«Die Homöopathie ist eine Leistung, die keinen medizinischen Nutzen auf der Grundlage des wissenschaftlichen Sachstandes erbringt» – so begründete am 11. Januar der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach seinen Vorstoß, Homöopathie und alle Therapieverfahren der Anthroposophischen Medizin als Satzungsleistung der Krankenkassen zu streichen. Der Patientenverband Weil’s hilft hat eine Petition gestartet, die bis zum 7. März 50 000 Unterschriften akquirieren muss.
Der Einspareffekt durch Streichung dieser Leistungen ist so marginal, dass darin nicht der Grund dieses Vorstoßes liegen kann – auch nicht in der Behauptung fehlender Wissenschaftlichkeit. Hunderte von Studien sowie Metaanalysen zeigen die statistisch signifikante Wirksamkeit der Homöopathie1 2 von der vielfältigen Evidenzlage der Anthroposophischen Medizin ganz zu schweigen.3
Die Unterstellung fehlender Wissenschaftlichkeit ist verbunden mit der aus dem atomistischen Denkmodell hervorgehenden Überzeugung, dass es unmöglich sei, mit hohen Verdünnungsstufen im Organismus Wirkungen zu erzielen. Ein bestimmtes Denkmodell (Paradigma) wird zum allein gültigen erklärt. Das deutsche Grundgesetz verbietet jedoch dem Staat, für ein bestimmtes wissenschaftliches Paradigma Partei zu ergreifen. Folgerichtig heißt es im Arzneimittelgesetz von 1976, dass es «nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein kann, bei kontrovers diskutierten wissenschaftlichen Positionen durch einseitige Festlegung bestimmter Methoden einen allgemein verbindlichen ‹Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse› festzuschreiben, sondern im Zulassungsbereich dem in der Arzneimitteltherapie vorhandenen Wissenschaftspluralismus zu entsprechen».4 2018 wies Peter Matthiessen darauf hin, wie ein «monoparadigmatischer Reduktionismus» am Ende stets mit der Ausbildung totalitärer Denkstrukturen einhergeht, «für die die dogmatische Ideologie alles, der Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht des Bürgers, der Toleranz gegenüber Vertretern anderer Denk- und Praxisansätze, dem individuellen Erkenntnisstreben und der Achtung der Menschenwürde nichts bedeutet.»5 Das geschieht gerade: Die Freiheit ergebnisoffener wissenschaftlicher Erkenntnissuche wird von Staats wegen verneint.
Das deutsche Grundgesetz verbietet dem Staat, für ein wissenschaftliches Paradigma Partei zu ergreifen.
Drei Jahre bevor der Begründer der Zellularpathologie, Rudolf Virchow, 1845 seine Rede ‹Über das Bedürfnis und die Richtigkeit einer Medizin vom mechanischen Standpunkt› hielt, beschrieb der Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann, in ‹Organon der Heilkunst›, wie Natursubstanzen durch Verdünnen und Schütteln in einem Medium (Potenzieren) «die latenten, vorher unmerklich wie schlafend in ihnen verborgen gewesenen dynamischen Kräfte, welche vorzugsweise auf das Lebensprinzip, auf das Befinden des thierischen Lebens Einfluss haben» (Par. 269), entwickeln. Rudolf Steiner beschrieb, wie die irdischen Substanzen sich evolutiv aus lebendigem, geistigem Zustand hinunter zur physisch-materiellen Gestalt verdichtet haben. Durch den Homöopathisierungsvorgang werden sie in einen ‹Entdichtungsprozess› überführt, die Substanz durch menschliche Tätigkeit wieder verlebendigt. Hahnemann: «Ungemein wahrscheinlich wird es hierdurch, dass die Materie mittels solcher Dynamisationen (Entwicklungen ihres wahren, inneren arzneilichen Wesens) sich zuletzt gänzlich in ihr individuelles geistartiges Wesen auflöse und daher in ihrem rohen Zustande eigentlich nur als aus diesem unentwickelten geistartigen Wesen bestehend betrachtet werden könne» (Fußnote zu Par. 270). Mit der Homöopathie bewahrte Hahnemann die geistige Substanzbetrachtung in dem durch Virchow eingeläuteten Zeitalter materialistischer Medizin, das Krankheit allein aus zellulären (und heutzutage molekularen) Prinzipien erklärt.
