Am 29. Oktober 2025 lädt das Goetheanum zum Thementag ‹Greening the Desert› ein – eine Kooperation von Culturescapes Sahara 2025, der Sektion für Landwirtschaft, Sekem und Agroecology Works. Am Thementag treffen Praxis und Reflexion aufeinander. Besuchende können Projekte aus der Sahara-Region hautnah erleben und erfahren, wie Landwirtschaft, Kultur, Ökonomie und Politik ineinandergreifen. Die Wüste ist und hat Leben, das respektiert werden muss. Anna Storchenegger sprach mit Ueli Hurter, Co-Leiter der Sektion für Landwirtschaft, und Jurriaan Cooiman, Gründer und Leiter von Culturescapes.
Der Titel des Thementages ‹Greening the Desert› klingt verheißungsvoll, fast wie ein Versprechen. Ist es wirklich möglich, dass Wüsten wieder zu fruchtbarem Land werden, oder wie ist der Titel gemeint?
Ueli Hurter Ich würde ganz klar sagen: Ja, das ist möglich. Wir haben dazu sehr konkrete Beispiele. Das wichtigste und bekannteste ist die anthroposophisch basierte Sekem-Initiative in Ägypten, deren Vertreter Helmy Abouleish und Buthaina Elhoseiny am Thementag zu Gast sein werden. Dort war am Anfang tatsächlich nichts als Wüste, Sand, Hitze, kein Leben. Und heute, nach fast fünf Jahrzehnten, sehen wir fruchtbares Land. Und zwar nicht nur in einem ökologischen, landwirtschaftlichen Sinn – also dass Pflanzen wachsen –, sondern auch in einem umfassenden sozialen und kulturellen Sinn. Der Gründer, Ibrahim Abouleish, hatte 1977 die Vision, aus der Wüste einen Ort des Lebens zu machen. Er hat diese Vision nicht allein umgesetzt, sondern mit vielen Menschen, die sich auf diesen Weg eingelassen haben. Heute ist es ein unglaubliches Erlebnis, dort zu sein: Man sieht Bäume, Pflanzen, Tiere, Menschen, Schulen, eine Klinik, Unternehmen für Lebensmittel, Textilien sowie Arzneimittel. Das Leben ist viel dichter, viel reicher, viel farbiger, als man es erwartet hätte. Es ist eine spezielle Kraft, die aus dieser Transformation kommt. Man könnte sogar sagen: Wenn es gelingt, in einer so lebensfeindlichen Umgebung wie der Wüste einen Ort zu schaffen, wo Leben gedeiht, dann ist das eine kulturelle Leistung, die vielleicht noch stärker ist als das, was wir in Mitteleuropa erleben.
Du sprichst also nicht nur von Landwirtschaft im engeren Sinn, sondern von einem ganzen Lebenszusammenhang?
UH Genau. Wenn man in Sekem ist, spürt man: Es geht nicht nur um Felder und Ernten. Es geht darum, dass Menschen dort miteinander leben können, dass Kinder Bildung bekommen, dass Kunst, Musik, Spiritualität Raum haben. Die biodynamische Landwirtschaft ist die Basis, aber daraus entsteht viel mehr. Das ist der Geist, der hinter ‹Greening the Desert› steht.
Auch Hazoua ist hierfür ein sehr spannendes Beispiel. Es liegt in Tunesien direkt an der algerischen Grenze, am Rand der Sahara. Wenn man dorthin fährt, erlebt man eine absolute Wüstensituation – Steine, Felsen, Staub, kein Wasser. Aber Hazoua selbst ist eine Oase. Das Haupterzeugnis sind Datteln – diese hochgewachsenen Palmen, die typisch für Oasen sind. Durch die Initiative eines Schweizers begann man vor einigen Jahren, die Palmen nach biodynamischen Prinzipien zu bewirtschaften. Heute werden die Demeter-Datteln aufbereitet und bis in die Schweiz exportiert. Das Spannende daran ist, dass es kein ‹aufgesetztes› Projekt ist, sondern dass es direkt aus der Gemeinschaft heraus lebt. Entscheidend zu dieser Entwicklung beigetragen hat Sadok Saidi, sein Sohn Salah Saidi wird das biodynamische Projekt in der Oase Hazoua am Goetheanum vorstellen.

