Kosmische Einflüsse in der Welt und im Menschen

Im jüngsten 4. Band der ‹Studienkommentare zum medizinischen Werk Rudolf Steiners› zum Vortragszyklus ‹Geisteswissenschaft und Medizin› (GA 312) geht es um die kosmologischen Grundlagen der anthroposophischen Medizin.


Dem Team um Peter Heusser – unter Mitarbeit von fast 40 weiteren Autorinnen und Autoren mit Fachexpertise – ist es ein Anliegen, Rudolf Steiners historische Grundlegung einer geisteswissenschaftlich fundierten Medizin neu einzuordnen und zugänglich zu machen im Kontext der zeitgenössischen und historischen medizinischen Theorie und Praxis, der heute vorliegenden naturwissenschaftlichen Literatur und Sekundärliteratur sowie in Rudolf Steiners Gesamtwerk. Die Texte lesen sich gut, schon vom Vorwort an. Da schreiben Menschen für Menschen! Wenn die Inhalte farbig illustriert wären, wäre es ein buntes Buch, die ganze Welt mit dem Menschen im Mittelpunkt in Bildern.

Beim Lesen bewegt man sich in der Gedankenentfaltung, die Rudolf Steiner im 6. und 7. Vortrag verlässlich von Motiv zu Motiv führt: Es wird die aufrechte Pflanze in ihrer Orientierung zwischen Himmel und Erde charakterisiert, ihr Verhältnis zu den Sonnenkräften bei Tag und bei Nacht; wie sie in der spiraligen Anordnung ihrer Blätter geometrisch genau die Bewegungen der Planeten widerspiegelt und in ihre oberirdischen und unterirdischen Organe die Wirkkräfte der Planeten mit Sonne und Mond aufnimmt. «Denn was die Sterne tun, das bildet die Pflanze getreulich nach.» Mithilfe ausgewählter Abbildungen wird man dazu geführt, sich in die Planetenbewegungen selbst hineinzudenken im ptolemäischen und kopernikanischen Weltsystem und dann in die Weiterentwicklung durch Rudolf Steiners Hinweis auf ein konzertiertes Bewegen der Himmelskörper in fortschreitenden Lemniskaten. Es wird dieses weitgespannte, von Planetenkräften mitgestaltete Pflanzenwirken als funktionelles Modell in den menschlichen Organismus eingefügt, als «umgekehrte Pflanze» in den wie die Pflanze zwischen Himmel und Erde orientierten ‹Träger›. Das ist ein Moment, der ahnen lässt, wie der Mensch physiologisch zur Freiheit veranlagt ist, eben gerade durch den scheinbaren Widerspruch polarer Planetenwirkungen in seiner dreigliedrigen Organisation. Dann wird der Blick noch weiter hinausgeführt bis zum astronomischen Verständnis des ‹Platonischen Weltenjahres›, der Bewegung des Frühlingspunktes der Sonne resp. der Erdachse im Tierkreis in 25 920 Jahren. Und zugleich wird nach innen auf den Zusammenklang der rhythmischen Funktionen des Menschen mit diesem großen kosmischen Rhythmus geblickt.

Es ist eine Freude, sich anhand der einzelnen Stellenkommentare in die Entfaltung der kosmischen Pflanze hineinzudenken. Es entsteht ein kohärentes, naturwissenschaftlich gestütztes Gedankenmodell, anschaulich und größtenteils berechenbar zugleich. Könnte man den kosmisch-irdischen Gesamtzusammenhang, der so entwickelt wird, als einen kosmologisch erweiterten Typus der goetheschen Urpflanze auffassen?

Als Grundlage für ein qualitatives Substanzverständnis werden die historischen Atommodelle diskutiert und diesen das alchemistische Verständnis der Substanz als jeweils spezifisch zusammengesetzt aus den ‹Tria Principia› gegenübergestellt. Sucht man dann die Beziehung von Planetencharakteristika und Metallsubstanzen auf, kann sich daraus eine kosmologisch begründete Physiologie und medikamentöse Therapie des Menschen ergeben. Dies wird in den Kommentaren zum 7. Vortrag für eine Reihe von Krankheitsbildern sowohl im historischen wie im aktuellen wissenschaftlichen Kontext untersucht und begründet.

In allen Erwägungen begegnet man einem dienenden Ernst und großer Redlichkeit und ist berührt vom Bemühen um Gedankenkonsequenz, wissenschaftliche Genauigkeit und Klarheit der Sprache, der man gern vertrauensvoll folgt. Widersprüche werden benannt und, soweit möglich, aufgeklärt, aber selbstverständlich bleiben manche Fragen offen und zukünftigen Untersuchungen überlassen. Zugleich kann man auch beeindruckt sein von der naturwissenschaftlichen Präzision der Perspektiven, die Rudolf Steiner 1920 vor den Ärzten und Ärztinnen entfaltet. Denn viele seiner anspruchsvollen Thesen lassen sich inzwischen mit modernen naturwissenschaftlichen Forschungsergebnissen belegen oder in Beziehung setzen. Und so fügt sich seine eigenständige Darstellung der Grundlagen einer geisteswissenschaftlich orientierten Medizin ganz selbstverständlich und organisch in das allgemein naturwissenschaftlich forschende Fragen der letzten 100 Jahre ein.

Wer sich für die kosmischen Einflüsse in Pflanzen, Metallen, Mineralien und der menschlichen Organisation interessiert, wird in diesem Band viel Wertvolles dazu finden: Grundlagenwissen, das offene Fragen klärt und Übersicht schafft. Wer diese Themen im pädagogischen, therapeutischen oder landwirtschaftlichen Kontext zu vertreten hat, dürfte an dem sorgfältig erarbeiteten Studienkommentar zu Rudolf Steiners Thesen einen verlässlichen aktuellen Ratgeber und Begleiter gewinnen.


Buch Peter Heusser, René Ebersbach, Tom Scheffers, Johannes Weinzirl (Hrsg.): Erläuterungen zum ersten Ärztekurs Rudolf Steiners 1920, Vorträge 6 und 7. Verlag am Goetheanum, Dornach 2025

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