In der Natur und im ganzen Erdorganismus finden wir Gleichgewichtsprozesse, die sich in Bild und Substanz der Wärme ausdrücken. Auf physischer, seelischer und geistiger Ebene im Menschen führt sie ebenfalls in ein Gleichgewicht, was wir allerdings herstellen müssen. Die Wärme ist unser Ziel.
Wir sind überall von Wärme umgeben. Der Erdorganismus, von dem wir ein Teil sind, hat einen ausdifferenzierten, lebendig-beweglichen Wärmeleib und ist im Groben wie der menschliche Organismus organisiert: mit dem kalten Nervensinnespol an beiden Polen, mit dem warmen Stoffwechselpol um den Äquator und mit dem ausgleichenden rhythmischen System in den gemäßigten Zonen, wo wir auch die vier Jahreszeiten erleben dürfen. Es gibt aber überall auf der Erde, für jede Klimazone, einen spezifischen Wärmerhythmus im Jahr, mit bestimmten Schwankungen und einem bestimmten Rhythmus in den Temperaturveränderungen.
Das Leben auf der Erde hat sich – auch in Bezug auf den Kosmos – innerhalb bestimmter Grenzen entwickelt: Wenn die Erde nur 5 Prozent näher an der Sonne wäre, würde alles Wasser auf der Erde verdunsten und das Leben könnte sich nicht entwickeln. Wäre die Erde dagegen nur 1 Prozent weiter von ihr weg, würde alles Wasser gefrieren. Das Leben konnte sich auch nur innerhalb bestimmter Grenzen entfalten. Wäre die Erde beispielsweise so klein wie der Mond, könnte sie keine Atmosphäre haben. Das magnetische Feld des Erdenzentrums wäre dann zu schwach. Die Erde hätte dann auch keinen Schutz vor der vernichtenden Strahlung aus dem Kosmos. Auch die Geschwindigkeit ihrer Rotation und die Neigung der Erdachse tragen dazu bei, dass sich das Leben in seiner Diversität und Dynamik so entfalten konnte. Das Leben auf der Erde verläuft in kosmisch-irdischen Rhythmen und spielt sich innerhalb bestimmter Grenzen ab, auch in Bezug auf die Wärme.
Wärmehülle
Pflanze, Tier und Mensch sind in diese Wärmehülle der Erde eingebettet. In der Evolution der Lebewesen kann man die stufenweise Verinnerlichung der äußeren Wärme verfolgen. Die Pflanzen sind gegenüber dem Kosmos und der Erde noch fast vollständig offen. (Nur bei den höchstentwickelten Pflanzen, den Bedecktsamern, wurden die Samenanlagen im Fruchtknoten verinnerlicht.) Sie keimen, wachsen, blühen, fruchten und vergehen in Abhängigkeit von den äußeren Rhythmen, auch in Bezug auf die Wärme. Die mehrjährigen Pflanzen aber können schon überwintern. Es gibt weiterhin Pflanzen, bei welchen durch die Stoffwechselprozesse eine Wärmezunahme über die äußere Temperatur hinaus zustande kommt. Und es gibt sogar Pflanzen, die über die äußere Temperatur hinaus einen Wärmezuwachs von 10 Grad entwickeln können, wie der Gefleckte Aronstab (Arum maculatum L.). Das geschieht durch die sekundären Stoffwechselprozesse in der Pflanze, also nicht durch die Fotosynthese und die Aufbauprozesse. Die Christrose (Helleborus niger L.) zum Beispiel blüht im Winter und schiebt die blütenknospentragenden Stiele durch den Schnee hindurch. Diese sekundären Stoffwechselprozesse sind eigentlich Umbau- und Abbauprozesse. Sie führen auch zur Bildung verschiedener heilsamer Substanzen (ätherische Öle, Gerbstoffe, Saponine, Schleime usw.) Im Fall einer zusätzlichen Wärmebildung geht diese mit der Bildung spezifischer Pflanzengifte wie Alkaloide und speziellen giftigen Glykosiden einher. In diesen Fällen kann man schon eine Art Annäherung des äußeren Seelischen an die Pflanze erkennen, eine Art Eingriff, einen Versuch der Verinnerlichung des Astralischen im noch unschuldigen grünen Pflanzenwesen.