Wie ist dein Bezug zur Wüste und zum Titel ‹Greening the Desert›, Jurriaan?
Jurriaan Cooiman Ich war mehrmals und von verschiedenen Seiten in der Sahara unterwegs – von Ägypten über Marokko nach Algerien bis zur Subsahara. In deiner ersten Frage wird die Sahara als ‹degradiertes Land› beschrieben, doch das widerspricht dem, was dort seit Jahrtausenden existiert: Leben. Natürlich kein mitteleuropäisches Leben mit intensiver Landwirtschaft, aber es gibt nomadische Völker, Tiere, eine Vielfalt. Wir haben die Tendenz, Dinge nur aus unserer Perspektive zu sehen. Aber es gibt auch eine Metaebene: 2021 haben wir im Rahmen von Culturescapes das Thema Amazonas behandelt. Und da zeigt sich eine erstaunliche Verbindung: Saharastaub-Wolken reisen in großer Höhe nach Südamerika, regnen dort nieder und bringen Mineralien und Spurenelemente, die den Amazonas fruchtbar machen. Millionen Tonnen Saharastaub werden so jährlich transportiert. Das ist ein ökologischer Megakreislauf, der zwei Kontinente verbindet. Es gibt diese biologische Grundlage, die uns zeigt: Eingriffe in Ökosysteme – sei es Geoengineering oder die Nutzung von Wasserreserven – haben immer auch eine Schattenseite.
Ein weiteres Beispiel sind die gigantischen Wasserreserven unter der Sahara. Es sind unvorstellbare Mengen, aber trotzdem endlich. Sie hochzupumpen, ist ein faustisches Projekt. Ich erinnere mich an meinen Besuch auf der Sekem-Farm in Ägypten: eine beeindruckende Urbarmachung der Wüste, indem Wasserreserven zugänglich gemacht werden. Aber auch hier stellt sich die Frage: Welche Quellen nutzen wir, wofür und wer entscheidet?
UH Wenn wir über ‹Greening the Desert› sprechen, geht es nicht darum, die Wüste zu bekämpfen. Die Wüste ist übermenschlich, großartig und verlangt unseren Respekt. Es geht darum, respektvoll zu überlegen, wie man an bestimmten Stellen Vegetation zurückbringen kann. Dabei müssen wir zwischen faustischen Projekten wie dem massiven Hochpumpen von Wasser und kleineren Prototypen unterscheiden. Ich erinnere mich: In der Sahelzone, wo es nur wenige Monate Regen gibt, führte Überweidung durch Viehzucht tatsächlich zur Wüstenbildung. Dort verschwand nicht nur Vegetation, sondern auch der Regen selbst. Das zeigt: Regen hängt eng mit Vegetation zusammen. So utopisch es klingt, solche Prozesse lassen sich beeinflussen.
JC Aber man muss vorsichtig sein: Die Sahara ist riesig. Wenn man sagt «wir wollen, dass es dort regnet», klingt das größenwahnsinnig. Vegetation kann Regen begünstigen, ja, aber wir reden hier von planetarischen Dimensionen.
Klimawandel betrifft inzwischen die gesamte Welt. Trockenzonen nehmen zu. Könnte man sagen, dass Projekte wie Sekem Lösungsansätze für globale Herausforderungen aufzeigen?
