In der Malerei

Zu den Seelenkalender-Tafeln

Victoria Öttl malt seit drei Jahren regelmäßig die Sprüche des Seelenkalenders. Der Künstler Hannes Weigert begleitet sie dabei und gibt hier Einblicke in ihre gemeinsame Arbeit. Ihre Werke werden bei der internationalen Tagung zum 100-jährigen Jubiläum des Heilpädagogischen Kurses von Rudolf Steiner und der Gründung der Sektion für Heilpädagogik und inklusive soziale Entwicklung im Oktober am Goetheanum zu sehen sein.


Tafel #157, 2023

Die ‹Malerei› befindet sich am Loidholdhof,1 oberhalb der Donau, in Oberösterreich. Das Wort Malerei bezeichnet in dieser Gegend nicht nur eine Kunstgattung, sondern ist auch als Benennung für einen Malerhandwerksbetrieb gebräuchlich. In diesem umfassenden Sinne geht es in der Malerei am Loidholdhof um Malerei. Auch das Schreiben, die Herstellung von Schriftbildern, gehört dazu: das Schreiben der Seelenkalender-Sprüche mit Victoria Öttl.

Es begann so: «Ich schrieb ‹Ronja Räubertochter› auf einen Zettel für meinen Freund, den Vivian. Er ließ ihn bei der Kaffeemaschine liegen. Kurze Zeit später fand ihn der Malermeister Hannes Weigert. Er fragte sich: Wer hat das geschrieben? (Weil ich das so schön aufgeschrieben habe.) Ich ging zurück und sagte: Ich war das! – Wir überlegten, was wir mit dieser Schrift machen könnten. Da kamen wir zu dem Entschluss, die Seelenkalender-Sprüche zu schreiben.»2

Am 23. Februar 2021 schrieb Victoria den Spruch, der beginnt: ‹Im Lichte, das aus Weltenhöhen …› mit einem Pinsel und schwarzer Farbe auf ein großes Blatt Papier, das ich zuerst farbig grundiert hatte («Du hast die Platten hergerichtet. Du hast den Hintergrund gemalt, immer anders.») Den Spruch zeigten wir am nächsten Tag im Morgenkreis. Im Morgenkreis treffen wir uns jeden Morgen alle miteinander und machen eine Vorschau auf den Tag, was so ansteht. Und da lesen wir den Spruch. Den Spruch lese ich. Und die Schrifttafeln sind da; nicht alle, sondern nur die mit dem Spruch, den ich gerade lese.

Im Laufe von drei Jahren entstanden drei Fassungen der Sprüche. Rückblickend schreibt Victoria: «Ich habe die Sprüche auf die Platten übertragen. Ich habe die Sprüche gelesen. Ich habe die Gedanken zu den Sprüchen aufgeschrieben. Durch das Sprechen kamen die Gedanken zu den Sprüchen zum Vorschein.»

«Möchtest du noch etwas zu den Sprüchen sagen?»

«Die Sprüche sind von Rudolf Steiner geprägt. Der hat die dann in ein Buch verfasst.»

«Wovon handeln die Sprüche?»

«Von dem Ich-Leben.»

«Vom Ich-Leben im Jahreslauf? Das ändert sich ja die ganze Zeit …»

«Ganz genau. Die Sprüche haben einerseits mit mir zu tun, andererseits haben sie viel mit dem Äußeren, mit der Welt zu tun. Mit dem, wie die Pflanzen keimen, reifen, fruchten … wie sich die Natur verändert vom Frühjahr bis zum Winter, kann man sagen.»

«Und im Winter?»

«Und im Winter ist alles kahl draußen.»

«In der Seele auch?»

