exc-5eab31bb7636190000a80a27

Gestaltetes Sprechen zur Lungenstärkung

Im Rahmen aktueller anthroposophisch-medizinischer Betrachtungen der Krankheit Covid-19 lohnt sich ein Blick auf die Angaben Rudolf Steiners zur Wirkung gestalteten Sprechens auf die Atmung und die Lunge.(1) Hier einige konkrete und praktische Anregungen aus der anthroposophisch-therapeutischen Sprachgestaltung.(2)


Im rhythmischen System finden sich die Quellen des Gesundens: «Wenn der Vorgang, der sich abspielt zwischen Puls und Atem, in Ordnung ist, dann ist der untere Mensch mit dem oberen Menschen in einer richtigen Verbindung, und dann muss eigentlich der Mensch, wenn nicht äußere Verletzungen an ihn herantreten, gesund sein.» (3) Dieser Vorgang besteht im stets erneuerten, rhythmischen Inein­anderschwingen von vier Pulsschlägen mit einem Atemzug. Von diesen beiden Rhythmen ist der Pulsrhythmus den direkten Einflüssen des Wachlebens weniger ausgesetzt als die Atmung. Sie verbindet uns als zentrale Funktion des Astralleibes (4) mit der Welt und unseren Mitmenschen, ist aber deshalb auch direkt durch Stress und Angst betroffen. Bei Ängstlichkeit und Schrecken dominiert die Einatmung und unterdrückt die spannungslösende Ausatmung. Unser rhythmischer Bezug zum inneren Milieu, zum unteren Menschen erscheint bedrängt. So stören Stress und Angst den Atemrhythmus unmittelbar und längerfristig sein Organ, die Lunge.

Von den zahlreichen Übungen und Texten zur Rhythmisierung des Sprechens eignet sich besonders das Hexameter-Versmaß. Es braucht zu seiner einfachsten Anwendung keine Vorkenntnisse.

In Abwandlung eines Hinweises zur Lautfolge O–E–E (5) im Rhythmus lang–kurz–kurz (Daktylus) sprechen Sie die Silbenfolge ‹Mo–Le–Le› dreimal hintereinander auf eine Ausatmung kräftig und klingend, schöpfen wieder Atem und beginnen von vorne. Die Übung wird zuerst mit einfachem Silbenlaufen begleitet (Mo – langer Schritt, Le–Le – zwei kurze Schritte). Später kommen die Arme hinzu: einatmen von unten bis zur Horizontale; ausatmen und die Arme langsam beim Sprechen senken. Atemzug und Silbensprechen (Schritte) stehen im Verhältnis von 1 : 4.

Mit ähnlicher Technik werden alle bekannten oder neu zu entdeckenden Hexameterverse und Distichen zu einer Quelle der Atemerfrischung.

Klang der Sprache

Die Silbe ‹OM› entstammt dem Sanskrit und begleitet die Menschheit seit Jahrtausenden. Rudolf Steiner empfiehlt sie als Atem- und Einschlafübung: «Und wer oft wiederholt die Silbe OM, kommt in das Erleben zwischen Wachen und Schlafen hinein.» (6) Damit ist sie besonders geeignet, um unruhige und ängstliche Gedanken vor dem Einschlafen abzuwenden und uns in einen Zustand tiefen Friedens und Einklangs mit der Umgebung zu versetzen. Wir sprechen sie mit ‹runden› Lippen, klingend und in mittlerer Stimmlage und verbrauchen den Atem mit einem OM ganz. Nach drei Wiederholungen erfolgt eine Pause.

>
Bei Ängstlichkeit und Schrecken dominiert die Einatmung und unterdrückt die spannungslösende Ausatmung.

Viele Übungen Rudolf Steiners folgen zwar den syntaktischen Gesetzen, sind aber ohne ‹Inhalt› im semantischen Sinne. Die Aufmerksamkeit des Sprechenden soll sich ganz mit den Silben und Lauten verbinden und in deren ätherische Gesetze eintauchen, ohne dass sich das Ich mit dem Sinn des Satzes beschäftigt. Der Übungstext: «Aber ich will nicht dir Aale geben» folgt diesem Prinzip. Er gehört zu einer größeren Übung, die den ganzen Sprachorganismus kräftigt und gesund erhält. Hier geht es um die Organe Kehlkopf, Lunge und Zwerchfell. Für diese Organe sind die Vokale A, E und I besonders wichtig. (7) Das I bildet sozusagen eine Spiegelfläche, von der die Kraft der Vokale nach innen auf die Zielorgane gelenkt wird. Die Übung spricht man klingend und mit kräftigen Vokalen, möglichst ohne betonende Hochtöne, vorzugsweise in drei bis zehn Wiederholungen.

