Es kommt der Moment, in dem sich eine Gemeinschaft, ein Unternehmen oder auch ein Mensch nach außen wendet. Wie in einer Biografie, in der sich das Gewordene der Welt zur Verfügung stellt, geschieht dadurch eine Umstülpung. Dann entfaltet sich noch eine andere Wirksamkeit. Helmy Abouleish skizziert hier diesen Prozess für Sekem.
Als wir uns mit den Ideen von Bernhard Lievegoed beschäftigten und auf die drei und dann die vier Schritte der Organisationsentwicklung blickten, gab es einen Schritt namens ‹assoziative Phase›. Ich las es vor 30 Jahren und habe es nicht verstanden. Die ganze Geschichte erschien mir nicht sehr praxisnah. Aber als ich es Jahre später wieder las, erkannte ich, was Lievegoed gesagt hatte: Wenn man als Organisation, als Gemeinschaft beginnt, nach außen zu schauen, entwickelt man sich mehr, als wenn man nach innen schaut. Daraufhin habe ich mich selbst in den letzten sieben oder acht Jahren beobachtet. Und ich habe Sekem beobachtet. Seit acht Jahren geht es uns ausschließlich um die Verbreitung unseres ‹Modells› der ‹Ökonomie der Liebe›. Wir sind also nicht mehr in erster Linie an mehr Teebeuteln oder mehr Farmen interessiert. Und doch sind wir nie stärker, schneller oder besser gewachsen als in den letzten sieben oder acht Jahren.
Nichts ist mehr so wie vor acht Jahren. Nichts ist mehr so wie letztes Jahr. Die ‹Ökonomie der Liebe› ist ein Konzept, das die Kreislaufwirtschaft neu denkt. Wenn Sie heute eines unserer Unternehmen besuchen, werden Sie hören, wir seien die Meister der Kreislaufwirtschaft. Ich denke, das sind wir. Aber das ist noch lange nicht alles. Wenn man die Kreislaufwirtschaft im Großen und Ganzen betrachtet, können wir die Dinge noch viel besser machen. Man muss alles, was man tut, überdenken. Man muss seine Gebäude, seine Kleidung, seine Kosmetik, seine Lebensmittel, seine Möbel, seine Energie neu denken. Verantwortungsvoller Konsum heißt Bewusstseinsentwicklung. Das ist unser Hauptziel. In Europa scheinen die Menschen ein höheres Bewusstsein zu haben, aber sehr schlechte Konsumgewohnheiten. Ich spreche von den Menschen außerhalb unseres Raumes, unserer Blase. Ich weiß, ihr tragt nur Biotextilien, esst Biolebensmittel, habt Biomöbel und lebt in Stampflehmhäusern. Aber abgesehen davon gibt es viele Menschen, die das nicht tun. Was können wir also tun? Wie können wir das jeden Tag aufs Neue herausfordern? Wie wagen wir, das wirklich zu tun? Nicht nur in der Lebensmittelverarbeitung, auch in der Landwirtschaft. Selbst die biologisch-dynamische Landwirtschaft, die Grundlage all unserer Arbeit, versuchen wir jedes Jahr neu zu erfinden.
Es entstehen so viele Fragen, wenn man anfängt, seine Vorgehensweise zu erweitern und zu skalieren, täglich zu befragen. Wir versuchen da hindurchzunavigieren mit dem Hauptfokus, dass der einzelne Mensch sich weiterentwickeln kann. Wie können wir auch bei wachsenden Partnerschaften – und wir gehen im Bereich der Landwirtschaft auf gut 40 000 assoziierte Bauern und Bäuerinnen zu – weiterhin einen ganzheitlichen Blick pflegen und entwickeln? Das ist zumindest, was wir versuchen. Dabei stehen wir auch vor großen Herausforderungen. Stellen Sie sich vor, was es bedeutet, 40 000 Hörner für die Präparate zu besorgen. Zugleich gehen wir auf neue Entwicklungen zu, wie zum Beispiel die Agroforstwirtschaft. Dann ist zu schauen, wie wir diese integrieren, wie wir davon lernen können, beziehungsweise sie in unsere Forschungen aufnehmen.
Mit jedem Schritt verändert sich alles
«Wenn du beginnst, den Weg zu gehen, erscheint der Weg», sagte Rumi. Und ich denke, dieser Vers ist richtig. Man muss den Mut haben und eine Vision davon haben, wie es aussehen könnte. Und wir haben eine Vision für Ägypten, für die Welt. Wenn man anfängt, auf diese Vision hinzuarbeiten, verändert sich mit jedem Schritt alles. Die eigenen Füße und Hände sind wahrscheinlich intelligenter als das Gehirn. Man kann und wird es nicht zu Ende denken. Man muss daran arbeiten, um zu lernen. Wir bleiben offen und hören den Menschen zu. Wir lernen ihre Sprache. Man kann nicht zu Hause stehen, die eigene Sprache sprechen und darauf warten, dass man verstanden wird. Man muss rausgehen und die Sprache der anderen lernen. Das tun wir aktiv, um in ihrer Sprache sagen zu können, was wir erreichen wollen. Ich erinnere mich noch an die erste Abschlussfeier der Heliopolis-Universität vor neun Jahren. Dort sprach Ueli Hurter von den zwei verschiedenen Qualitäten der Zukunft. Futurum ist der Teil der Zukunft, die wir aus der Vergangenheit heraus gestalten. Wir bereiten uns auf etwas vor. Adventus ist hingegen die Zukunft, die aus der Zukunft in der Gegenwart ankommt und uns überrascht. Wir versuchen mit diesem zweiten Teil der Zukunft zu arbeiten.
Seit wir in Sekem angefangen haben, geht es darum, immer nach diesen kommenden Abenteuern zu streben, offen zu sein, sie zuzulassen und willkommen zu heißen. Wir dürfen uns nicht verschließen und nur an jene Zukunft glauben, die aus dem Denken der Vergangenheit kommt. Es geht darum, diese Zukunft gemeinsam mit den Menschen zu sehen. Deshalb schauen wir einander in die Augen. Denn nur dann können wir sehen, ob etwas funktioniert. Das ist der einzige Leistungsindikator: die Augen unserer Menschen. Wenn wir die Augen von Menschen nicht mehr sehen, haben wir alles verloren. Denn es geht nicht um die Teebeutel. Es geht nicht um die Hektar biodynamischer Landwirtschaft. Es geht um Menschen. Diese Entwicklung muss also auch mit Freude und Glück einhergehen.
Bild Helmy Abouleish auf dem WGA-Forum 2025, Foto: Samuel Knaus








