Auf gutem Weg

Die Weleda nutzt die Krise von 2022, um sich betrieblich nachhaltiger aufzustellen – mit neuer Betriebsstruktur und neuem Geschäftsführungsteam mit Tina Müller als zukünftiger Vorsitzenden der Geschäftsleitung und Leiterin der Kosmetiksparte.


2022 kam Weleda in eine Krise. Der Gesamtumsatz der Weleda-Gruppe ging von 2021 auf 2022 um 2,6 Prozent auf 413,8 Millionen Euro zurück. Dabei machte sich der Rückgang der Naturkosmetik um rund 5 Prozent auf 326,4 Millionen Euro stärker bemerkbar als der Umsatzanstieg bei den Arzneimitteln um 7 Prozent, mit 87,4 Millionen Euro jedoch der deutlich geringere Anteil am Gesamtumsatz.

Ist ein Minus von 5 Prozent bei der Naturkosmetik so dramatisch? Für das konsolidierte Betriebsergebnis bedeutete dies 2022 einen Verlust von 3,3 Millionen Euro gegenüber einem Gewinn von 13,3 Millionen Euro 2021. Hinzu kam, dass das Nettofinanzvermögen um 36 Millionen Euro auf 33 Millionen Euro schrumpfte. Da schrillten die Alarmglocken.

Nicht nur das: In Frankreich führten gesetzliche Rahmenbedingungen zum Wegfall der Erstattungsfähigkeit homöopathischer und anthroposophischer Arzneimittel. Nach einem massiven Umsatzrückgang ließ die Betriebsleitung hier die Produktion der Arzneimittel seit April 2023 einstellen, 129 Stellen wurden abgebaut. Seither werden Weleda-Arzneimittel in Europa überwiegend in Deutschland hergestellt. Das alles fiel zusammen mit einer Großinvestition in ein klimaneutral gebautes Logistikzentrum in Schwäbisch Gmünd.

Inzwischen ist die Geschäftsführung neu aufgestellt. Ab Herbst 2022 hat Thomas Jorberg als Präsident des Verwaltungsrats die Geschäftsleitung eng begleitet, seit März 2023 führt er als Executive Chair die Geschäftsleitung direkt; zuvor war er lange Zeit Vorstandsvorsitzender bei der gls-Bank in Bochum. Seit 1. November 2022 führt Raphael Savalle als Chief Financial Officer die Finanzen. Weitere Entwicklungen stehen an: Ab 1. Oktober 2023 wird Tina Müller als Vorsitzende der Geschäftsleitung und Leiterin der Kosmetiksparte tätig. Der Posten eines Leiters für die Arzneimittelsparte ist ausgeschrieben, die Besetzung soll in der ersten Hälfte 2024 erfolgen.

Dazu sprach Sebastian Jüngel mit Thomas Jorberg und Ueli Hurter, Verwaltungsrat und Vertreter der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft bei der Weleda, über die aktuellen Entwicklungen der Weleda, ihre Preispolitik und den Fortbestand des Arzneimittelschatzes.

Betriebswirtschaftliche Resilienz

Sebastian Jüngel Die Weleda hatte das Konzept kollegialer Führung eingeführt. Eine neue Geschäftsleitung einzusetzen, weckt den Eindruck, als ob dieses Konzept nicht erfolgreich war.

Thomas Jorberg Die neue Geschäftsleitung ist nicht Ausdruck eines Scheiterns von kollegialer Führung. Drei der vier Mitglieder der Geschäftsleitung haben aus je eigenen Gründen die Weleda verlassen. Dies und die Rahmenbedingungen haben uns das Führungsmodell überdenken lassen; kollegial zu führen, ist weiterhin das Ziel unserer Unternehmenskultur.

Ueli Hurter Die Zusammensetzung der vorherigen Geschäftsleitung war für eine bestimmte Phase richtig, dann haben sich die Bedingungen geändert. Das Gebilde Weleda ist – gerade für die Größe – sehr komplex. Daher ist wichtig, dass jemand das Ganze in den Blick nimmt. Das kann eine Person oder eine Gruppe sein. Der Weleda-Verwaltungsrat entschied: Wir brauchen eine Gesamtleitung.