Die inneren Kräfte der Substanz
An dieses «Bekenntnis zu der Geistigkeit der äußeren materiellen Substanzen» knüpft Rudolf Steiner an und erweitert den Homöopathisierungsbegriff (z. B. niedrige Potenzen bei Erkrankungen des Stoffwechsel-Gliedmaßen-Systems, hohe bei Erkrankungen des Nerven-Sinnes-Systems). Er beleuchtet das Potenzieren bezüglich Ausgangssubstanz und Medium: «Dieses Medium bekommt eine andere Konfiguration; geradeso wie ich ein anderer werde, wenn ich vom Vermögen übergehe zum Schuldenmachen in dem äußeren sozialen Leben, so geht Substanz in ihren entgegengesetzten Zustand über und verleiht dann diesen ihren entgegengesetzten Zustand, den sie früher in sich gehabt hat, ihrer Umgebung».6 Die der Schwerkraft unterworfene Substanz prägt im Verlauf des Potenzierens ihre inneren Kräfte wie ein Negativ dem ‹Gegenraum› des Mediums ein, wird empfänglich für die aus dem Kosmos einstrahlenden ätherischen Kräfte.
So kann sie auf den ätherischen Organismus höherer Organismen einwirken und bis ins Physische des Organismus sich entfalten und zwar rhythmisch: Einem Hinweis Rudolf Steiners folgend, ließ Lili Kolisko Samenkörner unter Hinzugabe verschiedener Potenzierungsstufen eines Heilmittels keimen und erhielt rhythmisch schwingende Potenzkurven mit Maxima und Minima des Wachstums bei bestimmten Potenzhöhen. Sie erforschte erstmals im exakten Experiment die Wirkungsweise potenzierter Arzneimittel nach Maß, Zahl und Gewicht und veröffentlichte diese Ergebnisse 1923, vor 100 Jahren.7 Lili Koliskos Forschung wurde vielfach bestätigt und wird fortgeführt.8
Der Vorstoß gegen Homöopathie greift äußerlich und innerlich die Ursprungsimpulse der Anthroposophischen Medizin an. Es geht um die Kräfte des Ätherischen, aus denen alle Heilung entspringt. Das in einem Paradigma feststeckende materialistische Denken hat mit den jüngsten Ereignissen die beschriebene Stufe ‹totalitärer Denkstrukturen› erreicht, die nun ins Leben hineinwirken und unsere Therapiefreiheit beschneiden. Nach dem Vorbild Lili Koliskos bedarf es nicht nachlassender Aktivität einer großen Menschengemeinschaft, um diese Freiräume zurückzuerobern, zu erhalten und mit innerer Substanz zu füllen.
Quellen zur Wirksamkeit potenzierter Arznei Wirksamkeit von Anthroposophika und Homöopathika
Foto Sofia Lismont
Footnotes
- H. J. Hamre, A. Glockmann, K. von Ammon, D.J. Riley, H. Kiene, Efficacy of homoeopathic treatment: Systematic review of meta-analyses of randomised placebo-controlled homoeopathy trials for any indication. Systematic Reviews 2023;12(1):191. DOI: https://doi.org/10.1186/s13643-023-02313-2.
- Institut für Komplementäre und Integrative Medizin (Hrsg.) Stand der Grundlagenforschung und klinischen Forschung in der Homöopathie. (28.1.2024).
- D. Brauer, M. Girke, G. Soldner, Zur Evidenzlage in der Anthroposophischen Medizin. Anthromedics – Fachportal für Anthroposophische Medizin. (21.1.2024).
- Dt. Bundestag, Ausschuss für Jugend, Familie und Gesundheit. Bericht zur Neuordnung des Arzneimittelrechts. Drucksache 7/5091 vom 28.04.1976.
- P. F. Matthiessen, Homöopathie und intellektuelle Redlichkeit – Eine Stellungnahme. Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2018;50:172–177. DOI: https://doi.org/10.1055/a-0758-9471.
- Rudolf Steiner, Geisteswissenschaft und Medizin. Vortrag vom 31.3.1920, GA 312, 8. Aufl. Dornach 2020.
- L. Kolisko, Physiologischer und physikalischer Nachweis der Wirksamkeit kleinster Entitäten. Dornach 1997.
- K. Gaertner, S. Ulbrich-Zürni, S. Baumgartner, H. Walach, M. Frass, P. Weiermayer, Systematic reviews and meta-analyses in Homeopathy: Recommendations for summarising evidence from homeopathic intervention studies (Sum-HomIS recommendations). Complement Ther Med. 2023 Dec;79:102999. Epub 2023 Oct 26. PMID: 37898390.
Eine echt Wissenschaftlichkeit würde darin bestehen, erst einmal zu beobachten. Wenn man im zweiten Schritt feststellt, daß Homöopathie Wirkung zeigt, kann man zunächst einmal nur staunen. Dann müssen weitere Versuche folgen. Wenn sich die erste Wahrnehmung bestätigt, erst dann kann das Urteil gefällt werden. Alles andere sind Vorurteile und damit nichts wert. Und jetzt müsste die Wissenschaftlichkeit greifen, das Für und Wider abzuwägen und zu ergründen, warum und was (in unserem Falle die Homöopathie) hilft. So einfach. Warum wird es nicht getan? Denken Sie selbst…
Danke für eure Engagement.