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Savoldelli, Steiner und der Film

Zu Reto Andrea Savoldelli: ‹Rudolf Steiner über das Kino›, SeminarVerlag, Basel 2017.


Zuerst ärgerte ich mich, dass ich kein Inhaltsverzeichnis fand. So fing ich einfach vorne an und folgte ungeduldig einem kuriosen Joseph Vogelsang aus der Einsiedelei und der Verenaschlucht bei Solothurn zu seinem Guckkasten, dann in die graue Schwarz-Weiß-Filmerfindungsvorzeit. Ich wunderte mich, dass «Rudolf Steiner» immer fett gedruckt wird, und noch mehr wunderte ich mich über die vielen Wörter mit sinnlosen Trennungsstrichen. Dann stieß mir unangenehm auf, dass der Autor häufig auf sich, seine frühen Filme, Projekte und Filmideen verwies, trug das Buch in meiner Hand doch den Titel ‹Rudolf Steiner über das Kino – Zur Genealogie des Films›. Was will uns denn nun der Autor sagen?

Je länger ich mich im Buch aufhielt, desto sympathischer wurde es mir. Savoldellis Filmer-Biografie füllt in seinem Buch aufschlussreiche Seiten in eigener Sache. Und das macht in diesem Fall Sinn. Der Autor ist Eurythmist, Leiter des Seminars für Freie Jugendarbeit, Kunst und Sozialorganik in Dornach, zuletzt war er Lehrer in Basel. Mit ‹Lydia› wurde er zum Popstar des Ende der 1960er-Jahre aufbrechenden Schweizer Films: «Ein 18-jähriger Filmemacher erfand den Film als lyrische Sprache. […] Sein Film ist die großartigste, die für schweizerische Durchschnittlichkeit vermessenste Geste, die ein Filmemacher hierzulande je versuchte.» (Filmprogramm der Zürcher Ausstellung ‹Visionäre Schweiz›)


Andrei Tarkowski

Andrei Tarkowski


Pier Paolo Pasolini

Pier Paolo Pasolini


Eric Rohmer

Eric Rohmer

Schließlich dämmerte mir, wo der Stein des Anstoßes des Buches liegt. Bis zu den 1980er-Jahren gehörten die technischen Bildmedien für die anthroposophische Publizistik nicht zum ernst zu nehmenden Kultur- und Geistesleben dazu. Von heute aus ist das schwer vorstellbar. Dann tauchte jene kleine Notiz auf einem verpönten Zipfel am anthroposophischen Presserand auf, deren Aussage so gar nicht zum Bild passen wollte, wie man Steiners kritische Äußerungen zum Film bisher gelesen hatte. In der kurzen Mitteilung in der Zeitschrift info3, 4/1983, S. 10, hieß es: «Während fünf Jahren war ich Sekretär des holländischen Verlegers Pieter de Haan, der 1912 in die Gesellschaft eingetreten war und bis 1924 viele Gespräche mit Rudolf Steiner gehabt hat und ihn aus nächster Nähe kannte. […] Dieser Herr de Haan nun hat mir öfters erzählt, dass der Doktor wollte, dass wir Filme machen würden. Es sei, so zitierte de Haan die Worte Rudolf Steiners, ein geeignetes Medium, um die Gesetze des Schicksals (Karma) im Laufe der wiederholten Inkarnationen aufzuzeigen.» Wie Steiner sich eine mögliche Darstellung von Karma und Reinkarnation vorstellte, hat er in seinen Mysteriendramen und in den sogenannten Karmavorträgen gezeigt. Es sind Erzählungen von einzelnen, konkreten Persönlichkeiten in aufeinanderfolgenden Inkarnationen, wie sie sich dem Geistesforscher zeigen. An Stoffen und Ideen mangelt es ja wahrhaft nicht.

Als wir diese Mitteilung in der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› 38/1987 in einem langen Artikel ‹Kino, Karma, Reinkarnation› aufgriffen, sprang ein Teil der Leserschaft im Quadrat, entsprechend waren die Leserbriefreaktionen. Hans Peter von Manen (Waldorflehrer und Autor von ‹Christussucher und Michaeldiener›, 1980) bestätigte uns danach im Büro der Wochenschrift ausdrücklich die Seriosität der Mitteilung wie der Überbringer: Der Autor der kleinen Notiz war Emanuel Zeylmans (Priester und Autor der Biografie von Wilhelm von Zeylmans van Emichoven wie der späteren dreibändigen Dokumentation zu Ita Wegman), und der Verleger Pieter de Haan hatte am Ersten Goetheanum mitgearbeitet und an der Weihnachtstagung 1923 teilgenommen. Für die Jüngeren bedeutete die eröffnete Sicht eine kreative Herausforderung. Noch ganz anders war es für Savoldelli, der als Jugendlicher mit einem Reinkarnationsfilm beschäftigt gewesen war. Zwölf Jahre später las er diese erstmals bekannt gewordene Aussage Steiners über die Möglichkeiten des Films.

Savoldelli führt den Nachweis, dass er zu einer Zeit, als er weder von Steiners Vorbehalten gegenüber dem Film noch von dessen ermutigenden Filmanregungen an die jungen Holländer wusste, sich genau damit beschäftigte, nämlich mit einem Spielfilm über Reinkarnation. Die Schweizer Filmförderungskommission verhinderte erfolgreich, dass der Jungstar mehr daraus machen, also nach ‹Stella da Falla› noch einen zweiten Reinkarnationsfilm folgen lassen konnte. Später veröffentlichte Savoldelli den Roman ‹Hieronymus. Über Kino und Liebe in Zeiten der Reinkarnation› über das Leben eines nicht mehr filmenden Filmregisseurs. Also anstelle des Films ein Buch. Was auch von vorliegendem Buch gesagt werden darf: Es ist ein weiteres Buch, aber nun nicht das Buch zum Film, sondern anstelle des Films. Oder eher doch das Buch zu einem fiktiven Dok-Film ‹How to produce a non-existing film›?

Savoldelli hat sich bis heute ein durchaus kritisches Verhältnis zum Medium und zum ganzen Filmbusiness-Mammon erhalten. Er kultivierte immer schon einen elitären Anspruch an den unabhängigen Film als Kunst und Ausdrucksmittel. Im Buch führt er Gespräche mit bekannten Filmautorenregisseuren, Savoldellis ewige Jugendhelden wie Pasolini, Rohmer oder Tarkowski. Das macht die Lektüre anregend unterhaltsam und ernsthaft. Auch fehlt der Hinweis nicht auf jenen Aufsatz ‹Von der Natur zur Unternatur› vom März 1925 in GA 26, wo kurz und weitblickend das Entscheidende ausgeführt wird, ohne dass Steiner den Film extra erwähnt. Schließlich fand ich am Ende meiner Lektüre doch noch das ausführliche und wirklich hilfreiche Inhaltsverzeichnis, es befindet sich auf S. 154–155.


‹Die Erwärmung des Spiegels›,Vortrag von Reto Andrea Savoldelli mit Videobeispielen in der Schreinerei am Blumenweg 3 in Dornach, Samstag, 7. April, 18.30 Uhr. In der Video-Lounge der Jugendmusikschule Dornach ist am 11. Mai, 19.30 ‹Stella da Falla› zu sehen. Info: www.hieronymusfilm.ch

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