Leben wir im Techno-Feudalismus?

Haben die Eigentümer von Big Tech den Kapitalismus durch ein neues, noch ausbeuterischeres System, den Cloudalismus, ersetzt? Das behauptet Yanis Varoufakis, griechischer Ex-Finanzminister, in seinem Buch ‹Technofeudalismus: Was den Kapitalismus tötete›1.


Die Cloudalisten – die großen Techunternehmen wie Meta, Amazon, Apple, Alphabet usw. – haben, so Varoufakis, riesige Mengen an Cloud-Kapital angehäuft, das nicht mehr durch kapitalistische Verhältnisse definiert werden kann. Wer sind wir in diesem System? Wie kommt es, dass das Internet, von dem so viele dachten, es sei ein radikales In­stru­ment der Dezentralisierung, von einigen wenigen Konzernriesen beherrscht wird? Wie konnte es dazu kommen, dass die Steuerzahler wie nie zuvor in unserer Geschichte so viel Last für so wenig Gegenleistung und zugunsten so weniger tragen mussten?

Rückfall in den Feudalismus?

Bei der Beantwortung solcher Fragen ist Varoufakis der Ansicht, dass die beiden wesentlichen Säulen des Kapitalismus – freie Märkte und Profite – nicht mehr ihre ursprüngliche Funktion haben. Denn, auch wenn sie gleich aussehen mögen: «Märkte, das Medium des Kapitalismus, sind durch digitale Handelsplattformen ersetzt worden, die wie Märkte aussehen, aber keine sind, sondern eher als Lehen zu verstehen sind. Und der Profit, der Motor des Kapitalismus, ist durch seinen feudalen Vorgänger ersetzt worden: die Miete. Genauer gesagt handelt es sich um eine Form der Miete, die für den Zugang zu diesen Plattformen und zur Cloud im weiteren Sinne gezahlt werden muss. Ich nenne sie Cloud-Miete.»2

Varoufakis argumentiert also, dass diese Verschiebung eher durch Mietverhalten als durch traditionelles Gewinnstreben angetrieben wird, mit Nutzern, die Miete – algorithmisches Kapital – für den Zugang zu digitaler Infrastruktur zahlen: Der größte Teil der Gewinnspanne für dieses Unternehmen wird von den Eigentümern abgeschöpft, anstatt selbst Kapital zu besitzen.

Gutsherren, Leibeigene, Lords und Überlords

Varoufakis vergleicht Techgiganten wie Facebook, Instagram, Tiktok, X oder Amazon mit mittelalterlichen Gutsherren: Jedes Mal, wenn Sie auf Instagram posten, ‹schuften› Sie auf Metas Anwesen/Lehen (das heißt auf der Plattform) wie ein mittelalterlicher Leibeigener. Meta bezahlt Sie nicht. Aber Ihre kostenlose ‹Arbeit› finanziert Meta.

Er versteht den Technofeudalismus so, dass er drei Gruppen von Menschen betrifft. Das Unternehmen, das die auf Alibaba oder Amazon verkauften Elektrofahrräder herstellt, ist ein Vasallenkapitalist. Dann gibt es die Cloud-Prols oder Cloud-Proletarier: Lohnarbeiter, die von cloudbasierten Algorithmen an ihre physischen Grenzen getrieben werden. Und die dritte Gruppe sind Sie und ich, die Cloud-Leibeigenen: Sie produzieren sogar Kapital. Es gibt noch eine weitere Gruppe, die ‹Überlords›, die Vermögensverwalter (Blackrock, Vanguard, State Street usw.), denen all die Firmen gehören, die miteinander zu konkurrieren scheinen.

Weitere grundlegende Änderungen

Der Cloudalismus stellt somit eine Verlagerung von einer produktiven Wirtschaft zu einer Wirtschaft dar, in der Reichtum durch Kontrolle und Zugang angehäuft wird, anstatt durch die Schaffung neuer Werte. Dieser Wandel untergräbt die Grundsätze einer wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft und führt zu einem ungleicheren und weniger dynamischen Wirtschaftssystem. Die Kritik an der Miete stützt sich daher auf ihre Rolle bei der Aufrechterhaltung wirtschaftlicher Ungleichheiten und der Verringerung des Potenzials für echte Innovation und Wachstum.

Darüber hinaus haben die monströsen Geldsummen, die unsere Volkswirtschaften nach der Finanzkrise und der Pandemie wieder in Schwung bringen sollten, dazu geführt, dass der Einfluss von Big Tech auf alle Aspekte der Wirtschaft noch größer geworden ist.

Umwandlung der Hierarchie

Im letzten Kapitel schlägt Varoufakis Wege vor, wie wir den Cloudalismus durch die Einführung einer Cloud-Steuer demokratisieren können. Er empfiehlt die Besteuerung von Amazon mit zum Beispiel fünf Prozent für jede Transaktion, die auf der Plattform stattfindet. Des Weiteren plädiert er für die Abschaffung der ‹kostenlosen Dienstleistungen› – kostenlos für den Leibeigenen, nicht für den Vasallen – und für ihre Ersetzung durch ein universelles Mikrozahlungsmodell, um eine faire Vergütung für digitale Dienstleistungen zu gewährleisten, sowie die Einführung eines Gesetzes über digitale Rechte. Weitere Vorschläge sind die Demokratisierung von Unternehmen sowie des Geldes selbst, die Verstaatlichung von Big Tech, die Förderung von Open-Source-Technologien, die Entwicklung eines Rahmens für digitale Identitäten, die Regulierung des geistigen Eigentums, die Stärkung von Kartellmaßnahmen und die Förderung eines dezentralisierten Internets.

Bewusst werden

Einige dieser Fragen werden auch innerhalb der Dreigliederungsbewegung diskutiert und teils kontrovers betrachtet: Varoufakis befürwortet ein universelles Grundeinkommen, eine demokratisierte digitale Zentralbankwährung und eine bargeldlose Gesellschaft nach dem Vorbild von WeChat in China. Insgesamt, auch wenn seine Metaphern wie ‹klassischer Warenfluss› und ‹Börse› oder seine Differenzierung zwischen ‹Erleben›3 in den Qualitäten von Wert, Kapital und Arbeit Schwächen aufweisen mögen, warnt Varoufakis zu Recht davor, dass wir am Beginn einer neuen Epoche stehen. Wichtig ist für ihn vor allem, sich sowohl der positiven als auch der potenziell bedrohlichen Aspekte der aufkommenden ‹cloudalistischen› Macht bewusst zu werden, die die Struktur unserer Gesellschaft grundlegend verändern werden.


Bild Yanis Varoufakis in Berlin, 2015. Foto: Jörg Rüger, CC BY-SA 3.0

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Footnotes

  1. Yanis Varoufakis, Technofeudalismus: Was den Kapitalismus tötete. Kunstmann 2024.
  2. Aus dem Vorwort. Varoufakis behauptet, dass die Märkte und Gewinne des Kapitalismus durch die Plattformen und Mieten der Big Tech ersetzt wurden. Beispielsweise kann der Apple Store durch eine Provisionsgebühr 30 Prozent des Gewinns einbehalten.
  3. Indem er solche Qualitäten unterscheidet, erkennt er stillschweigend an, dass z. B. die Arbeit nicht (nur) in die Kategorie Wirtschaftsleben gehört, ein wesentlicher Aspekt der Dreigliederung. Er wagt aber kaum weitere Schritte in dieser Richtung.

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