Atemweite gewinnen

Zu den schwierigsten Folgen von Atembehinderungen durch körperliche oder seelische Vorgänge (Verschleimung, Angst usw.) gehört das flache und beschleunigte Atmen. Weder erreicht der Atem seine ‹Atemwurzel› im unteren Bauchraum, wo er Energie schöpfen möchte, noch öffnet er sich dem Umraum ganz. Hier führen bestimmte Laute den Atem wie von allein an die richtigen Orte im Körper. Für die Atemwurzel sind dies die Laute K, H und F. Einfach zu erlernen ist ein erweiterter Atem mit der Lautfolge: Ffffff–T oder noch interessanter: Wwwww–T. Man stellt sich um sich herum eine Luftkugel vor, deren Begrenzung durch die gestreckten Arme markiert ist. Die Fingerspitzen berühren die Luftkugel von innen. Die Einatmung begleiten wir durch Heben der Arme bis über den Kopf. Beim Intonieren des W oder F senken sich die Arme mit lockeren Ellbogen und dem Erlebnis einer ‹Luftsubstanz› unter den Handflächen bis ganz nach unten. Ist der Atem ganz zu Ende, folgt ein kräftiges T, um den Weg für die neue Einatmung frei zu machen.(8)

Ein weiterer unerwünschter Nebeneffekt von Schreck, Schock und Angst ist eine oft unbemerkte, latente Hyperventilation. Der ‹Gerüstbildner› in uns, der Kohlenstoff, wird in zu großer Menge durch den Sauerstoff ergriffen und im Kohlendioxid ausgeatmet. Schon ein geringes daraus folgendes Ungleichgewicht im Säure-Basen-Haushalt des Blutes (Blutgase) erhöht die Reizanfälligkeit der Schleimhäute in den Luftwegen und führt zu Schwäche und Missempfindungen. Hier setzen zwei kraftvolle Übungen Rudolf Steiners an.

Die Lautfolge K–L–S–F–M führt vom Gaumenansatz auf die Lippen und verankert den Sprachimpuls im unteren Bauchraum (vor der Blase). Hier üben wir sie aufbauend, indem mit jedem Atemzug ein weiterer Laut hinzukommt. Nach dem Sprechen der ganzen Lautfolge (fünfte Wiederholung) hält man ausgeatmet den Atem an, bis Lufthunger auftritt und das Ganze von vorne beginnt.

Noch intensiver wirkt die an Willi Kux gegebene Rekonvaleszenz-Übung: «Ich atme Kraft des Lebens – In Luft verhaucht der Hauch.» (9) Sie verlangt einen ichgeführten Atemverzicht, um nachher umso befreiter einatmen zu können. Wir sprechen den ersten Satz mit lauter Stimme und halten ausgeatmet den Atem an. Während des Atemhaltens sprechen wir innerlich zu uns den Satz dreimal wie in meditativer Erwartung, die dem aufsteigenden Lufthunger entgegenwirkt. Nach dieser Phase dürfen wir einatmen und füllen die Lungen bis zum Rand. Darauf ergießen wir den Atem mit der Zeile: «In Luft verhaucht der Hauch» in den Umkreis. Gleich anschließend schöpfen wir neuen Atem und beginnen wieder mit der ersten Zeile. Im Original wird dieser Ablauf siebenmal wiederholt. Dies gelingt am Anfang oft nicht. Es wirken aber schon weniger Wiederholungen oder eine weniger lange Atemhaltezeit sehr positiv auf Atemweite, Präsenz und Kraft.

Diese hygio- und salutogenetischen Übungen können zu wertvollen Begleitern in Zeiten von Unsicherheit werden, aber auch den verbreiteten Einschränkungen der Atmung als lebensspendendem Prozess durch sitzende Tätigkeit am Bildschirm entgegenwirken. Sie eignen sich für Jugendliche und Erwachsene. Im Idealfall lassen Sie sich durch eine ausgebildete Fachperson der anthroposophisch-therapeutischen Sprachgestaltung begleiten. (10)


(1) Angaben hierzu in Dietrich von Bonin, Michaela Glöckler, Jana Kirst, Menschenkundliche Grundlagen der Sprachgestaltung. Dornach 2018.
(2) Webseite therapeutische Sprachgestaltung
(3) Rudolf Steiner, GA 221, S. 80.
(4) Rudolf Steiner, GA 316, S. 17.
(5) Rudolf Steiner, GA 282, S. 99 ff.
(6) Rudolf Steiner, ebd, S. 69 ff.
(7) Rudolf Steiner, ebd., S. 132 ff.
(8) Anleitungsvideos
(9) Dietrich von Bonin (Hrsg.), Materialien zur therapeutischen Sprachgestaltung. Persephone, Förderstiftung Anthroposophische Medizin, Dornach 2008.
(10) Adressen

Bild: Ausschnitt aus dem Video-Übung von Dietrich von Bonin zu “OM”

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare