Am 16. September starb im 90. Lebensjahr Robert Redford, die vielleicht letzte Hollywood-Ikone. Was machte sein großes Spiel aus?
Einer seiner letzten Filme ‹All is lost› ist so etwas wie ein Vermächtnis des großen, am 16. September verstorbenen Schauspielers Robert Redford. Als einsamer Segler im Indischen Ozean kämpft er ums Überleben. 100 Minuten schweigend der blonde Mime, bis auf ein paar stille Flüche und der Ruf ins kaputte Funkgerät. Was in der Stille umso mehr spricht, ist sein Blick. Im Theater zählen Haltung und Gestik, im Film ist es das Augenlicht. Redford schaut zu den Wolken, zur Takelage und von dort zum Kompass und nach innen, wenn er das wenige verbliebene Süßwasser schmeckt. Wie viel ein Blick erzählt, vor allem dann, wenn er nichts will, sondern im Dialog ist! «Tut mir leid» ist der erste Satz im Film, zitiert aus seinem Abschiedsbrief, und vielleicht haben viele große Künstlerinnen und Künstler diesen Satz als Vermächtnis auf den Lippen: Ausgestattet mit großem Talent für eine ganze Generation mögen sie doch fühlen, dass noch mehr drin gewesen wäre als das Unermessliche, das sie gegeben haben. Was für eine Geschichte: Der Segler verliert sein Boot, verliert seine Rettungsinsel, verliert die Kraft, weiterzuschwimmen, um dann aus der Tiefe an der Wasseroberfläche den Schein eines Rettungsbootes zu entdecken.
Einsam in Gesellschaft
Redford ist in dem Drama ‹All is lost› alleine, und das gilt für viele seiner Filmwerke, wo viele Menschen um ihn, mit ihm sind. In der Verfilmung des Romans ‹Jenseits von Afrika› von Karen Blixen ist er der wilde Abenteurer, der von Meryl Streep nicht zu halten ist. In ‹Ein unmoralisches Angebot› ist er der Milliardär, der sich alles kaufen kann und solitär bleibt. Dieses Für-sich-Sein hat bei Redford immer Größe. So auch in dem populären Spielfilm ‹Der Pferdeflüsterer› von 1998. Die 13-jährige Grace wird mit ihrem Pferd von einem Lastwagen schwer verletzt. Ihr Unterschenkel muss amputiert werden. Mutter, Tochter und Pferd fahren durch den halben Kontinent zu dem zurückgezogenen Pferdetherapeuten. Mag die Filmkritik die Geschichte als oberflächliche Romanze abtun, einzelne Sequenzen haben Tiefen der menschlichen Seelenarithmetik in die Herzen von Millionen Menschen gelegt. So der Moment, als Redford dem gebeutelten Pferd auf der Koppel begegnet. Er kniet nieder. Da erzählt dann eine Einstellung mehr als viele Worte. Dann wieder sein Blick: Von den Wunden über das zitternde Fell des Vierbeiners mündet er in den Augen des Tieres. Danach gleich eine zweite Lehrstunde: Er könne dem Pferd nur helfen, wenn die Besitzerin, die junge Grace, ihn unterstützen würde. Die Mutter will antworten. Redford stoppt sie: Das müsse das Mädchen entscheiden, denn schließlich werde sie später das Pferd wieder reiten. Das Mädchen, in ihrem Selbstmitleid gefangen, lässt ihn abblitzen. «Hast du Probleme damit, mir zu helfen?» Sie: «Ist das nicht offensichtlich?» und schaut auf ihre Beinprothese. «Nicht für mich», antwortet der Pferde- und Jugendflüsterer. Als wieder die Mutter dazwischenfahren will: «Mit allem Respekt, das ist die Entscheidung von Grace.» Wieder ist es der Blick: Er fordert und fördert das Mädchen und hilft ihr so aus ihrem Trauma und heilt die Beziehung von Tochter und Mutter.
Immer auf Augenhöhe
Im Schauspiel spielt der ‹Status› eine große Rolle. Er bezeichnet das Machtgefälle zwischen zwei Figuren. Wer prägt, wer wird geprägt? Was Rudolf Steiner «der positive und der negative Mensch» nennt, was Jörgen Smit als «Wachs- und Gummimensch» unterschied, das ist im Theater Hoch- und Tiefstatus. Im Spiel von Robert Redford ist dieses Koordinatensystem von Druck und Offenheit, von Dominanz und Unterlegenheit nicht wirksam. Wo er als Spieler herrscht, bleibt er empfänglich, wo er Verlierer ist, behält er seine Würde. Irgendwie ist das Miteinander immer auf Augenhöhe. Wie kommt das? In manchen filmischen Nachrufen wurde aus einem seiner frühen Filme, ‹Butch Cassidy and the Sundance Kid›, die Szene gezeigt, wo die beiden Banditen auf der Flucht sind und von einem Felsen ins Wasser springen müssen. Redford zögert und gibt dann zu: «I can’t swim.» In der Stärke die Schwäche. Dieses Miteinander von stark und schwach, von souverän und verloren, von männlich und weiblich macht vermutlich die tiefe Menschlichkeit seiner Charaktere auf der Leinwand aus. Immer leuchtet eine Mitte auf und in ihrem Grund die hohe Glaubwürdigkeit. Deshalb überrascht es nicht, dass Robert Redford sich mit einer eigenen Akademie für junge Kunstschaffende engagierte und sich für Natur- und Minderheitenschutz einsetzte. Mag es in den über 100 Filmproduktionen, an denen Redford mitwirkte, aus dramatischen Gründen weit aus der Mitte herausgehen, sie sind durch sein Spiel, das seelische Gegensätze in sich vereint, zugleich Lehrstunden der Schönheit menschlicher Mitte.
Geschichten zu erzählen, ist keine Flucht vor der Realität, sondern ein Mittel, das uns auf unserer Suche nach Realität trägt, unsere beste Bemühung, in die Anarchie des Alltags Sinn zu bringen.
Robert McKee1
Bild Robert Redford setzt sich während der Dreharbeiten zu ‹Der Clou› auf dem Santa Monica Pier gegen dessen Abriss ein, 1973. Quelle: Ken Dare, Los Angeles Times, CC BY 4.0