Jüngel Die Weleda kommunizierte die Berufung von Tina Müller mit ‹Für ein nachhaltiges Wachstum von Naturkosmetik und Arzneimitteln›. Braucht es vor einem Wachstumsziel nicht erst eine Konsolidierung?

Jorberg Die Konsolidierung läuft, bei der Liquidität ist sie erreicht, bei der Ertragsfähigkeit sind wir nicht mehr in der Verlustzone. Vor 2022 war die Weleda in einer länger andauernden Wachstumsphase mit entsprechender Struktur: Die Planung und Investitionen waren ambitioniert. Aber 2022 haben Umsatzrückgang, gestiegene Kosten etwa bei Energie und Rohstoffen, Schließung der Produktion in Frankreich, hohe Investitionen beispielsweise in Lager und Logistikzentrum sowie hohe Lagerhaltung von Fertigprodukten zu einem Rückgang des Gewinns im Kosmetikbereich und zu einer Erhöhung des Verlustes im Pharmabereich geführt. Daher brauchen wir auch eine beide Bereiche stärkende strukturelle Konsolidierung.

Tina Müller, neue CEO der Weleda. Quelle: Wikimedia Commons/Douglas GmbH/Philippe Ramakers

Hurter Die Märkte haben uns eine Konsolidierung verordnet – durch das Wegbrechen des rentablen Frankreich-Geschäftes mit Arzneimitteln und durch die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen insbesondere in Deutschland. Dazu kam vonseiten der Weleda eine Führungsschwäche und das Ausbleiben von neuen Produkten. 2023 lancierte Weleda einen Relaunch und einen Ausbau von Granatapfelgesichtsprodukten. Ende Juli 2023 sind die Geschäftszahlen besser, wenn auch noch nicht im genügend guten Bereich.

Jorberg Durch notwendigen Abbau von Betriebskosten und Stellen haben wir die Talsohle durchschritten. Gleichwohl knüpfen Umsatz und Ertrag noch nicht an das Vor-Pandemie-Jahr 2019 an. Jetzt gehen wir in die Tiefe der Organisation – mit einer Reorganisation.

Jüngel Wie kann man sich in einer international tätigen Gruppe gegen Worst-Case-Szenarien absichern?

Hurter Die Hälfte des Umsatzes der Weleda findet in den Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz (dach) statt. Hier liegen derzeit die Probleme. Auch Frankreich ist noch immer ein großes Land für die Weleda und muss sich neu aufstellen. Viele Länder wie Großbritannien, die USA, Spanien und Brasilien sind gerade gut unterwegs. Russland und die Ukraine waren gut: Russland ist derzeit kein Markt mehr für Weleda, in der Ukraine ist es schwierig.

Jüngel Worin besteht die Reorganisation?

Hurter Wir schaffen neu in der Geschäftsführung die Sparte ‹Arzneimittel›: Ein Arzneimittel geht nicht mehr durch verschiedene Verantwortungsbereiche für Forschung, Herstellung, Verkauf, sondern eine Person verantwortet den ganzen Strang ‹Arzneimittel›. Diese relative Eigenständigkeit soll die Arzneimittel stärken. Denn wir kamen zum Schluss, dass die zu enge Anlehnung an die große und starke Schwester Naturkosmetik verhindert, dass die Arzneimittelsparte einmal richtig auf die eigenen Füße zu stehen kommt und ihr großes Potenzial realisiert.

Jorberg Diese Gliederung ist ein Ergebnis eines partizipativen Prozesses mit vielen Mitarbeitenden in Deutschland und der Schweiz, für den zwei Mitarbeitende freigestellt wurden. Wir haben keinen Aufwand gescheut, die Stimmen zu hören – das kostet Zeit, gibt aber Stabilität. Aus diesen Ergebnissen zog das Executive Leadership Team Schlüsse und bereitete Entscheidungen vor, die dann im Verwaltungsrat gefällt wurden. Jetzt sind wir in der Umsetzungsphase.

Preise für wertvolle Produkte

Jüngel Preise, die Aufwand und Wert widerspiegeln, sind transparent. Umgekehrt könnte es sein, dass die Weleda mit einem Seifenpreis um sechs Franken Familien und Geringverdienende verpasst.