«In der Seele blüht dann alles (lacht). Ich weiß nicht genau, wie ich das sonst beschreiben soll.»3

20. März 2024. Morgens in der Malerei. Victoria kam zum Schreiben. Heute schrieb sie nur die ersten beiden Worte des Frühlingsspruches auf eine Platte: ‹Ins Innre›. Danach setzte sie sich an den Tisch und besann sich darauf, was sie heute niederschreiben wollte. Sie erinnerte sich daran, wie wir uns vor einigen Wochen drüben beim Stall über den Weg gelaufen waren und sie zu mir sagte, sie fühle so eine starke Verbundenheit mit den Sprüchen. Das wollte sie heute aufschreiben. Nachdem sie schon etwas geschrieben hatte, hielt sie inne und sagte zu mir: «Ich war jetzt richtig versonnen, das muss ich ehrlich sagen.» Dann schrieb sie weiter: «Ich bekomme zu den Sprüchen durch das, dass ich sie jeden Tag lese, eine Verbindung. Ich bin einmal in der Woche (beim Schreiben der Sprüche) richtig in den Spruch abgetaucht und hab richtig nachgedacht. Ich bin richtig in mich gegangen. Alles andere, was außerhalb ist, ist für mich vergessen.»

Oben rechts: Victoria Öttl beim Schreiben, 2022
Unten links: Tafel #136, 2023
Unten rechts: Tafel #10, 2021

In jedem Spruch steckt das Ich

In unseren Gesprächen, die sich im letzten Jahr jeweils an das Schreiben anschlossen, kamen «Gedanken zum Vorschein», die sie dann oft wörtlich so niederschrieb, wie sie ihr einen Moment zuvor aus dem Munde gekommen waren:

2 Der Mensch reift. Hannes fragt: Gibt es ein inneres Wachstum der Seele? Ich antworte: Das müsste es eigentlich schon geben. Wann hat man sein Ziel erreicht?

3 Konrad hat heute Geburtstag und ich werde ihn fragen, was der Urstand ist? Wo ist das Ich zu Hause?

5 Der Seele Wesen – weißt du, was das sein kann? Das innere Wesen! Es liegt im Wort, im Lesen des Spruches, es ist mir ins Auge gesprungen. Es ist faszinierend, wenn einem beim Lesen Gedanken kommen.

6 Urbild ist etwas, was schon ganz weit zurückliegt. Mir fällt dazu wirklich nix mehr ein. Sagt das Abbild zu sich ‹mein Selbst›?

8 Ist das Denken ein Sinn?

9 Was soll das eigentlich mit dem Verlieren? Ist die Ahnung wie ein Sicherinnern? (Jetzt hab ich mich gerade selber abgelenkt, selber.)

17 Das Weltenwort kann ich nicht mit den Augen sehen. Hab ich da einen Blödsinn gesagt? Ich glaube nicht. Wie gelangt es dann durch die Sinnestore in die Seelengründe?

18 Ein Kleid zieht man an. Die Seele ist das Kleid. Der Geist soll es anziehen. Der Schneider bin ich.

21 Des is schwa

24 Ich weiß ehrlich gesagt nicht genau, wie das Seelensein sich selbst gewahr werden soll. Ob das mit dem Erschaffen zu tun hat? Ist das so, dass das Seelensein sich selbst erschafft und sich selber im Erschaffen wahrnimmt?

26 Michaeli-Stimmung. Der ist wirklich sehr rätselhaft, der Spruch, ganz ehrlich. Die ganze Stimmung, die ganze Harmonie, irgendwie.

27 Bin da ich gemeint als Wesen? Die Seele gehört irgendwie zum Wesen, glaub ich. Ich bin das Wesen, das sich selbst betrachtet, oder?

28 Es steckt in jedem Spruch das Ich. Selbst wenn das Wort ‹ich› nicht im Spruch steht, steckt das Ich überall drinnen. Mir ist das in den letzten Sprüchen schon aufgefallen, da hab ich mir gedacht, ich muss das mal beobachten, wie sich das in den Sprüchen weiterentwickelt.

32 Im Lebensschicksalsweben. Ich hab mir die Eurythmieform dazu angeschaut. Die Linien gehen auf und ab. Sie gehen hin und her, sie durchdringen sich, sie sind verwoben. Steckt da das Ich drinnen?