Verinnerlichung der Wärme
Bei den Tieren greift die astralisch-seelische Sphäre tiefer in den Organismus ein, wird dort wie aufgefangen und verinnerlicht. Die Verinnerlichung der Wärme, zusammen mit der Umgestaltung der Atmung der höheren Organismen, führt zugleich zur Entwicklung des inneren seelischen Raumes in Lebewesen. Wechselwarme Tiere sind von der äußeren Wärme noch stark abhängig und richten ihre Tätigkeit nach ihr aus. Gleichzeitig können auch hier die Stoffwechselprozesse zur Giftbildung führen, zum Beispiel bei den Schlangen, die ihre Giftdrüsen ganz vorn in den Kopf, in das Nervensinnessystem verschieben. Man kann sie aber auch schon als Haustier haben und sie streicheln. Sie drücken ihr Seelisches schon anfänglich aus. Bei den Insekten, wie zum Beispiel Bienen, haben wir Wesen, die selbst noch keine stabile Eigenwärme entfalten können, die aber in Gemeinschaft eine stabile Wärmeatmosphäre von ca. 37 Grad schaffen, was auch der menschlichen Durchschnittstemperatur entspricht. Sie schaffen dadurch eine Art ‹Gesamtorganismus›, welcher mit Kommunikation, Aufgabenverteilung und vielem Weiteren verbunden ist.
Die Evolution schreitet weiter zur Autonomisierung und eigenen Regulierung der Wärme, zur Bildung der eigenwarmen Organismen. Die entwickeln durch die eigene Wärmeregulation immer mehr Autonomie und werden in der Gemeinschaft durch die Herdenbildung, Brutpflege usw. immer ‹seelenvoller› und im sozialen Verhalten vielfältiger.
Krone der Schöpfung
Diese Errungenschaft führte zur Krone der Schöpfung, das heißt beim Menschen zur physischen Grundlage für die Ich-Entfaltung. Der menschliche Wärmeleib ist ausdifferenziert, mit der Temperatur der Leber bei 40 Grad und im Kopf oder in der Peripherie des Körpers dann etwas kühler. Unsere Körpertemperatur hat auch einen kleinen täglichen Rhythmus, ist also über den Tag hinweg nicht immer gleich. Sie schwankt leicht, denn das Leben ist nie statisch.
Nehmen wir den Menschen als Ausgangspunkt aller Evolution, anstatt als Krone der Schöpfung. Das entspricht der anthroposophischen Geisteswissenschaft und der Geheimwissenschaft, die das menschliche Wesen nicht nur als ein festes, physisches Wesen auf der heutigen Erde sehen, sondern den Menschen von seinem geistigen Ursprung aus verfolgen, wo er zuerst nur aus der Wärme gebildet und dann physisch wurde. Und wir können in anderen Lebewesen erkennen, was der Mensch im Prozess der irdischen Verwirklichung aus sich ausgesondert hat, um seine Universalität zu behalten. Der Mensch selbst ist als ein ganzes Universum mit Verinnerlichung aller Naturprozesse auf seinem Weg vom Makrokosmos zum Mikrokosmos zu verstehen. Das heißt, er muss auch all diese Prozesse in sich beherrschen, im Gleichgewicht halten, am richtigen Ort und in der richtigen zeitlichen Dynamik.
Wärmeheilung
Gerade im Bild der zwei gemeinschaftsbildenden wechselwarmen Organismen können wir seine zwei Polaritäten auf der physischen Ebene erkennen. Die Honigbiene (Apis mellifica) ist als ein Bild für die Wärmeprozesse im Menschen aufzufassen, wenn sie aus dem Gleichgewicht gefallen sind und zu Fieber führen, zum Krankheitsbild der Entzündung, der Auflösung, Rötung, Chaotisierung. Denn die Bienen gehen mit der Wärme auf hochgeordnete, Ich-getragene Weise um. Sie lassen diese Wärme nicht entgleiten. So stellen sie ein Heilmittel für den Menschen her. Sie sind ein Vorbild für die in Grenzen und in Ordnung gehaltenen Wärmeprozesse im Physischen.