Hurter Die Weleda gehört zum Kosmetikmarkt, genauer zur zertifizierten Naturkosmetik; sie ist hier am oberen Rand des Massenmarkts, nicht aber im Hochpreissegment. Als Verwaltungsrat haben wir beschlossen, keine Minderung bei den Qualitätsstandards zu machen. Die Kunden sind eine sehr wichtige Gruppe, andere Stakeholder-Gruppen sind die Zulieferer, zum Beispiel der vielen Biorohstoffe, sowie die Mitarbeitenden und die Aktionäre/Partizipantinnen. Zwischen all diesen Gruppen müssen wir eine Balance schaffen. Wir müssen so erschwinglich sein wie möglich. Der Ertrag geht dabei nicht in eine private Schatulle, sondern zu Mitarbeitenden, Lieferanten, Aktionärinnen und Aktionären sowie in Investitionen.

Jorberg Weleda-Produkte sind nicht teurer, sondern wertvoller und das spiegelt sich unvermeidbar auch im Preis wider. Bei Preissteigerungen von Rohstoffen, Energie und Lohnerhöhungen müssen auch wir unsere Preise erhöhen. Weil Rohstoffe teurer, die Prozesse aufwendiger und die Stückzahlen geringer sind, ist unser Betriebsaufwand höher als branchenüblich.

Arzneimittelschatz

Jüngel Von anthroposophischen Ärztinnen und Ärzten wird die Reduktion des Arzneimittelschatzes kritisiert, als Patientin oder Patient hört man, dass ein Arzneimittel der Weleda nicht mehr verfügbar oder längere Zeit nicht lieferbar ist.

Jorberg Lieferschwierigkeiten ärgern uns auch, insbesondere weil das für Kunden ärgerlich ist, diese die benötigten Medikamente nicht bekommen und wir Umsatz verlieren. Die Schwierigkeiten liegen manchmal an der Verfügbarkeit von Rohstoffen; meistens aber sind es minimale Verunreinigungen, die teilweise bei den Rohstoffen oder im technischen Prozess entstehen. Diese wurden bisher in der Regel durch die interne Qualitätssicherung vor Auslieferung entdeckt. Trotz unserer sehr hohen Qualitätsanforderungen kommen bei uns solche Lieferstörungen vor – in geringerem Maße als heute im Arzneimittelmarkt üblich.

Hurter Das Sortiment wird in einer interdisziplinären Kommission (IMKA) abgestimmt. Jede Änderung von Sortiment und Potenzen wird dort diskutiert und beschlossen. Es wird darauf geachtet, dass die Therapiefähigkeit erhalten bleibt. Es gibt aber Ärzte und Ärztinnen, die mit den gestrichenen Versionen der Heilmittel gearbeitet haben und sich umstellen müssen. Da entstehen Enttäuschung und Ärger. Das verstehen wir gut. Aktuell sind keine weiteren Sortimentskürzungen in Arbeit …

Jorberg … und wir konzentrieren uns jetzt auf eine Kostenreduzierung im eigenen Haus.

Hurter Die oft eingeforderte Querfinanzierung der Arzneimittel durch die Kosmetik hat dabei auch in den letzten Jahren in großem Maße stattgefunden. Den Bereich Arzneimittel zu stärken heißt, zu ermöglichen, dass er auf eigenen Füßen stehen kann …

Jorberg … wodurch wir die Anthroposophische Medizin stärken. Wir haben es bei der Naturkosmetik mit volatilen Märkten zu tun, durch eine zu große Abhängigkeit von der Quersubventionierung ist die Anthroposophische Medizin permanent in Gefahr. Diese Gefährdung wird bei Kostendeckung deutlich gemindert. Eine Kostendeckung bei den Arzneimitteln ist unser Ziel, kann aber nicht von heute auf morgen erreicht werden, zumal große Forschungsaufgaben anstehen. Auch dafür müssen geeignete Strukturen geschaffen werden. Die Restrukturierung und die Neubesetzung der Geschäftsleitung sollen die Weleda stark und gesund aus der Krise führen. Wir sind auf gutem Weg.


Titelbild Ueli Hurter (links) mit Thomas Jorberg (rechts). Foto: Sebastian Jüngel

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