UH Ja, wobei man wissen sollte, ohne Bäume geht fast gar nichts. Deshalb haben wir auch den Agroforstexperten Roland Frutig zum Thementag eingeladen. Das Erste, was man in trockenen Gebieten tun muss, ist, Wasser zu erschließen – durch Tiefenbohrungen, durch Bewässerungssysteme. Das Zweite ist: Bäume pflanzen. Schnell wachsende Bäume wie Kasuarinen sind besonders wertvoll, weil sie in wenigen Jahren groß werden, Schatten spenden und den Wind aufhalten. So entsteht erst ein Mikroklima, in dem Pflanzen gedeihen können. Die Agroforstwirtschaft geht noch einen Schritt weiter: Sie zeigt, wie man verschiedene Schichten von Pflanzen kombiniert – unten die Bodenbedecker, dann Sträucher, dann Bäume. So entsteht eine Art ‹Stockwerkbau›. Dieser ist sehr stabil, resilient gegen Hitze und Trockenheit, und er bringt mehr Vielfalt in die Erträge. Für die Bauern bedeutet das auch: mehr Sicherheit, mehr Einkommen. In der traditionellen Biodynamik gelten Bäume vorwiegend als Schattenspender. Durch die Zusammenarbeit mit Agroforstexperten wie Roland Frutig lernen wir, das viel systematischer zu gestalten. Da entsteht gerade eine spannende Verbindung, die für globale Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel interessant ist.
JC Der Besuch der Sekem-Initiative war für mich ein Augenöffner – nicht nur, weil dort Landwirtschaft in der Wüste entwickelt wird, sondern auch, weil ein kulturelles Leben entsteht. Das hat uns inspiriert, die Zusammenarbeit mit dem Goetheanum zu suchen und den Thementag ‹Greening the Desert› zu veranstalten. Dennoch gilt es nicht zu vergessen: Unser Problem ist der Konsum. Wir im Westen verbrauchen zweieinhalb bis drei Planeten, die wir nicht haben. Der globale Süden verbraucht vielleicht einen Drittelplaneten pro Mensch. Diese Ungleichheit ist massiv. Würde der Süden so konsumieren wie wir, wäre die Erde völlig überfordert.

Faire Wertschöpfungsketten geben die Möglichkeit, dieser Ungleichheit entgegenzuwirken, zumindest ansatzweise. Beim Thementag wird Alexander Batran von der Firma Weleda einen Beitrag geben und darauf eingehen. Inwieweit ist die Frage der Wertschöpfungskette entscheidend?
UH Sie ist zentral. In der ‹normalen› Landwirtschaft haben wir anonyme Wertschöpfungsketten: Der Bauer verkauft an einen Zwischenhändler, der an den nächsten, irgendwann landet das Produkt im Supermarkt. Der Konsument hat keine Ahnung, woher es kommt. In Unternehmen wie der Weleda AG ist es anders. Da entstehen direkte, langfristige Partnerschaften zwischen Produzenten und Abnehmern. Ein Beispiel sind die Rosenanbauerinnen in Marokko. Weleda kauft ihre Rosen nicht einfach ein, sondern unterstützt die ganze Lebenssituation: Kinderbetreuung während der Ernte, Vorfinanzierung, stabile Preise, auch in schlechten Jahren. Das schafft Vertrauen und Stabilität. So wird Landwirtschaft nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine soziale und kulturelle Beziehung.
Bei dieser Veranstaltung geht es also nicht nur um Landwirtschaft, sondern auch um die Würde des Menschen. Zwei Gäste sind die Menschenrechtsaktivisten Asria Mohamed aus der Westsahara und Taleb Brahim, ein Agronom, der in den Flüchtlingslagern der Sahrauis landwirtschaftliche Projekte zur Selbstversorgung aufbaut. Inwieweit sind landwirtschaftliche Fragen auch Menschenrechtsfragen?
JC Die Westsahara ist seit 50 Jahren von Marokko besetzt. Viele Sahrauis leben in algerischen Lagern, völlig abhängig von internationaler Hilfe. Nun entsteht der Wunsch, selbst Gemüse anzubauen. Das ist mehr als Ernährung: Es bedeutet, ein Zuhause aufzubauen, statt nur auf Rückkehr zu hoffen.
Asria Mohamed hat für die Biennale ein Projekt mit Frauen entwickelt: Die ‹Jaimitna›, ein hohes Zelt, in dem Tücher von Frauen ausgestellt sind. Diese Tücher erzählen die Geschichten der Frauen selbst. Während des Thementages wird das Zelt am Goetheanum zu sehen sein, und auch in den Wochen davor in der Markthalle Basel. Über QR-Codes können Besuchende die Geschichten der Frauen lesen und hören.