33 Ich überleg gerade. Was kann das bedeuten? Muss ich die Erkenntnis fühlen?

34 Was schreima hi? Ich kann damit nichts anfangen, mir ist der Spruch rätselhaft.

37 Das ist sehr verrückt, was mir für Ideen aufkommen. Ich hab mir gedacht: Das Geisteslicht muss eigentlich in mir drinnen sein. Ich glaube zu wissen, dass ich weiß, was das Wort ‹streben› heißt.

45 In Winter ist es dunkler als im Sommer. Gute Gedanken sind heller als schlechte Gedanken.

46 Die Nacht ist innen. Von dort strahlt die Hoffnung aus.

50 Die Geburt des Menschen-Ich aus dem Weltendasein ist mein wahres Ziel. Dann ist der Zauberbann gebrochen!

51 Das Auge ist ein Spiegel. Es spiegelt sich die Welt. Das ist krass: dass der Weltengeist sich im Spiegelbild des Menschenauges befindet.

52 Der Geist in dir drinnen. Die Schönheit quillt, wie wenn die Sonne in die Donau sticht. Es gibt einen Geist, der sich nach innen wendet und einen nach außen. Oh, dass ich das aussprechen könnte, wie die zwei zusammenhängen!


Die Malerei gibt es seit 2018. Sie setzt da an, wo ich mit der ‹Malerverksted› in Vidaråsen4 und der ‹Malerwerkstatt› am Goetheanum5 aufgehört habe. Neben der Zusammenarbeit mit Victoria Öttl und der eigenen malerischen Forschung und Praxis gibt es in der Malerei noch andere Projekte. Zu diesen gehören: Entwicklung einer ‹Schule für Ästhetische Praxis› mit Bodo von Plato;6 Begleitung der Malerin Kathrin Sammer bei ihrem Studium von Steiners malerischem Skizzenwerk; Vertiefung in die Mantren der Klassenstunden mit Joachim Eckl; und die malerische Zusammenarbeit mit Julia Weinknecht.7 Daneben finden (im Rahmen der Freien Akademie am Loidholdhof) Seminare8 und Ausstellungen statt; auch Publikationen werden herausgegeben.9


Tafeln zum Seelen-Kalender Victoria Öttl (Schrift), Hannes Weigert (Konzept/Farbe), Acryl auf Hartfaserplatte, 50 × 60/65 cm. Die Malerei, 2021–23

Titelbild Tafel #141, 2023

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Footnotes

  1. Der Loidholdhof ist eine inte­grative Hofgemeinschaft.
  2. Aus Victoria Öttls Aufzeichnungen zum Seelenkalender.
  3. Aus einem am 16. November 2023 geführten Gespräch mit Victoria Öttl, das demnächst unter dem Titel ‹Fühlen lernen› in der Zeitschrift ‹Perspectives› erscheinen wird.
  4. Malerverksted (2010–2017). Dazu: Johannes Nilo, Rätsel der Malerei. In: Goetheanum 48/2012.
  5. Malerwerkstatt am Goetheanum zu Steiners Entwürfen für die Malerei (mit Miriam Wahl, 2017). Dazu: Gilda Rhien, Skizzenbewusstsein. In: Goetheanum 52–53/2017.
  6. Bodo von Plato, Ernst und heiter zugleich. Über ästhetische Bedingungen der Freiheit. In: Goetheanum 3–4/2022.
  7. Julia Weinknecht/Hannes Weigert, Elohim. Malerei im Anfang. Freie Akademie Loidholdhof, 21.–23.6.2024.
  8. Bodo von Plato/Hannes Weigert, Versuche zur Ästhetischen Praxis: Kritik des Fühlens (Arbeitstitel). Freie Akademie Loidholdhof, 20.–22.9.2024.
  9. Hannes Weigert (Hrsg.), Das Bewusstsein der Malerei. Ensemble 1/2021. Dazu: Stephan Stockmar, Dazwischen sein. In: Goetheanum 27–28/2021. In Vorbereitung: Ensemble # 2. Versuche zur Ästhetischen Praxis (mit Beiträgen u. a. von Alexander Schaumann, Victoria Öttl, Achim Leibing).

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