Auf der anderen Seite haben wir ein anderes Insekt, die Waldameise (Formica rufa), auch ein Gemeinschaftswesen mit Aufgabenverteilung und Kommunikation. Hier finden wir eine Schloss- und Labyrinthbildung am feuchten, kühlen Boden des Waldes, also jetzt nicht im warm-luftigen Bereich wie bei den Bienen. Und sie spielen eine wesentliche Rolle im Wald. Denn sie durchlüften und durchwärmen den Boden durch ihre Haufenbildung, lockern ihn auf und räumen die verwesenden Reste im und am Boden auf. Ohne die Waldameisen und die anderen kleinen Tierchen würden sich im Waldboden nur Ablagerungsprozesse und anaerobe Verwesungsprozesse finden. Die Ameisen sind ein Vorbild für die Heilung der sklerotischen Prozesse im Menschen – im Gegensatz zum Bienenwesen und den entzündlichen Prozessen. Wir können ihre ‹Produkte› überall dort anwenden, wo sich zum Beispiel in der Blutbahn oder den Gelenken etwas abkühlt und verfestigt ablagert.
Gleichgewicht zwischen warm und kalt
Der Mensch soll als beseeltes Wesen auch ein Gleichgewicht im Seelischen erüben. Es ist eine große Aufgabe für den Menschen, diese Stabilität, die Qualität der Mitte, zu halten. Das ist zugleich auch eine Aufforderung für unsere Hochschularbeit. Man soll das Gleichgewicht zwischen Warmem und Kaltem im Gefühl üben. Auch hier haben wir Vorbilder in der Natur. Alles, was in der Natur einen Überschuss an Wärme als Qualität zeigt, sei es im Bild des Sulfurs oder im Bild des heißen Sommers allgemein, oder sei es in einer oberirdisch ausgeprägten, üppig blühenden Pflanze wie der Feuerlilie (Lilium bulbiferum L.), kann der Mensch als Qualität in seinem Seelischen erleben. Oder umgekehrt: Im Bild des Salzes oder im Bild einer Pflanze, die im kühlen unterirdischen Bereich stark betont ist, wie zum Beispiel dem Gelben Enzian in den Berghöhen (Gentiana lutea L.), oder einfach im Bild des kalten, dunklen Winters allgemein, kann man das Bild der Kühle, der Schwere, der Verdichtung erleben und sich seelisch daran üben. «Es besteht ein vollständiger Parallelismus zwischen dem, was wir innerlich-seelisch erleben, und dem, was in der äußeren Welt gestaltende Naturkräfte, gestaltende Naturprinzipien sind. […] Auf diesen Parallelismus muß man hinweisen und zeigen, daß der Mensch in der Außenwelt im Grunde genommen als Gestaltungsprinzipien das hat, was er innerlich als sein seelisch-geistiges Leben aus seinem eigenen Organismus herausgenommen hat …»1
Auch im geistigen Bereich muss der Mensch übend versuchen, ein Gleichgewicht zu halten zwischen unseren geistigen Aufgaben und den physischen, alltäglichen Verpflichtungen. Das Gleichgewicht zwischen Licht und Finsternis im Denken ist auch eine Hochschulaufforderung. Spezifisch in Bezug auf die Wärme geht es aber darum, wie der Mensch seine Ideen und Ideale im Leben bildet, verwirklicht und verfolgt. Auch das muss man beherrschen lernen. Das Leben ohne schöpferische Ideen und führende Ideale ist leer, kalt und sinnlos. Und umgekehrt: Das Brennen für bestimmte Ideen und hohe Ideale kann auch in eine vernichtende Ideologie führen, in Aggression, sogar in Krieg. Auch den eigenen Enthusiasmus im geistigen Bereich muss man also pflegen und gesundhalten können.
Illustration Gestaltungsteam der Wochenschrift








