Zur Eröffnung des Grand Egyptian Museum in Kairo
Zuerst läuft man über die weite Piazza und sieht eine sich öffnende Pyramide in der Mitte der pylonartigen Anlage des Grand Egyptian Museum (GEM). Das ist die erste gestalterische Ansage des nun weltweit größten archäologischen Museums: Es ist die Umwendung des antiken Ägyptens, ohne dessen Größe zu nehmen, sondern vielmehr, um diese Größe zu vergegenwärtigen. Im alten Ägypten führte vom Taltempel ein überdachter Weg zu den Pyramiden, ein Schlauch – hier ist es eine weite Piazza. Im alten Ägypten war die Pyramide geschlossen – hier lädt der Eingang im Bild einer geöffneten Pyramide ein, er zieht, ja saugt die Besuchenden in sich hinein. So ist Geschichte: Ihre Erzählung zieht an!
Im Museum empfängt die Besucher ein 32 Meter hohes Atrium und in dessen Mitte die 11 Meter hohe und 82 Tonnen schwere Granitstatue von Ramses II. 50 Jahre stand sie den Abgasen ausgesetzt vor dem Hauptbahnhof von Kairo. Vom Atrium geht es über zwei großzügige Treppenaufgänge weiter. Die Stufen teilt man mit 90 steinernen Königen und Göttern aus 3000 Jahren antikem Ägypten. Was für ein Bild! Die Halbgötter und Götter sind nah, sind alltäglich und heben sich erst empor, wenn man innehält. Es ist nach der Begegnung mit Ramses II. im Atrium ein zweiter Prolog, bevor man in die eigentlichen Hallen des Museums tritt. Immer wieder gleitet der Blick zu den schrägen Wandflächen, gegliedert in Dreiecke, kleines und großes Echo pyramidaler Ordnung.
Auf den Handymattscheiben spiegeln sich die steinernen Züge der Statuen, dieser Urbilder menschlicher Größe. Warum wird so viel fotografiert? Vermutlich, weil wir das Vertrauen in unsere Augen verloren haben. Doch das Museum hilft, es wiederzuerlangen. War es beim Eingang die Erfahrung der Anziehungskraft der Geschichte, ist es jetzt die nicht weniger leibliche Erfahrung des Aufstiegs. Geschichte erhebt! Nach 150 Stufen ist man oben angekommen und sieht durch große Glasflächen vor sich die drei Pyramiden von Gizeh. Wie das 2009 eröffnete Akropolismuseum in Athen hat auch das neue ägyptische Museum die perfekte Lage. Löst man sich von dem Anblick der Pyramiden, gibt es nun einen schrittweisen Abstieg durch zwölf Hallen.
Im Dämmerlicht die Ewigkeit
Man erinnert sich an den Aufstieg, sodass man die Höhe noch in sich lebendig hat. Wenn du Geschichte betreibst, dann schwebst du, du fliegst durch die Zeit. Es beginnt in drei Hallen im alten Reich. Daran schließen sich unterhalb drei weitere Hallen zum mittleren Reich und schließlich drei zum neuen Reich an. Noch weiter abwärts folgt dann die Spätphase Ägyptens, die griechische und römische Zeit des 3000-jährigen Weltreiches. Nach langem Abstieg ist man bei einer römischen Statue im Diesseits angelangt – die Geburt der eigenständigen Persönlichkeit.
Das Stuttgarter Atelier für Museums- und Ausstellungsgestaltung Brückner hat den Auftrag für Einrichtung des GEM bekommen. Herzstück ist dabei die Grabkammer des Tutenchamun. Im Dämmerlicht glänzt das Gold der Schreine, der Sarkophage, der Grabwächter – und dann einzigartig die Maske. Das schwache Licht ruft auf, sich selbst in einen Dämmerzustand zu versetzen, um nicht mit dem wachen Auge des Intellekts, sondern mit dem milden Blick eines wachen Träumens auf diese Kunstschätze zu blicken. Abstrahiert sind die 5000 Funde aus dem Grabstollen dem ursprünglichen Fundort nachempfunden. Über den Köpfen der Ausstellungsbesucher glimmt dabei ein langes Stoffband, dessen Licht sich fortwährend wandelt. ‹Path of the Sun›, Weg der Sonne, nennt Shirin Brückner das so choreografierte Licht. Es soll Ägyptens Jenseitsvorstellung erlebbar machen, nach der das irdische Leben die Vorbereitung auf das eigentliche Leben nach dem Tode sei.
Nach drei Stunden Museumsbesuch trifft sich unsere Reisegruppe im Atrium und einige beschreiben, dass sie gar nicht erschöpft seien. Woher kommt die Frische, was belebt so? Es ist die Großzügigkeit des 50 Fußballfelder großen Museums, es ist das Ausstellungskonzept von Shirin Brückner, das die Fundstücke für sich sprechen lässt und wenig Text benötigt, und es ist vermutlich das Spiel mit pyramidalen Flächen. Ja, das ganze Museum ist ein Spiel, man steigt fortwährend auf und ab. Wer Geschichte betreibt und dabei in eine Epoche eintaucht, dem ergeben sich Verbindungen zu anderen Zeiten, sein Studium schlägt Brücken zu neuem Land. So ist es in der Ausstellung: Jede Halle lädt zum Auf- und Abstieg ein. Eine kleine Enttäuschung: Exponate wie die Büste des Pharaos Djoser, der ‹den Stein öffnet›, und die Statue des Ka, des Lebensleibs, sind noch im alten Museum.
Interessant: Zeitgleich mit der Einweihung des GEM, dieses großen Wurfs, die Vergangenheit in die Gegenwart zu holen, fand nicht weit nordöstlich in Sekem eine Konferenz statt, wie es gelingt, durch Nachhaltigkeit die Zukunft in die Gegenwart zu holen. Für diesen Weg in die Zukunft hilft es, sich an den Aufstieg im ägyptischen Museum zu erinnern: Man geht ihn nicht alleine, man ist unter Göttern.
Bild Blick auf die Pyramiden von Gizeh aus dem Grand Egyptian Museum, Foto: W. Held