UH Flüchtlingslager sind prekärste Situationen. Und dass dort kleine Wurzeln zu wachsen beginnen, gibt den Menschen auch sozial wieder Boden unter den Füßen. Ein Menschsein ohne Boden ist kaum möglich, es sei denn, er lebt wirklich nomadisch. Ich freue mich deshalb sehr auf Taleb Brahim, der das aufzeigt.
Dazu fällt mir ein Erlebnis ein, das ich kürzlich hatte: Ich war beim World Goetheanum Forum in Sekem, wo es eine Zeremonie gab: Bauern erhielten CO₂-Zertifikate. Eine kleine, aber tief berührende Geste, die zeigte: Hier entsteht Entwicklungsgemeinschaft. Am Nachmittag gab es dann Programme für Frauen. Eine Mitarbeiterin aus Südkorea, Nana, brachte Frauen auf die Bühne, und man konnte sehen, wie in ihnen etwas erwachte. Das Traditionelle hat ja immer zwei Seiten: Bewahrenswertes, aber auch Unterdrückendes. Durch Impulse – Dialog, Anstoß, Inspiration – kann etwas wirklich Neues entstehen. Ich glaube, das ist entscheidend: Wir als ‹globaler Norden› dürfen nicht mit ‹gutem Willen› kolonialistisch auftreten, sondern müssen in echter Zusammenarbeit etwas Neues schaffen, eine Menschlichkeit, die nicht importiert, sondern vor Ort geboren ist.
JC Du hast versucht, eine Brücke zu schlagen – das habe ich wahrgenommen. Danke. Aber man merkt auch: Wir kommen von unterschiedlichen Seiten. Und das ist gut so. Ich sehe noch viel koloniales Verhalten, auch in Projekten wie Sekem. Tausende Bauern machen mit, sind begeistert – und gleichzeitig gibt es kritische Stimmen in Kairo. Diese Ambivalenz gehört dazu.

Warum lohnt es sich, am Thementag ‹Greening the Desert› im Goetheanum teilzunehmen?
JC Für mich ergeben sich durch die eben diskutierten Themen die zentralen Fragen unserer Zeit: Schaffen wir es, miteinander ins Gespräch zu kommen, im Austausch zu bleiben und Wege zu finden, unser Verhalten zu ändern, Empathie zu entwickeln und Bewusstsein zu schaffen? Letztlich zeigt sich wohl erst im Leben selbst, wie das Früchte trägt. Planung allein greift hier zu kurz – wahrscheinlich können wir nur sehr begrenzt steuern. Vielmehr entsteht Veränderung dann, wenn sie nicht rational erzwungen wird, sondern aus einer inneren Wärme, aus echter Empathie kommt.
UH Ich möchte betonen, dass dies eine Chance für das Goetheanum ist. Vielleicht tragen wir hier noch die Tendenz in uns, uns nicht nur gegenüber dem globalen Süden, sondern auch gegenüber dem ‹Norden› belehrend oder besserwisserisch zu verhalten – ein Habitus, der leider auch zur Anthroposophie gehört. Wir müssen lernen, die empathische Geste zuzulassen, die du gerade erwähnt hast, Jurriaan: nicht die Lösung zu suchen, sondern das Hineingehen, das Erleben selbst. Es geht nicht darum, sofort Antworten zu liefern. Die Lösungen sind oft schon da. Wir wollten ursprünglich einen Aufruf zum Handeln mit dem Thementag verbinden, haben uns aber bewusst dagegen entschieden. Stattdessen möchten wir einen Erlebnisraum öffnen – für Kopf, Herz und Hand –, ein Terrain, das kulturell, intellektuell und praktisch bespielt wird. Wir haben keine fertigen Zielvorgaben, sondern hoffen, dass das Zusammenkommen all dieser unterschiedlichen Menschen zu einem Katalysator werden kann für ‹Greening the Desert›.
Veranstaltung
Greening the Desert. Thementag am Goetheanum (EN/DE)
29. Oktober 2025, 10–16 Uhr
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Bilder Feldarbeiter auf einem Basilikumfeld. Fotos: Samuel Leon Knaus









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