Kollektive menschliche Intelligenz

Der am 10. Januar 1950 geborene anthroposophische Bürgerrechtler und Umweltaktivist Nicanor Perlas ist am 15. August 2025 über die Schwelle gegangen. Diese Besprechung seines letzten Buches ist ein Dank für sein Werk.


Kenntnisreich und mutmachend ist dieses Buch, das bereits 2018 auf Englisch erschien. Perlas war dafür längere Zeit im Silicon Valley. Sein Buch gibt einen Ausblick auf eine der drängenden Zukunftsaufgaben der ganzen Menschheit und zugleich Hilfen, die neuen Herausforderungen gerade mit den Mitteln der Anthroposophie zu meistern. Sieben Jahre nach seinem ersten Erscheinen ist es aktueller denn je.

Künstliche Intelligenz (KI) begegnet uns, oft nicht ausreichend bewusst, täglich: bei Anrufen in Callcentern oder bei der Suche im Internet. Alle Vorhersagen zu ihren Fortschritten haben sich bisher bestätigt. Sie sind sogar viel früher eingetreten, als prognostiziert. Perlas beschreibt diese künstliche Maschinenwelt. Ihre Kombinationen von mathematischen Operationen bilden die Wirklichkeit in mathematischen Algorithmen ab. Grundlage dafür ist ‹Big Data›, eine maximale Datensammlung. Schon jetzt enthalten die riesigen Server den Inhalt vieler Bibliotheken der Welt. In Zukunft werden sie diese in Sekunden aufnehmen und auswerten können. Auf höchstem logischem Niveau kann KI statistische Wahrscheinlichkeiten und logische Kombinationen als Wirklichkeit miteinander verbinden.

Doch es entsteht eine Karikatur des Menschen. Anstelle lebendiger Begriffe aus der Zukunft, anstatt menschlicher Empfindungs- und Willensimpulse herrscht eine innere maschinelle Logik von Vergangenheitswissen. Vor allem fehlt die Instanz des Gewissens, das im rhythmischen System des Menschen und im Empfinden seine körperliche Basis hat. Durch sein lebendiges Denken kann der Mensch eine Beziehung zu der geistigen Sphäre der «moralischen Phantasie» und «moralischen Technik» aus Steiners ‹Philosophie der Freiheit› aufnehmen. Perlas bezieht sich auch auf Sergej Prokofieffs Arbeiten zum Bösen im Zeitalter der Bewusstseinsseele.

Das sogenannte ‹Alignment-Problem›, wie menschliche Werte oder Gesetze in diesen Algorithmen sichergestellt werden können, ist beispielsweise völlig ungelöst. Im Gegenteil können sich Algorithmen mit weiteren Algorithmen kombinieren und ein durch ihre Programmierenden nicht mehr verstehbares Bild einer ‹Wirklichkeit› entwerfen. Heute kann KI noch als ‹schwach› gelten, eine Entwicklung zur Allgemeinen Starken Künstlichen Intelligenz (Artificial General Intelligence = AGI) ist aber absehbar. Dann wäre es nicht mehr weit zur selbstbewussten Künstlichen Superintelligenz (Artificial Super Intelligence = ASI), wenn sich starke Intelligenzen zusammenschließen, vermutlich innerhalb der nächsten 20 Jahre. So besteht die Gefahr, dass statt der Menschen AGI bzw. ASI durch ‹eigene› Entscheidungen das Leben auf der Welt beherrschen wird. Dann entsteht keine menschliche Weltherrschaft, sondern die einer abstrakten maschinellen Intelligenz.

Gesellschaftliche Folgen

Perlas schildert realistisch die eingreifenden ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen: Auf der einen Seite entsteht ein unermesslicher Reichtum für die Eigentümer, auch mit politischen Einflüssen. Auf der anderen Seite droht die Verarmung weiter Teile der Menschheit, weil ihre Arbeit überflüssig wird. Die Arbeitsplätze vieler Menschen in Callcentern werden zunehmend durch KI ersetzt. Es droht Massenarbeitslosigkeit in vielen Ländern Asiens und Europas. Es werden Volkswirtschaften wie den Philippinen beträchtliche Mengen des Volkseinkommens verloren gehen. Auch die ökologischen Folgen der KI können heute erst annähernd abgeschätzt werden. Umfangreiche Anfragen an KI-Server verbrauchen mehr Energie und Wasser als ein Brief per Post. Der riesige Energiebedarf der Server erfordert schon heute weitere Kraftwerke, zumeist mit Atomenergie. Für Perlas steht die Kulmination der Anthroposophie trotz Ausbreitung ihrer Bewegung noch aus. Er entwickelt Perspektiven für das weitere ‹geistige› Ringen. Dazu müssen Anthroposophinnen und Anthroposophen tätig werden, nicht nur studieren. Historisch besteht die Aufgabe zur Zusammenarbeit mit nicht-anthroposophischen Gemeinschaften, die ähnliche humanistische Ziele haben. Perlas spricht dabei aus seiner reichen Erfahrung in der Bürgerrechtsbewegung und der Ökologie. Als realistische Chance sieht er, der künstlichen maschinellen Intelligenz die ‹kollektive menschliche Intelligenz› (KMI) entgegenzusetzen. Das bedeutet die Auseinandersetzung mit der Sphäre Ahrimans und auch die Begegnung mit dem Christus im Ätherischen.

Das vermächtnishafte Buch von Nicanor Perlas ist flüssig geschrieben und auch für Laien gut verständlich. Es schildert die Probleme ohne Dramatik und nennt zukünftige Entwicklungen ohne Resignation. Im Gegenteil vertraut Perlas auf die mögliche Gestaltungsfähigkeit der Menschheit und appelliert an den Gemeinsinn. So kann er das Buch mit der Hoffnung beschließen, dass die Menschheit zu einem Durchbruch der kollektiven und sozialen menschlichen Intelligenz führen wird. Es bedarf aber eines aktiven Erwachens.


Buch Nicanor Perlas: Künstliche Intelligenz – so können wir sie überleben. Eine Zukunft durch Anthroposophie. Schneider-Editionen, Stuttgart 2024.

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