obergärtner Vogt, mit denen ich darüber sprach.» Johannes Haller zitiert einen tröstenden Brief von Jakob Ernst, den dieser dem Fürsten am 26. August 1907 geschrieben hatte, bevor er selbst in die Sache verwickelt wurde: «Sie haben mir nur gutes, auch meiner Familie erwiesen ohne nur im geringsten von Ihnen belästigt zu werden. Haben Sie Mut es wird sich machen. Den Paragraf habe ich mir auslegen lassen über was es sich handelt es ist einfach scheußlich Ihnen so was zuzumuten. Einen solchen normalen gesunden Mann wie Sie sind.» (Siehe Anm. 7, S. 355.)
  10. Rudolf Steiner, Gesammelte Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte 1887–1901. GA 31, 3. Aufl. Dornach 1989, S. 158–162.
  11. Rudolf Steiner, Sämtliche Briefe 2. GA 38/2, Dornach 2023, S. 412.
  12. Rudolf Steiner, Geschichtliche Symptomatologie. GA 185, 3. Aufl. Dornach 1982, Vortrag vom 17. November 1918. Er fügt hinzu: «[…] ich will gar nicht behaupten, dass rein logisch meine Gründe gegen die Ethiker besser waren als die Gründe, die die Ethiker vorgebracht haben. Aber aus all diesem Butteridealismus ist ja die gegenwärtige Katastrophe hervorgegangen […].»
  13. Siehe Anm. 11, S. 428.
  14. Helga Neumann/Manfred Neumann: Maximilian Harden. Ein unerschrockener deutsch-jüdischer Kritiker und Publizist. Würzburg 2003, S. 18. Dies zeigt sich auch darin, dass er die jahrzehntelange Freundschaft zu Hedwig Pringsheim abbrach, weil deren Schwiegersohn Thomas Mann keine Würdigung zu Hardens 60. Geburtstag schreiben wollte.
  15. Rudolf Steiner, Gesammelte Aufsätze zur Dramaturgie. GA 29, 4. Aufl. Basel 2014, S. 324.
  16. Rudolf Steiner, Sämtliche Briefe 3. Basel 2024, S. 230.
  17. Siehe dazu das Buch von Neumann/Neumann (Anm. 14), das eine gute Übersicht über die hauptsächlichen Themen der ‹Zukunft› gibt.
  18. Siehe Anm. 11, S. 15.
  19. So wandte er sich z. B. im Vortrag vom 9. Mai 1916 (Gegenwärtiges und Vergangenes im Menschengeiste. GA 167) gegen die seiner Auffassung nach vollständige Verkennung Wilsons durch Harden, der diesen einen «Fichte Amerikas» nannte.
  20. Siehe die Übersicht S. 1177–1179 in: Rudolf Steiners Bibliothek. Basel 2019.
  21. So korrespondierten Philipp zu Eulenburgs Kinder Karl (1885–1975) und Adine (1880–1957) mit Rudolf Steiner 1905 über Übungen, die er ihnen gegeben hatte.
  22. Dies geht zum einen aus einer Widmung Eulenburgs an Rudolf Steiner in seinem Buch ‹Geistige Wege. Andachten eines Leidenden›, als Manuskript gedruckt (RSB B 112), unter diesem Datum hervor: «Herrn Dr. Steiner verehrungsvollst Philipp zu Eulenburg. Liebenberg/26.12.1905». Eine zweite Widmung findet sich in Eulenburgs Buch ‹Eine Erinnerung an Graf Arthur Gobineau›, Stuttgart 1906 (RSB L 59). Außerdem schrieb Gerhard von Poellnitz (1876–1946) am 31. Dezember 1905 – Rudolf Steiner um ein Gespräch bittend –: «Als Gast in Liebenberg hatte ich die Freude Sie neulich kennen zu lernen.» (RSA 088)
  23. Harden schreibt über ihn, dass er dem Fürsten aus Büchern vorlas, «die er nicht kannte», und dass er «in den Fußstapfen der Frau Blawathsky ziemlich weit ins Nebelland des Esoterischen Buddhismus vorgeschritten [war]. Ein Magus aus Rumänien oder der Bukowina.» (‹Die Zukunft›, 16. Mai 1908, S. 236.) Jaroljmek war seit Okt. 1906 mindestens kurzzeitig Mitglied der Theosophischen Gesellschaft.
  24. Rudolf Steiner Archiv. RSA 086.
  25. Brief vom 28. Dezember 1906. Philipp zu Eulenburg schrieb über das Treffen am 21. Dezember 1906: «Sigwart hatte das Gefühl, dass Sie zu rücksichtsvoll gewesen seien. Ich möchte bei L.[ycki]’s eigensinnigem Charakter dasselbe glauben. – Auf alle Fälle wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie in einem engen Zusammenhang mit ihr blieben; z. B. ihr recht bald schreiben. Ich lasse dahingestellt, ob Sie Ihre Mitteilungen verstärken. […] Wie kann ich Ihnen jemals für alle Ihre Güte danken!? – Voller Rührung denke ich an Sie!» (RSA 086)
  26. Verschärft wurde die Situation für die Familie dadurch, dass sich offenbar auch Karl zu Eulenburg eng an Jaroljmek anschloss. Darauf deuten jedenfalls die Worte im Brief Philipp zu Eulenburgs vom 30. Dezember 1906: «Mein Sohn hat das schriftlich gegebene Ehrenwort gebrochen und mir jetzt mitgetheilt, daß er entschloßen sei – ob die Schwester heiratet oder nicht – bei J. zu bleiben.»
  27. Rudolf Steiner/Marie Steiner-von Sivers: Briefwechsel und Dokumente 1901–1925. GA 262, 3. Aufl. Basel 2014, S. 194. Kurz zuvor hatte Rudolf Steiner nach einem Mitgliedervortrag auf die Frage, ob man sich der Presse zur «Agitation» bedienen könne, geantwortet: «Allgemein ist dies abzulehnen, da die Presse korrumpiert ist. Beispiel: Im Zusammenhang mit dem Hardenprozess gibt es einen Fall, wo eine Zeitung objektiv falsch über eine Persönlichkeit berichtet hat; als sie dann eine Berichtigung bringen musste, hat sie ihr die Worte angefügt: Hiermit ist der Fall für uns erledigt.» (Fragenbeantwortungen und Interviews. GA 244, 1. Aufl. Basel 2022, S. 188.)
  28. Teile der Aufzeichnungen darüber wurden erstmals in den 1950er-Jahren unter dem Titel ‹Brücke über den Strom› veröffentlicht; es gibt seitdem zahlreiche und auch erweiterte Auflagen.
  29. Abschrift des Briefes im RSA 086.

Letzte Kommentare